Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

41.

Bonn, den 20. Dezember 1885.

Der letzten vierzehn Tage Qual war groß. Sie loben mich zwar überall mit Inbrunst, aber was hilft dies, wenn sie mich zugleich erdrücken. Doch mußt Du Dir aus solchen Stoßseufzern nichts machen. Sie verwehen und vergehen. – –

So weit kam ich vor genau zwei Wochen. Nun liegt Berlin abermals hinter mir, und ich kann in behaglichem Gefühl der Erschöpfung erzählen, was sie gebracht haben.

Der große Tag selbst, der 11. Dezember, war natürlich nichts weiter als eine Parade, für die alles so vorbereitet war, daß ein Entgleisen kaum mehr zu befürchten war. Die Vorbereitungen aber hatten mir den Kopf gehörig warm gemacht. Es wäre töricht, Dich mit Einzelheiten unterhalten zu wollen, deren dramatische Spannung nur der fühlt, dessen Jahresarbeit an ihrem Gelingen hängt. Ein paar Punkte jedoch will ich herausgreifen, die vielleicht einen Begriff von dem ineinandergreifenden Getriebe geben, das mich seit Monaten nicht mehr losläßt.

Da war zunächst die Präsidentenfrage. Der stets liebenswürdige, aber auch stets abwesende Präsident des Provisoriums, Graf Stolberg-Wernigerode, der einzige, der uns nach mehrfachen vorsichtigen Anfragen übrigblieb, hatte auf zwei meiner Briefe ebenfalls ablehnend geantwortet. Er fühlte wohl, daß selbst eine bloße Repräsentationsfigur doch manchmal repräsentieren sollte. Vorläufig aber war eben die D. L. G. in hohen Kreisen ein bloßer Name; da und dort glaubte man doch immer, daß sie irgendwelchen politischen Hintergrund haben müsse, und so fand es Graf Stolberg-Wernigerode zweifellos bequemer, eine einmalige höfliche Absage, als gelegentliche Entschuldigungen schreiben zu lassen. Schließlich setzte ich alle irgend erreichbaren Hebel in Bewegung und erhielt einige Tage vor der entscheidenden Sitzung in liebenswürdigster Form – das verstehen die Herren meisterhaft – die Nachricht, daß Seine Erlaucht eine Wahl annehmen würde.

Ein zweiter kleiner Sturm raschelte im dürren Laub einer andern Gegend. Schon in früheren Sitzungen hatte die Frage zu scharfen Meinungsverschiedenheiten geführt: ob die Gesellschaft eine Zeitschrift oder ein Jahrbuch herausgeben solle. Ich hielt eine Zeitschrift für das unnötigste Unternehmen der Welt, in einem Lande, in dem Hunderte von landwirtschaftlichen Blättern und Blättchen sich allwöchentlich gegenseitig die wenigen originalen Gedanken und Mitteilungen mit der Schere abschneiden, eine beträchtliche Anzahl großer Zeitungen jedem vernünftigen Aufsatz ihre Spalten öffnen, und der einzige Fehler der ist, daß es an einem lesenden landwirtschaftlichen Publikum fehlt. Die Vielschreiber unter uns stellten sich jedoch förmlich entsetzt über diese Ketzerei, ließen Flugblätter kreisen, um die gefährdete Zeitschrift zu retten, und schrieben mir bittende, mahnende, zürnende Briefe. Ich war offenbar wieder im Begriff, etwas durchaus Undeutsches durchsetzen zu wollen. Mein: »Taten, keine Tinte!« schien dem Unterliegen nahe. Doch waren die mir näher Stehenden gewonnen, und als einer der Gegenpartei, sichtlich im Gefühl, den verlockendsten Vorschlag zu machen, mir die Redaktion der künftigen Zeitschrift anbot, heuchelte ich eine so grimmige Entrüstung, daß selbst die Schwankenden auf ihren Lieblingswunsch verzichteten. Es bleibt beim Jahrbuch und zwanglosen »Mitteilungen«, die von nichts erzählen dürfen als von den eignen Arbeiten der D. L. G.

Ernstere Kämpfe veranlaßten immer wieder die inneren Verhältnisse der Düngerabteilung. Zwei Tage vor unsrer Hauptversammlung kam es zu dem nicht mehr zu vermeidenden Bruch. Das Zusammengehen mit Beck wurde feierlich gelöst, und der arme Kerl, der zweifellos der Urheber des sogenannten »gemeinsamen Bezugs« gewesen war, und an den sich ursprünglich Schultz-Lupitz angelehnt hatte, hiermit kaltgestellt. So sehr mir dies leid tut, sah doch auch ich keinen andern Ausweg. Beck hat seine Stellung gründlich verkannt und sich in diese falsche Auffassung mit der Leidenschaftlichkeit eines halbkranken Mannes hineingearbeitet, so daß man nur mit beständiger Rücksichtnahme auf seinen Zustand mit ihm verkehren konnte. Er geht jetzt mit dem Gedanken um, der undankbaren Welt Lebewohl zu sagen und auf einem einsamen Heidegut in Mecklenburg selbst Kainit zu verzehren. Ich glaube, es ist das einzige Mittel, den Mann körperlich und geistig zu retten.

Einen wunderlichen Zwischenfall brachte unsre Hauptversammlung, trotz der gerühmten sorgfältigen Vorbereitungen, der mich anfänglich erschreckte und doch schließlich von Nutzen sein kann. Die Liste der Ausschußmitglieder, für die ich aus jedem Gau Namen geeigneter Männer erbeten hatte, war von Ostpreußen besonders spärlich ausgestattet worden. Unter den Vorgeschlagenen befand sich ein Gutsbesitzer Rickert-Carlikau, der von niemand beanstandet worden war. Auch in der Hauptversammlung wurde die Liste anstandslos angenommen. Zehn Minuten später aber kamen schon drei Herren zu mir auf das Podium und flüsterten fast schreckensbleich: »Wissen Sie, was wir soeben gemacht haben? Wir haben den Rickert, den freisinnigen Politiker, in unsern Ausschuß gewählt! Donnerwetter, was fangen wir jetzt an?« Es war tatsächlich nichts anzufangen. Die Wahl war vorüber. Rickert öffentlich auszumerzen hätte vielleicht einen Höllenlärm hervorgerufen, denn auch er hatte zweifellos seine Freunde unter uns. »Was wird unser neues Mitglied Bismarck denken?« fragte der eine. »Guter Gott, was wird mein Freund Mirbach machen,« seufzte ein andrer, »wenn er merkt, daß er mit Rickert an einem Tisch sitzt?« »Nur kühl und keinen Lärm,« bemerkte ein dritter, »das werden wir ja sehen. Neugierig bin ich, was Rickert selbst machen wird. Einer unsrer großen Politiker in dieser unpolitischen Umgebung! Einfach großartig! Sie sind ein Vokativus, Herr Eyth!«

Was ein Vokativus in diesem Zusammenhang ist, weiß ich selbst noch nicht, dagegen schon heute, was Rickert zu machen gedenkt. Gestern erhielt ich auf meine Mitteilung der erfolgten Wahl seine Antwort: er nehme die Wahl an und sei stolz darauf, mit uns zu pflügen und Vieh zu züchten, soweit ihm dies seine etwas beschränkte Zeit gestatte. Das Beste aber schrieb mir Herr von Below-Saleske, ein Ostelbier pur sang und waschechter Agrarier. Wenn ich könnte, würde ich seinen Brief an unsre Flaggenstange nageln und ihn mit ihr aufpflanzen lassen, wo immer wir unsre wandernden Zelte aufschlagen werden. Er sagt:

»Bange machen gilt nicht. Wir heißen daher Herrn Rickert willkommen als praktischen Landwirt und werden mit ihm um die Wette arbeiten, um unserm Gewerbe dienstbar zu sein. Ich halte es nicht für geboten, selbst einen Rickert ›hinauszugraulen‹. Wir nehmen an, daß er sich der Pflicht bewußt bleibt, in unsrer Mitte keine Politik zu treiben, selbst nicht dadurch, daß er auf eine Zusammensetzung der leitenden Organe der Gesellschaft hinwirkt, die irgendeiner politischen Färbung das Übergewicht gibt. Wir werden sorgfältig darüber wachen, daß unter uns politische Gegensätze nicht zur Geltung kommen. Weder Groß- noch Kleinbesitz, weder adlig noch bürgerlich, weder konservativ noch liberal dürfen je unsern Organen ein Vorrecht aufdrücken. Daher ist mir die Spezies Rickert ganz genehm. Wir wollen zeigen, daß neben berechtigten politischen Gegensätzen die Erde des deutschen Landwirts gemeinsam gepflügt, geschützt und geliebt wird. Glück auf zum neuen Jahr!«

Wenn sie einmal alle so weit wären, meine 2866 von heute und die Tausende, die ihnen folgen müssen! Aber wir sind auf dem Weg, und das neue Jahr wird vielleicht manches Alte abstreifen.

Weiteres von der Hauptversammlung geben Dir die stenographischen Berichte, die niemand liest, der seine eignen Reden nicht noch einmal genießen will. Das »begeisterte« Hurra auf den Kaiser, die »warmen« Begrüßungen, die langweiligen, aber notwendigen geschäftlichen Erörterungen, Wahlen, Kassenberichte und Paradevorträge. Dann das Festessen, die offiziellen Hochs, die leichten und schweren Weine, die glühende Luft und das Gefühl allgemeiner Verbrüderung, das meinen lieben Freund Kiepert mit unfehlbarer Sicherheit selig macht. Ja – und mein Festgedicht. Es war nicht übel für eine Eisenbahnnacht zwischen Köln und Berlin und erträglich genug, in Weintunke. Selbst bei Tag, im Trockenen genossen, lassen sich ein paar herausgerissene Verse ertragen, hoffe ich:

Sein oder nicht sein – begann ich –, das war die gewagte
Uralte Frage, die uns täglich nah.
Fast wie man einst das Eichenrauschen fragte,
So fragten wir, und unser Gott sprach: ja!
Gegründet ist's! Als Lohn für unser Wagen
Liegt heute Stein an Stein, dreitausend fast.
Gegründet ist es und bereit zu tragen
Der künftigen Jahrzehnte schwere Last.

Die Zeit ist ernst. Man spürt's wie Hagelschauer;
Aus Ost und Westen zieht es schwarz heran.
Und düster folgt der treue, deutsche Bauer
Der alten Furche, hinter dem Gespann.
Gewehr im Arm, sobald sich Trommeln rühren,
Stehst du wie eine Mauer, stolz und stramm;
Du weißt das Schwert so meisterlich zu führen,
Willst du den Pflug verlassen, deutscher Stamm?

—   —   —   —   —   —   —   —   —   —
Gegründet ist's! Geduld, es wird wohl steigen,
Ein wackrer Bau, der Heimat Schutz und Wehr.
Von seinen Zinnen wollen wir uns zeigen
Der bessern Zeiten frohe Wiederkehr.

Geboren ist's! Der Junge ist geboren!
Er kostete manch kleines Stoßgebet.
Fünftausend Augen hat, fünftausend Ohren
Er heute schon; er hört, er sieht, er steht!
So kommt heran, in frohen, hellen Haufen;
Er wird Euch dienen einst, Herrn und Gesind',
Geboren ist er! Auf denn, laßt uns taufen!
Der Himmel segne dieses Tages Kind!

Das beste an der Sache war: ich begann wie ein preisgekrönter Sekundaner mein Gedicht zu deklamieren und blieb schon im zweiten Vers stecken. Aber dies brachte mich nicht im geringsten aus der Fassung oder vielmehr aus der Betäubung. Ich zog mein Papierchen aus der Tasche, sprach feierlich: »Meine Herren! Ich habe in den letzten Wochen Gescheiteres zu tun gehabt, als Gedichte auswendig zu lernen!« und las weiter.

Schultz-Lupitz sagte mir beim Nachhausegehen: das Gedicht sei nicht übel gewesen; aber die Bemerkung vom Auswendiglernen habe ihn fast zu Tränen gerührt. Schultz-Lupitz hat nämlich ein Herz, trotz seiner Kunstdüngerbegeisterung.


 << zurück weiter >>