Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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51.

Berlin, den 10. Dezember 1886.

Das war's! Ich war krank oder im Begriff, es zu werden. Seit vierzehn Tagen gehe ich jeden Morgen vor den Geschäftsstunden, die ich mit komischer Pünktlichkeit einzuhalten pflege, im Geschwindschritt eine Stunde lang unter den kahlen Bäumen des Tiergartens spazieren. Es ist dies weder aufregend, noch erheiternd, aber es tut mir gut, was ich daran merke, daß ich wieder kampflustiger und siegesgewisser werde.

Krank oder gesund, das Suchen nach einem Geschäftsführer wird eifrig fortgesetzt. Geheimrat Orth von der landwirtschaftlichen Hochschule, der dienstwillige Freund von jedermann, der ihn braucht, der eifrige Vorsitzende unsrer Ackerbauabteilung, brachte mich in Berührung mit einem Herrn, der vor kurzem nach Berlin übersiedelte; seiner Kinder wegen, höre ich, werde aber nie begreifen, wie man seiner Kinder wegen eine Millionenstadt aufsuchen mag. Auch erinnere ich mich, daß ich mit Herrn Wölbling, wie mit hundert andern, schon in regem Briefwechsel gestanden habe, und er in seiner Stellung als Pächter und Vorsitzender eines kleinen landwirtschaftlichen Vereins mehrmals recht vernünftige Winke bezüglich unsrer Geschäftsordnung eingesandt hat. Er sei ein tüchtiger Landwirt, akademisch gebildet, Sohn eines Pastors und augenblicklich in der Lage, zu tun, was ihm beliebt. Das alles stimmte vortrefflich, doch stellte sich bei unsrer ersten Besprechung heraus, daß er sich bereits auf verschiedene Nebenbeschäftigungen eingelassen habe, darunter eine wohlbezahlte Aufsichtsratsstelle bei einer Hagelversicherungsgesellschaft, die er beizubehalten wünschte. Ich mußte erklären, und tat es vielleicht etwas schroff, daß ich hierauf nicht einzugehen vermöge, so daß die Verhandlungen zu einem raschen Abbruch führten.

In diesem Punkte bin ich nämlich entschlossen, nicht nachzugeben. Es scheint hierzuland eine allgemeine Sitte zu sein, die Beamten so schlecht als möglich zu bezahlen und darauf zu rechnen, daß sie ihr spärliches Einkommen durch alle möglichen Dienste und Verdienste »im Nebenamt«, wie es genannt wird, auf die nötige menschenwürdige Höhe bringen. Es scheint sogar gern gesehen zu werden, wenn die Betreffenden vier, fünf Nebenämter ergattern; man kann ihnen dann mit ruhigerem Gewissen ihren Hungerlohn ausbezahlen. Ich halte dies für das Niederträchtigste und Unpraktischste aller Systeme. Man weiß dabei nie, was man an einem Mann hat, und er selbst kann unmöglich mit Leib und Seele bei seiner Arbeit sein. In meinem Fall würde ich höchst wahrscheinlich nach vier Wochen den Geschäftsführer meines Geschäftsführers spielen müssen, während er bei einer Versicherungsgesellschaft Kassensturz hält oder in einer Kleinkinderbewahranstalt das Windelnzählen überwacht. Ich brauche ganze Leute, und werde in der D. L. G. keine Anstellung gutheißen, bei der dies nicht über alle Zweifel festgestellt ist.

Nach zwei Tagen hatte sich Herr Wölbling die Sache überlegt und war bereit, einzuschlagen. Zur Vorsicht warnte ich ihn, daß er sein Schicksal einem kaum seetüchtigen Kanoe anvertraue, das sich allerdings zu einem stattlichen Dreimaster auswachsen könne, wenn wir zusammenhielten und kein verkehrtes Steuermanöver machten. Versprechen könne ich ihm dies nicht, denn wir seien nicht Herr über Wind und Wetter. Aber er schien sich nicht zu fürchten, und in zwei Minuten waren wir einig. Ich war goldfroh und bin es noch, denn allem nach verdanke ich meinem verehrten Freund Orth einen guten Fang und bekomme fühlbar wieder etwas Luft. Besonders beruhigend ist mir, daß Wölbling kein Doktor geworden und dagegen ein praktischer Landwirt gewesen ist. Aus der Pflugfurche herauf muß die D. L. G. wachsen, nicht vom Katheder herunter.

Die Vorbereitungen für Frankfurt machen greifbare Fortschritte, nicht bloß hier, sondern in allen Winkeln des großen Vaterlandes. Für meine Garantiescheine sind jetzt 60 000 Mark gezeichnet, und so tröpfelt es sich nach und nach zusammen, so daß ich im Geldpunkt kaum mehr besorgt zu sein brauche. Das war aber von jeher mein geringster Kummer: Geld ist immer da für eine gute Sache. Drückendere Fragen werden im Februar und März zu lösen sein, wenn die Anmeldungen einzulaufen beginnen und mit ihnen hunderterlei Wünsche, die den örtlichen Verhältnissen und Gewohnheiten entspringen und sich einer einheitlichen Gestaltung anpassen sollen.

Wirkliches Vergnügen machte mir die Notwendigkeit, für die D. L. G. den Künstler zu spielen. Die Mitgliedskarte habe ich schon vor längerer Zeit gezeichnet, auf der »Wissen und Können«, der Wahlspruch der Gesellschaft, über einem Pferde- und Ochsenkopf in Lorbeer und Eichenlaub und beträchtlichen Mengen Getreides prangt. Nun brauchen wir aber auch eine Denkmünze, die etwas andres zeigen sollte als das übliche preisgekrönte Rindvieh. Einem Stuttgarter Künstler, den mir Diefenbach verriet, schickte ich eine Skizze, wie ich mir die Sache denke: Germania mit Schwert und Schild, der Friede in Waffen, die einen Lorbeerkranz über ein wogendes Kornfeld hält und den Pflug zu ihren Füßen mit dem Schilde deckt. Das sollte selbst meinen agrarischsten Freunden gefallen. Schwenzer, der ausführende Künstler, sei eine vortreffliche Kraft, wenn auch phänomenal langsam. Das macht aber in unserm Falle nichts. Für die zweite Ausstellung wird die Münze wohl fertig werden, und manchmal, seitdem ich einen Geschäftsführer habe, träume ich schon von der zweiten.

Auch findet sich jetzt Zeit, die Ausstellungspläne für Frankfurt festzulegen. Das Unangenehme hierbei ist, daß ich mich auf keinerlei Erfahrungen stützen kann und nicht weiß, ob wir für hundert oder fünfhundert Pferde, für dreihundert oder tausend Rinder zu sorgen haben. Zunächst müssen bestimmte Zahlen einfach angenommen werden, und diesen entsprechend ist ein Entwurf für den schwierigen Platz auszuarbeiten. Wenn wir später wissen, um wieviel es sich handelt, ist es leichter, den Platz umzugestalten, als an eine noch nicht berührte Aufgabe heranzutreten. Im März und April wird dann in Stunden geschehen können, was sonst Tage erfordert hätte.

Dann haben wir allerdings eine Aufgabe zu lösen, die in Deutschland, und ich glaube, auf dem ganzen Festland Europas, noch nie gelöst wurde: die Ausstellung muß am Abend vor der Eröffnung bis auf den letzten Nagel fertig sein. Bei ihrer nur fünftägigen Dauer ist dies unumgänglich notwendig. Ich habe dafür gesorgt, daß die »Ausstellordnung« den Ausstellern gegenüber drakonische Bestimmungen enthält. Da die Herren sie jedoch gewöhnlich erst lesen, nachdem alle erdenklichen Fehler begangen sind, so glaube ich, ist mit den wohldurchdachten Paragraphen wenig geholfen. Auch die Ausstellungsleitung, das heißt ich und wer das Glück hat, unter mir zu stehen, sieht sich noch mancher ungelösten Frage gegenüber. Aber nichts Erdenkliches soll unversucht bleiben, diesem tiefgewurzelten Unfug ein Ende zu machen.

Du siehst, daß mir die nächste Zukunft stachlig genug entgegentritt. Wenn darüber meine Briefe zu Blättchen zusammenschrumpfen, und die Blättchen zu Postkartengröße, so brauchst Du Dich nicht zu wundern, noch zu ärgern. Es wäre nur ein Beweis, daß es der Sache und mir vortrefflich geht.


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