Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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78.

Berlin, den 2. März 1889.

Laß mich ein wenig über die Schnur hauen, ehe mir der armsdicke Strick der kommenden Ausstellung wieder den Hals zuschnürt.

Obgleich ich zurzeit aus Geschäftsrücksichten meine Fenster luftdicht verschließe, machte sich der Sturm der jüngsten Landtagswahlen doch auch in meinem Bureau fühlbar. Als grundsätzlich Unbeteiligter kann ich seinem Pfeifen mit vergnüglicher Teilnahme lauschen. Die gereizte Empfindlichkeit, ein wahres Nationallaster unsrer Landsleute, das die meisten für eine Tugend halten und künstlich groß züchten, ist in solchen Tagen wahrhaft komisch anzusehen. Poggendorffs Wirkungskreis, der Klub der Landwirte, der seit fünfundzwanzig Jahren besteht, ist nahe daran, in die Luft zu fliegen, weil daselbst fünf Herren um einen Tisch saßen und eine Wahlpolitik besprachen, von der fünf andre nichts wissen wollten. Kiepert, Schultz-Lupitz, Dünkelberg und eine Anzahl unsrer Freunde, deren Namen Dir gleichgültig sind, wurden wiedergewählt. Wenn wir wollten, könnten wir bald eine kleine politische Rolle spielen. Damit wäre unsre Rolle aber auch ebenso bald ausgespielt. – –

Die Anmeldefrist für Magdeburg ist abgeschlossen. Ich stecke mitten im Ordnen und Einteilen des Platzes, eine Beschäftigung, die, wenn sie nicht in Sturmeseile vorgenommen werden müßte, unterhaltend wäre wie ein Geduldspiel. Das Ganze wird um ein Drittel umfang- und inhaltsreicher als Frankfurt, und groß genug, dem Deutschen Reich und seinen Bauern Ehre zu machen. Der Platz hat eine vortreffliche Lage und eine bequeme, wohlabgerundete Form. Nur der Boden, schwerer, undurchlässiger Lehm, wird mir Sorge machen, solange nicht alles vorüber ist. Wenn es regnet, sind wir verloren.

Doch ich wollte von diesen Dingen nicht sprechen, bis ich an Ort und Stelle nicht mehr anders kann. Vorläufig finde ich Zeit, noch ein wenig über den Bretterzaun zu blicken, der in wenigen Wochen meine Welt umschließen wird. Jenseits desselben interessiert mich gegenwärtig Ibsen ganz gewaltig. Natürlich schimpft man in Berlin und anderwärts über ihn, weil er größer ist als die Zwerge, die hier das große Wort führen und bald genug versuchen werden, ihn nachzuäffen. Beurteile den Mann nicht nach dem, was Du über ihn liesest. Es verstehen ihn heute noch wenige. Versteht er sich doch selbst kaum und sagt es gerade heraus, wenn auch in etwas andern Worten. Seine Gedanken kommen nicht zur Klarheit, meinen Deine Kritiker. So?! Ist die Menschheit seit sechstausend Jahren zur Klarheit gekommen? Ist es nicht nachgerade an der Zeit, dieser bittern Wahrheit ins Gesicht zu sehen und unser Elend zu schildern, wie es war, wie es ist und wie es allem nach bleiben wird, solange wir Menschen sind? Worin mag das Gute liegen, unsre Dichtungen mit einem Phantasieschluß abzurunden, dessen Unwahrheit jeder Denkende täglich vor Augen hat? Du magst über Ibsens Philosophie und Ethik denken, wie Du willst: es bleibt ein Labsal, wieder einmal einem Poeten zu begegnen, der seine eignen Wege geht, seien sie auch noch so krumm. Wie wenige haben das Zeug dazu, und wie wenige, die das Zeug hätten, den Mut.


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