Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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82.

Magdeburg, den 1. Juli 1889.

Der Mensch denkt, Gott lenkt. – Die Ausstellung schloß in strahlendem Sonnenschein, und alles andre strahlte mit. Es waren prächtige Tage, die heute allerdings wie ein Traum hinter mir liegen, so daß ich mich an Einzelheiten kaum erinnere. Manches ging wohl auch etwas schief, wie es bei großen Veranstaltungen nicht anders sein kann, aber so vieles ging vortrefflich, daß man die kleinen Übelstände und Mißgriffe lachend übersah. Gearbeitet wurde tüchtig, Prüfungen aller Art abgehalten, 80 000 Mark in Preisen verteilt, wobei es sich zeigte, daß es unsern Richtern heiliger Ernst ist und daß sie mehr und mehr in ihre Aufgabe hineinwachsen. Die Ausflüge in einer Provinz, die der Glanzpunkt des landwirtschaftlichen Deutschlands ist, entzückten jedermann, und die »Vergnügungen« litten nur darunter, daß die Masse der Teilnehmer sie fast erdrückte und daß es in Magdeburg am Sonntagabend und Montag früh nichts mehr zu essen gab, bis Hilfe aus Nachbarstädten herbeigeschafft war.

Über die Ausstellung selbst möchte ich am liebsten kein Wort mehr verlieren. Jedenfalls habe ich diesmal wieder meine Ehrentantieme von einer Mark verdient. Die Schau hat ihre ernsteren Aufgaben erfüllt, und alles weitere kannst Du in den Zeitungen nachlesen, bis Du es müde bist, wie ich. Persönlich halfen mir über die erschöpfenden Tage hauptsächlich die alten Freunde Poggendorff und Krauß weg. Dabei sieht Krauß mit Vorliebe nach dem Vieh, Poggendorff neben dem Kassenwesen neuerdings auch nach den Tausenden von Kindern, die aus den städtischen Schulen angetrippelt kommen, beide aber mit mütterlicher Sorgfalt nach mir, wobei sie es diesmal glücklich zu verhindern wußten, daß meine Nerven streikten.

Ein Geschichtchen muß ich Dir doch erzählen, das Du in keiner Zeitung findest. In den schönen, halbwilden Parkanlagen des »Herrenkrugs«, wo sich die italienische Nacht und das städtische Feuerwerk abspielten, war es natürlich zum Erdrücken voll. Dort spazierte denn auch unser Freund Schultz-Lupitz, seiner Bedeutung für das Ganze wohl bewußt, an der Seite seiner Gattin und in Begleitung des Grafen v. A., meinem Gewährsmann, in würdiger Haltung durch die Menge. Von einem Platz an einem Tisch, von einem leeren Stuhl war keine Rede mehr, und Schultz-Lupitz' Grimm erwachte. Denn er liebt es, seinen Begleitern zu zeigen, mit welch wohlverdienter Hochachtung der Vorsitzende der Düngerabteilung von der Gesellschaft behandelt zu werden gewohnt ist. Endlich sahen sie einen Schutzmann, den Schultz mit Entrüstung fragte: »Haben Sie denn keine reservierten Sitze für die Vorstandsmitglieder?« »O gewiß!« versetzte das Polizeiorgan nach einigem Nachdenken mit großer Gefälligkeit. »Bitte, folgen Sie mir!« Damit brach sich der Mann des Gesetzes Bahn durch die Volkshaufen und führte die drei, die ihm dankbar nachdrängten, hinter eine prächtige Tannengruppe, wo er sie wohlwollend lächelnd auf drei niedliche, frisch angestrichene Häuschen mit ebenso vielen »reservierten Sitzen« hinwies. Ohne ein weiteres Wort zu sprechen, verloren sich die drei wieder im Volksgedränge.

Ich gönnte Schultz dieses Erlebnis ein wenig, denn ich hatte wenige Wochen zuvor einen freundschaftlichen Streit mit ihm ausgefochten, der auf beiden Seiten einen kleinen Ärger zurückgelassen hatte. Die Düngerabteilung, die in leicht erworbenem Gelde schwimmt, wollte einen wertvollen Preis für die Magdeburger Ausstellung stiften. Sie wählte hierfür ein prachtvolles Teeservice, und Schultz-Lupitz bestand darauf, in den Grund jeder Tasse die Worte malen zu lassen: »Gestiftet von der Dünger-(Kainit-) Abteilung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft.« Ich fand dies unappetitlich, und Schultz konnte meine Geschmacklosigkeit nicht begreifen. Es unterblieb; aber ich fürchte, er hat mir noch nicht verziehen.

Gegensätze berühren sich. Daher kam es wohl, daß mich in diesen letzten Magdeburger Tagen die Stille im Kreuzgang des Liebfrauenklosters mehr anzog als manch andres Schöne der alten, mächtig wieder aufblühenden Stadt, das aufzusuchen ich jetzt erst Zeit finde.

Unserm unermüdlichen Vergnügungsdirektor aber schickte ich zum Abschied trotz unsrer Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Fackelzugs und der Bergstöcke mein Wanderbuch mit einer Widmung, der man die unbeholfenen Reime zugut halten muß. Es waren die ersten wieder seit Breslau.

Du sorgtest für die Freude,
Ich für den Ernst der Sach',
So teilten wir uns beide
In manches Ungemach.
Sie spöttelten und lachten
Und kritisierten fein,
Doch ob sie's besser machten,
Mag wohl die Frage sein.
Ich laß getrost sie schimpfen,
Ich bin daran gewöhnt,
Ich weiß, daß Nasenrümpfen
Die schönsten Werke krönt.
Wohl flog manch dankend Grüßen
Auch über unsern Pfad;
Doch selber muß man wissen,
Ob seine Pflicht man tat.


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