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Berlin, den 28. Februar 1891.
Gestern ist Prinz Ludwig von Bayern Mitglied der D. L. G. geworden. Selten hat mich etwas so gefreut. Nun müssen die Bayern doch wohl mitspielen, ob sie wollen oder nicht; und bald, hoffe ich, werden sie auch sehen, wie gut das ist.
Fast wäre die Sache noch im letzten Augenblick schief gegangen. Ich hatte einen Brief an den Prinzen geschrieben, mit der Bitte um seinen Beitritt, den Krauß mit den nötigen Erläuterungen Seiner Königlichen Hoheit überreichen wollte. Aus Versehen schickte mein Sekretär dieses Schreiben anstatt an Krauß unmittelbar an den Prinzen. Der erstere, dem ich das Versehen sofort mitteilte, war darüber noch entsetzter als ich, und wir beide glaubten, daß die Sache nunmehr gründlich verfahren sei. Wenige Tage später kam jedoch die Beitrittserklärung des hohen Herrn, woraus sich zwei erfreuliche Schlüsse ziehen lassen: erstlich, daß der künftige König von Bayern großherzig genug ist, sich nicht allzuviel aus Formalien zu machen, und zweitens, daß die D. L. G. ihren Weg findet, auch wenn sie stolpert.
Nun soll mir aber die vorliegende Epistel, die in den höchsten Regionen beginnt, nicht mehr in das plebejische Alltagsleben heruntersinken. Eine gewisse Erregung war in den letzten Tagen im Kreis meiner engeren Freunde bemerkbar. Gleich mir war auch Schultz-Lupitz mit einem höheren Orden beglückt worden und fühlte das sogenannte Ordensfest herannahen, zu dem eine Anzahl der Neudekorierten befohlen zu werden pflegen. Vor acht Tagen kam die große, hagere Gestalt mit ihrem längsten Gesicht auf mein Bureau, um sich mit mir über die neueste Wendung der Hoftrachtsfrage zu beraten. Es handelte sich hierbei keineswegs bloß um Kniehosen, sondern um einen vollen Anzug im deutschen Renaissancestilbau, vielleicht gar mit Dreispitz und Degen, der 600 Mark kosten sollte, in welchem anderseits der Mensch unsrer Zeit aber auch aussieht wie ein betrübtes Hampelmännchen, mit einem Schnürchen unter dem Frack, das ihm Leben und Bewegung gibt. Wir beide, wie die gesamte frisch dekorierte Welt, wußten nicht, was Gesetz und Königstreue geboten, und hatten einen natürlichen Abscheu vor den 600 Mark und dem Hofschranzentum, das wir hinter den seidenen Strümpfen witterten. »Männer, nicht Hosen,« rief Schultz empört, »braucht der Kaiser!« Ich lief zu Geheimrat Orth, dem Rektor der Landwirtschaftlichen Hochschule, um mich zu erkundigen. Er war im verflossenen Jahr dabei gewesen und lachte triumphierend. Damals hatte die neue Hofkleiderordnung noch nicht das Licht der Welt erblickt; auch werden Professoren in einem Talar zugelassen, unter dem sie mit den Beinkleidern bis an die äußerste Grenze des Anstands gehen können. Ungetröstet begab ich mich ins Ministerium zu meinem Freund und Gönner Thiel. Ein Geheimer Oberregierungsrat mußte es doch wissen. Er war so gefällig, einen zweiten, noch geheimeren, einen »wirklichen« Geheimen, im Nebenzimmer zu Rate zu ziehen. Dieser gab den Orakelspruch ab, daß ich allerdings »berechtigt« sei, in Hoftracht zu erscheinen, zwingen könne mich aber niemand. Sehr schön! Nun fehlte nur noch die Einladung, und diese – kam nicht; womit ich allerdings meinen lieben Schultz schon längst zu beruhigen gesucht hatte. Denn ich wußte von andrer Seite, daß im königlichen Schloß bei einem großen Empfang Platz für höchstens 1500 Personen ist. Nun sind die eigentlichen Hofchargen 1200 Personen, und diese müssen nach alter Sitte dabei sein; denn dazu sind sie auf der Welt. Bleiben noch 300 Plätze. Nimmt man nun nur die im letzten Jahr frisch Dekorierten, so handelt es sich um etwa 2400 Personen. Von acht kann deshalb höchstens einer befohlen werden, und der kaum. Auch dürfte bei dieser Gelegenheit das Hofmarschallamt aus ästhetischen Gründen doch wohl nach den besten Waden greifen, und da war es natürlich, daß mein wackerer Schultz, trotz des Kainits – von mir will ich gar nicht sprechen – den Kürzeren zog. Ich weiß nicht, wie mein Freund dies empfand. Ich war in hohem Grad befriedigt und dankte es meinem Kaiser, daß ein Umbau der Schloßräumlichkeiten erst für das nächste Jahr in Aussicht steht. Dann sind wir schon veraltete Ritter und kommen nicht mehr in Betracht. Schließlich war ich im Lauf der letzten vierzehn Tage in Oldenburg, um unser hochverehrtes Mitglied, den Großherzog, und unsern neuen Präsidenten, den Erbgroßherzog, zu besuchen. Der erstere ist ein prächtiger alter Herr: eine stattliche Gestalt von fast väterlichwohlwollender Herablassung. Er unterhielt sich mit mir eine Stunde lang über Sozialdemokratie und Arbeitermangel, amerikanische Presse und australisches Korn. Der Erbgroßherzog ist Dragoneroffizier und vor allem Matrose, versprach aber in der zuvorkommendsten Weise, als Präsident der D. L. G. seine Pflicht zu tun. Unsre anfängliche Präsidentennot ist nachgerade ein überwundener Standpunkt. Er könne, schloß Seine Kgl. Hoheit mit gewinnender Liebenswürdigkeit, mich leider nicht zum Essen einladen, denn seine Mama und seine Frau seien beide krank, es werde deshalb heute im Großherzogtum nicht gespeist. Worauf ich dankbar und vergnügt nach Bremen zurückkehrte.