Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Erntezeit

Mit den Stunden am Bach des Paznauns schloß für mich die Zeit, welche zur Gründung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft geführt hat. Mit dem Marsch über den Zeinispaß zurück in die menschenbelebte Welt beginnt der zweite Abschnitt der Jahre, die ich nicht ohne Vorbehalte aller Art Meisterjahre zu nennen wagte. Nach den Lehr- und Wanderjahren mußte ich ja in diese Bezeichnung hineinwachsen, ob ich wollte oder nicht, und allzu überstürzt ging auch dies, wie man gesehen hat, keineswegs.

Fünf Jahre kostete mich der erste Versuch, den Meister zu spielen, anstatt der drei, auf die ich gerechnet, dazu all meine Zeit, anstatt nach meinem hübschen Plan die Hälfte. Fast das doppelte bezahlte ich für die Fortsetzung, obgleich ich fast von Jahr zu Jahr in der Hoffnung lebte, einen Strich unter die Rechnung machen zu können. Allein ich hatte eine Aufgabe gefunden, die all dies wert schien, und Freunde genug, die nicht müde wurden, mir auseinanderzusetzen, wie gewissenlos es wäre, eine solche Gelegenheit im Stich zu lassen, ihnen nützlich zu sein. Kein Wunder, daß ich anfing, dies zu glauben, und schließlich zu der Überzeugung kam, »mein Kind« – auch diese Bezeichnung hatten besagte Freunde erfunden und gebrauchten sie rücksichtslos, wenn sie den alten Junggesellen an seiner schwächsten Seite packen wollten – mein Kind nicht verlassen zu dürfen, ehe es selbst zu gehen imstande war. Zu dieser Überzeugung kommt aber ein Vater erfahrungsgemäß außerordentlich langsam. Sie kostete mich neun weitere Jahre.

Vereine gründen ist keine Kunst, wenn es in der üblichen Weise geschehen kann; hinter einem Glas Bier oder mit Hilfe einer »zündenden« Rede. Weitaus schwieriger ist das Erhalten, das Weiterführen des im Schwung der Begeisterung Geschaffenen. Gewöhnlich sind die, welche das Neue mit den schönsten Phrasen begrüßten, die ersten, welche im Sumpf der allgemeinen Gleichgültigkeit wieder verschwinden. Dann geht die Schar derer, die sich enttäuscht abwenden, weil die Neubildung sich nicht geeignet erweist, ihren Liebhabereien allein zu dienen, und schließlich erscheinen die Nörgler und Neuerer, die keine Geduld haben, das Pflänzchen Boden fassen zu lassen, ihm immer wieder einen andern Kunstdünger unterschieben, einen neuen Pfahl zur Stütze geben wollen, was oft genug sein junges, hilfloses Leben kostet. Daß die D. L. G. diesem Schicksal entging, verdankt sie vor allem dem Umstand, daß keine Gelegenheit versäumt wurde, den Mitgliedern, die sich rührten, greifbare Arbeit zu verschaffen. Dabei wurde vielleicht dies und das begonnen, was nicht zum erwünschten Ziel geführt hat, manches, was besser ganz unterblieben wäre. Aber selbst ein gelegentlicher Fehler erwies sich vorteilhafter als der größte aller Fehler: Müßiggang; jener gesellschaftliche Müßiggang, den man mit ziellosem Schwatzen auszufüllen pflegt.

In vielem wurde die Sache fühlbar leichter. Die aus einer erschreckenden Hoffnungslosigkeit hervorgehende Trägheit war fast geschwunden. Manchem werden heute die Klagen hierüber, die sich in den vorangehenden Briefen gelegentlich Luft machen, unbillig und übertrieben erscheinen. Sie waren in jenen Anfangsjahren in vollem Maße berechtigt. – Die Mittel der Gesellschaft wuchsen in überraschender Weise. Nicht nur erwiesen sich die 20 Mark Jahresbeitrag, die niemand ernstlich wehe taten, als ein wahrer Segen für das Ganze: auch die Verträge mit dem Kalisyndikat brachten Summen, die man ursprünglich weit unterschätzt hatte. So gab das so seltene Gefühl, aus dem Eignen zu schöpfen, der Gesellschaft eine Schaffensfreudigkeit, die oft schwer zu zügeln war. Die anfänglich mit Widerstreben anerkannten Grundsätze der eifersüchtig zu wahrenden Selbständigkeit, der scharfen Umgrenzung des Arbeitsgebiets, des Niederhaltens jeder politischen Regung innerhalb, der völligen Gleichgültigkeit gegen die politische Farbe der Mitglieder außerhalb der Gesellschaft: all das wurde mehr und mehr eine Gewohnheitssache und gehörte bald zu den bleibenden Errungenschaften der D. L. G.

Bleibend in wirklich verwunderlichem Grade war auch das Anwachsen der Mitgliederzahl, das uns jährlich rund tausend neue Mitglieder zuführte. Wohl zwei Drittel derselben gewann die Gesellschaft durch die Ausstellungen, welche das Verständnis für ihre Grundsätze und ihr Wirken alljährlich in einen neuen Gau Deutschlands trugen. Ebenso stetig war das Anwachsen des gesellschaftlichen Vermögens, trotz der teilweise schweren Verluste, die die Ausstellungen mit sich brachten, und der grundsätzlich offenen Hand, mit der jede Maßregel in Angriff genommen wurde, die der Allgemeinheit zu nutzen versprach. Gleichzeitig wurde darauf gehalten, nichts zu verschenken, das heißt wo irgend möglich jedes Unternehmen so einzurichten, daß es seine eignen Kosten deckte, aber auch so, daß es der Gesellschaft nicht mehr als seine eignen Kosten einbrachte. Auf dieser Grundlage entstanden der Reihe nach die Geschäftsstellen für Saatgut, für Futtervermittlung, für Bau- und für Gerätewesen.

Auch die allgemeine Organisation der Gesellschaft gewann an Festigkeit, neben der für ein ersprießliches Wirken erforderlichen Beweglichkeit. Es wurde bald eine nicht mehr schwierige Aufgabe, unsre Jahrespräsidenten zu finden, und wir durften unbedenklich nach denjenigen greifen, deren Einfluß und Stellung in dem Gau der kommenden Ausstellung von höchster Bedeutung war. Der Erbgroßherzog von Oldenburg, Prinz Heinrich von Preußen, Prinz Ludwig von Bayern, Herzog Wilhelm von Württemberg, die Großherzöge von Baden und Hessen ehrten uns und sich mit der Übernahme der Vertretung der D. L. G. vor dem deutschen Volke. – Das Direktorium hielt seine monatlichen Sitzungen mit musterhafter Regelmäßigkeit und Ausdauer. Der Gesamtausschuß vereinigte alljährlich dreimal seine Mitglieder, die sich selbst manchmal nicht genug wundern konnten, wie sie es fertig brachten, aus allen Gauen Deutschlands in so stattlicher Anzahl zu erscheinen. Das alles löste sich langsam und unmerklich von dem Vorbild, für das uns ursprünglich die englische Royal Agricultural Society gedient hatte, und nahm Formen an, die der deutschen Art entsprachen. Die Gesellschaft hatte Wurzel gefaßt und sog ihr Leben von jetzt an aus dem heimischen Boden.

Der Reiz der Neuheit allerdings war dahin, und mancher, den die Neuheit angezogen hatte, blieb nunmehr zurück. Dafür aber fanden sich stetige Mitarbeiter, die, jeder auf seinem Gebiet, redlich mithalfen, dem Ganzen in seiner Vielseitigkeit eine immer vollkommenere Gestalt zu geben und die Aufgaben heranzuholen, auf die die Gesellschaft ihrer Natur nach hingewiesen war. Ich selbst bekam in diesen Jahren erst einen Begriff davon, welch vielseitiges, schwieriges, alle geistigen Kräfte und alles Wissen des modernen Lebens in Anspruch nehmendes Gewerbe die Landwirtschaft ist, und wie sehr diejenigen irren, die in dem Landwirt von heute noch immer den an der Scholle klebenden, dumpf hinarbeitenden Bauern der alten Zeit sehen zu müssen glauben.

Daß ich kein praktischer Landwirt war, empfand ich in der Stellung, in die ich hineingeraten war, oft peinlich genug. Doch hatte es auch seine Vorteile. Meine Aufgabe war eine andre, als über die Einzelheiten des Gewerbes klug mitzureden, oder in dem Streit der Ansichten über hundert zweifelhafte Fragen der Praxis Partei zu ergreifen. Das war Sache der landwirtschaftlichen Mitglieder der Gesellschaft. Die meinige war, ihnen freie Bahn zu schaffen, über die Grundsätze zu wachen, auf denen die Gesellschaft ruhte, den Bau zu erhalten, unter dessen Dach die andern ein fröhliches und ungestörtes Leben der Tat führen sollten.

Als mein Sondergebiet betrachtete ich die Leitung der Wanderausstellungen, deren jährliche Wiederkehr anfänglich manchem Widerspruch begegnete. Sie waren und blieben indessen die Haupttat der Gesellschaft und haben in bösen und guten Tagen ihre belebende Wirkung, ihre zusammenhaltende Kraft, ihren unberechenbaren Nutzen für die Allgemeinheit bewährt.

Für alles andre hatte ich das große Glück, in dem späteren Landesökonomierat Wölbling einen Mitarbeiter gefunden zu haben, wie wir, und namentlich wie ich ihn brauchten. Ein wunderliches Gespann, wenn ich uns recht verstehe. Er ein Norddeutscher, ein Preuße, mit all dessen charakteristischen Tugenden und einigen seiner Fehler, ich ein in ähnlicher Weise ausgestatteter Süddeutscher und Schwabe. Er mit der angeborenen Verehrung für starre Formen, für den Halt und die Ordnung, die uns der Buchstabe sichert, ich jederzeit und grundsätzlich bereit, über alle Formen wegzuspringen, wenn sie dem Guten im Weg zu liegen schienen. Wir harmonierten nicht immer; aber wir behielten stets das gleiche Ziel im Auge und schleppten den gewaltigen Wagen zwölf Jahre lang gemeinsam über eine gute Strecke Wegs, nicht ohne Erfolg.

Dies war keineswegs immer sonderlich aufregend. Im Gegenteil. Die Sache war jetzt so weit gediehen, daß die oft mühevolle, einförmige Werktagsarbeit an die Stelle des interessanten Schaffens trat. Es kam die Zeit, in der die Geduld die größere und notwendigere Tugend war als der Mut. Dies gibt natürlich auch meinen Briefen ihre Färbung. Das wichtigste Ereignis, das sich in denselben widerspiegelt, bleiben die Ausstellungen, die mir Gelegenheit boten, im Lauf von zehn Jahren zehn der größeren Städte Deutschlands von einer Seite kennen zu lernen, die ein Vergnügungsreisender nie zu Gesicht bekommt. Bei aller Mannigfaltigkeit, die diese Städtebilder boten, bei all den Wechselfällen, die das innere Leben der D. L. G. mit sich brachte, würde es sich nicht lohnen, so vollständig wie bisher Briefe mitzuteilen, die sich in eingehender Weise mit der weiteren Entwicklung der Gesellschaft und meinen Beziehungen zu derselben befassen. Gut Ding braucht lang Weil und Langeweile. Ich tue mir etwas darauf zugut, auch diesen Teil der Aufgabe getragen zu haben. Aber notwendig ist es nicht, nachträglich andre daran teilnehmen zu lassen. Ich beschränke mich deshalb in folgendem darauf, einige wenige Briefe heranzuziehen, oder Teile andrer zusammenzustellen, die den allgemeinen Verlauf der Sache andeuten oder darauf hinweisen, wo ein heiterer Lichtpunkt oder ein dunklerer Schatten auf meinen Weg fiel.

Erster Abschnitt. 1887 – 1888

Breslau

66.

Berlin, den 30. Oktober 1887.

Herbststimmung! – Ich trabe wieder im gewohnten Geschirr; etwas ruhiger, darf ich hoffen. Man legt auch so eine gute Strecke zurück, wenn man sich nicht stören läßt.

Deshalb habe ich meine Morgenspaziergänge wieder aufgenommen und raschle von acht bis halb zehn Uhr als wandelnde Herbststimmung durch das fallende Laub des Tiergartens. Es läßt sich mancherlei gegen Berlin sagen, aber Luft ist in seiner Umgebung noch zu finden, und in den Frühstunden da und dort ein Plätzchen, wo man nicht überfahren wird. Auf den kunstvoll gewundenen Parkwegen – es hat die armen Preußen keine kleine Anstrengung gekostet, gekrümmte Pfade anzulegen, und sie brachten es wohl nur übers Herz, indem sie zur Erholung von Zeit zu Zeit eine meilenlange Heerstraße, so gerade wie ein Pfeil, durch ihren Tiergarten zogen – auf den gekrümmten Wegen trifft man manchmal noch gewundenere alte Wasserläufe aus der Wendenzeit, in denen auf polizeiwidrig schwarzem Wasser gelbe Blätter schwimmen und sich auf diese Weise der Aufsicht des Gartenpersonals entziehen. Auch dies tut wohl. Es paßt zu der verdrießlichen Morgenstimmung. Man fühlt sich auf ein Viertelstündchen eins mit der Natur, und darin liegt schließlich alles irdische Behagen des Menschen. –

Allabendlich stürze ich dagegen, zu weiterer Beruhigung, in die Orgien der Weltstadt, schlage mich durch einen elektrisch beleuchteten Herbstnebel und höre die Pastoralsymphonie von Beethoven oder ein seufzendes Violoncellsolo. Ja, ich besuchte in den letzten Wochen öfter als gut war die Theater und überzeugte mich zum hundertstenmal, daß in Theatersachen nur das Allervorzüglichste für mich gut genug, dieses aber fast nie zu haben ist. Dagegen das Gegenteil in Menge. Es ist ganz unglaublich, welch kläglicher Blödsinn Abend um Abend Tausende von scheinbar vernünftigen Menschen anzieht, die nicht müde werden, den Jammer mitanzusehen. Im allgemeinen kann ich zu Deiner Beruhigung sagen, daß die Sachen, die hundertmal wiederholt werden, harmloser sind als Ähnliches in London und Paris, wenn auch so roh bemalt, so ungeschickt gestellt, so fratzenhaft verzeichnet, daß man seinen Augen nicht mehr traut, geschweige denn dem Verständnis der Schauspieler und dem Verstand der erfolgreichen Theaterdichter. Vom geistreichen Schick der letzteren, wie in Frankreich, von der feinen Ausarbeitung realistischer Einzelheiten der ersteren, wie in England, keine Spur. Betrübt gehe ich an jedem dieser Abende durch den gasbeleuchteten Regen nach Haus; denn um elf Uhr werden in Berlin die elektrischen Lampen ausgedreht und die Gasflammen wieder angesteckt, um dem Fortschritt nicht allzu rasch in die Molochsarme zu fallen.

Du liest vielleicht zwischen den Zeilen, daß der Versuch, des Herbstwetters halber einen Lebemann nach modernem großstädtischem Zuschnitt aus mir zu machen, bis jetzt geringen Erfolg aufweist. Dagegen komme ich zu Dingen, für die ich im stillen Schruns und stilleren Paznaun keine Zeit fand, und lese Hartmanns »Philosophie des Unbewußten« mit Ernst und Genuß. Man findet dabei manches Unerwartete und Anwendbare; zum Beispiel, daß sich ein Frosch, dem man das Gehirn herausgenommen hat, noch immer nachdenklich unter einem Stein verkriecht, wenn er gezwickt wird, und daß ein Heuschreck mit abgeschnittenem Kopf nicht nur sechs Tage lang weiterlebt, fast, als wäre nichts geschehen, sondern noch am dritten eifrig den Mädchen seiner Gattung nachläuft, ja, sogar völlig kopflos in den Stand der Ehe tritt, natürlich nach Heuschreckenart. Ähnliches kommt ja bekanntlich auch bei Menschen vor. In einem Zwischenakt eines der oben berührten Theaterstücke, Schwänke genannt, machte mir der Gedanke viel zu schaffen: Sollten in dieser Welt des Unbewußten nicht vielleicht Schwänke von hirnlosen Fröschen und kopflosen Heuschrecken geschrieben worden sein, die uns jetzt als schandbare Plagiate aufgetischt werden?

Zehnmal interessanter finde ich immer wieder die Lustspiele und kleinen Tragödien, die wir selbst aufführen, wozu der letzte Monat mit den Ausschußsitzungen der D. L. G. reichlich Gelegenheit bot. Denselben ging ein Nachspiel der Frankfurter Ausstellung voran, das mich noch einmal auf vierzehn Tage dorthin führte: die Prüfung maschineller Obstdörrapparate, bei der ich zum erstenmal mit der Gründlichkeit und dem Ernst zu Werk zu gehen versuchte, die bei der Royal Agricultural Society üblich sind. Mit Entsetzen entdeckte ich hierbei, wie weit wir auf diesem Gebiet zurück sind. Die Herren Fabrikanten bringen halbfertige Maschinen, haben keine Ahnung, was sie leisten, kommen mit Leuten, die nie mit denselben gearbeitet haben, machen, ohne eigentlich lügen zu wollen, über Brennmaterialverbrauch, Leistungsfähigkeit und dergleichen Angaben, die um hundert und zweihundert Prozent von der Wahrheit abweichen, so daß ich während der Versuche beständig Kohlen nachzukaufen und schließlich dreißig Fässer Obst übrig hatte, die die Herren in der angegebenen Zeit nicht zu dörren imstande gewesen waren. Kurz, es war hochinteressant und tief betrübend. Hier ist noch alles, alles zu schaffen, zu erziehen, umzubilden. Nachdem unter diesen Verhältnissen die Richter, die sich redlich abgequält hatten, mit Mühe und Not zu einem leidlichen Ergebnis gekommen waren, erschienen die nicht prämiierten Aussteller, rot vor Zorn, und bedrohten die D. L. G. mit gerichtlichen und andern Schritten, wenn sie nicht ebenfalls mit Preisen bedacht würden. Unerhört! meinten sie, ihnen all diese Schererei aufzuhalsen und sie ohne Preis nach Haus zu schicken! Natürlich war ich stocktaub und schnitt weitere Anstürme ab, indem ich mich in einem Schlafwagen des Frankfurt-Berliner Nachtzugs verschanzte.

Es war die höchste Zeit, denn eine Woche wichtiger Sitzungen war in Berlin angebrochen, die überdies die nominell geschäftsführerlose Zeit, in der ich tatsächlich Herr und Knecht, Koch und Kellner gewesen war, zum Abschluß brachte. Denn mit dem 1. Oktober trat Wölbling, der sich in hervorragendem Grad bewährt hatte, seine Stellung dauernd an. Die Sitzungswoche verlief so glatt, als es bei deutschen Sitzungen möglich ist, das heißt mit kleinen Zwischenfällen, die den Nichtbeteiligten den Eindruck machen konnten, als ob man sich und die Welt in Stücke reißen wolle. Doch sagten die meisten am Schluß, es sei merkwürdig, wie sich das Ganze im Geist vernünftiger Versöhnlichkeit bewege, den ich mir, wenn ich ihn auch nicht bemerken konnte, aus dem Segen gemeinsamer Arbeit erkläre.

In der Tierabteilung beschlossen sie in meiner Abwesenheit, die Zeit zwischen dem Schluß der Anmeldungen und der Eröffnung der Ausstellung zu verkürzen. Ich erklärte dem Vorsitzenden, sobald ich davon hörte, daß ich meine Stellung in der Gesellschaft niederlegen und morgen nach der Riviera abreisen werde. Denn ich sei an der Kürze dieser Zwischenzeit in Frankfurt fast gestorben, und habe nicht im Sinn, für eine kürzere mein Leben zu lassen. Worauf der Beschluß in einer schleunigst einberufenen Nachsitzung wieder aufgehoben wurde, und meine Verzweiflung über die Torheit des Menschengeschlechts sich legte.

Auch Nathusius hat seine Nöten. Gegen seine Führung in Tierzuchtfragen hat sich eine kleine energische Partei gebildet, die eine Protestversammlung einberief. Es erschienen aber nur vier Leute, die mit geballten Fäusten und hängenden Köpfen wieder auseinander gingen. Wer von den zwei Parteien recht hat, weiß ich nicht, kümmere mich auch nicht darum. Das sollen die Herren Tierzüchter untereinander ausmachen. Eine alte Wahrheit aber hat der Vorgang aufs neue gezeigt: daß die Wucht wirklicher Arbeit, die Tat, alles Disputieren niederreitet. Denn Nathusius arbeitet wirklich mit wie keiner der andern.

Bitter waren die Kämpfe unter den Schafen – ob Wolle, ob Fleisch, ob Wolle mit Fleisch, ob Fleisch mit Wolle das Vaterland zu retten vermöge. Ich hätte es den sanften Geschöpfen gar nicht zugetraut, solche Stürme zu erregen. Heiter dagegen erschien, wenigstens mir, das Streiten in der Geflügelabteilung, wo sich die Herren verpickten, daß die Federn flogen. Wie ein gekränkter Achill verließ ein alter hitziger Doktor den Kampfplatz, weil man dem deutschen Huhn nicht zweimal, sondern nur anderthalbmal so hohe Preise geben will als den Italienern, Spaniern und Franzosen. Zwar muß er zugeben, daß das von ihm gezüchtete Bismarckhuhn mißglückt sei, denn seine entarteten Enkelinnen legen nichts mehr. »Aber das neue Reichshuhn!«

Das Wichtigste, wenn auch nicht das Heiterste, zuletzt: In Breslau scheinen die Sachen nicht so glatt laufen zu wollen, wie ich gehofft hatte. Ich glaubte nämlich in Ökonomierat Korn, dem Generalsekretär des schlesischen Provinzialvereins, einen warmen Freund einer Breslauer Ausstellung gefunden zu haben, weil er es war, der vor Jahren im Landwirtschaftsrat allgemein deutsche landwirtschaftliche Ausstellungen mit Geschick und Wärme befürwortet hatte. Aber ich lerne in Deutschland mehr und mehr Leute kennen, die für eine Theorie begeistert sind und sich ihrer Ausführung mit aller Kraft entgegenwerfen. Das geht über platonische Liebe. Der Kuckuck erkläre mir diese Menschen.

Mein zweiter Besuch Breslaus machte klar, daß ich es mit einem solchen Fall zu tun hatte. Es war aus praktischen Gründen, die ich heute besser als Korn zu beurteilen weiß, unmöglich, den von ihm vorgeschlagenen Platz im Osten der Stadt zu benutzen. Ich mußte einen andern suchen und fand ihn. Seit der Herr Ökonomierat nun sieht, daß die Ausstellung nicht ganz seiner Leitung unterstellt werden kann, daß sie eine deutsche, nicht eine schlesische zu werden droht, scheint er alles Vergnügen daran verloren zu haben, und will nur unter der ausdrücklichen Bedingung mitarbeiten, daß ihm schlechterdings keine Arbeit daraus erwächst. Wenn das nur alles wäre! Allein ein Mann von seiner Stellung und seinem Einfluß ist gefährlicher als ein Steinblock, der mitten im Wege liegt. Man kann nicht ganz um ihn herumgehen und hundert andre stoßen sich daran. Doch bange machen gilt nicht. Durch müssen wir!


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