Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Vierter Abschnitt. 1885 – 1886

Bonn und Berlin. Gründung der D. L. G.

39.

Bonn, den 28. Oktober 1885.

Die Flut der Glückwünsche hat sich verlaufen. Von Zeit zu Zeit trifft noch ein Nachzügler ein und beginnt, nach vorausgeschickter Entschuldigung, das mir jetzt fast allzu bekannte Sprüchlein. Ich packe alle in einen Bündel, den Du mit der nächsten Post erhältst; denn ich weiß, es wird Dich freuen, sie trotz ihrer Einförmigkeit durchzublättern. Auch hast Du das Bündelchen wohl verdient, denn es hat Dir manchmal mehr Sorge gemacht als mir. Der nahezu längste und wärmste Brief ist vom Fürsten von Hohenlohe-Langenburg. Sie haben dort oben im Süden aus ururalter Zeit eben doch noch ein Herz für alles, was unser altes deutsches Vaterland zu umfassen strebt, Partikularismus hin, Partikularismus her!

Zu den Glückwunschschreiben dieser Tage rechne ich zwei, die Du in dem Paket nicht findest. Das eine ist die Beitrittserklärung des Grafen Mirbach, den man gemeinhin als den Typus des schärfsten Agrariers ansieht. Wenn das am grünsten Holze geschieht, braucht uns das dürre keine Sorge mehr zu machen, o Kongreß Deutscher Landwirte! – Das andre ist das erste amtliche Schreiben, aus dem preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Der Minister fragt an, ob wir geneigt wären, eine Kommission auf eine Ausstellung in Buenos Aires zu schicken. Wir sind nicht geneigt. Seine Exzellenz erwartete wohl auch nichts andres, denn wir sind ja noch kaum fähig, auf dem heimischen Boden zu stehen. Daß wir aber begonnen haben, eine Stellung in der Welt einzunehmen, die ein solches Schreiben möglich macht, überrascht uns angenehm.

Ein Wunder ist es nicht, daß wir uns fühlen. 2655 Mitglieder und 54 000 Mark auf der Reichsbank – welcher landwirtschaftliche Verein sah seiner Gründung auf einem solchen Fundament entgegen?

Naturgemäß treiben wir jetzt rasch dem Ende des Anfangs zu. Es war in der letzten Zeit oft schwierig genug, ihn programmgemäß zurückzuhalten. Die Erfolge der Düngerabteilung regte andre in bedenklicher Weise an und auf. Ein Rittergutsbesitzer Bierling in Sachsen schwärmt für eine Saatgutabteilung, welche dafür sorgen soll, den deutschen Landwirten richtiges und reines Saatgut zuzuführen. Solches Drängen beweist, daß Leben in der jungen Schöpfung ist und daß unsre Mitglieder gierig sind, die Hand an den Pflug zu legen. Ich selbst verstehe von diesen Dingen nahezu nichts. Die Bewegung geht unmittelbar aus der Masse hervor, welche die Maschinerie, soweit ich sie geschaffen habe, gebrauchen möchte, um ihr und der deutschen Landwirtschaft Korn zu mahlen. Das ist's, was ich wollte, und darin sehe ich für mich den nicht unerwünschten Anfang des Endes.

Mitte November sollen entscheidende und arbeitsvolle Sitzungen in Berlin abgehalten werden, in denen der Geschäftsgang der Gesellschaft für die nächsten Jahre festgestellt werden muß. Vermutlich kann dann im Dezember die eigentliche Gründung der D. L. G. ohne weiteres Verhandeln und Streiten vorgenommen werden. Daran liegt mir viel. Wir sind zum Arbeiten zusammengetreten und müssen uns so rasch als möglich abgewöhnen, in pomphaften Wortgefechten den Zweck des Unternehmens zu sehen. Ich weiß, es geht dies vielen unsrer besten Freunde gegen den Strich. Diese Wortgefechte sind eine so hübsche Gelegenheit, kleine Eitelkeiten zu befriedigen, kleine Gehässigkeiten spielen zu lassen. Sie sind zur Gewohnheit, die Gewohnheit zur Krankheit geworden und verzehren eine Unsumme nützlicher Kraft. Ich halte es für meine erste Aufgabe, diesem Übel mit List und Gewalt entgegenzutreten. Namentlich mit List, denn es geht nicht an, einen Kranken in brüsker Weise auf seine Lieblingsleiden aufmerksam zu machen, ohne Nervenzustände hervorzurufen.

Mein persönliches Arbeitsziel bleibt vorläufig, regelmäßige, allgemeine deutsche Wanderausstellungen ins Leben zu rufen. Im ersten Jahr sind wir zweifellos noch nicht in der Lage, das Wagnis zu unternehmen, denn es handelt sich hierbei um eine Auslage von mindestens 200 000 Mark, die in fünf Tagen wieder eingebracht werden müssen. Schickt uns der Himmel ein paar Regentage in die Ausstellungswoche, so liegt die D. L. G., die harte Arbeit von drei Jahren, hilflos am Boden. In dieser Weise alles auf einen Wurf zu setzen, ist nicht vernünftig. Ich habe deshalb im Sinn, im ersten Jahr nur eine Wanderversammlung vorzuschlagen, nach der sich die älteren Herren sehnen, wie nach den Tagen ihrer Jugend. Schön; sie sollen sich wieder einmal ausschwatzen. Alle, mit denen ich hierüber Briefe gewechselt habe, sind begeistert für den Gedanken. Herr von Oehlschlägel in Sachsen ist es doppelt, seitdem ich Dresden für diesen ersten Versuch der Wiederbelebung der alten Einrichtung vorschlage. So gewinnen wir ein weiteres Jahr der Schonzeit, wachsen an Weisheit, Zahl und Geld, und können und müssen dann den Sprung wagen. Berlin natürlich würde der »Sitz« der Gesellschaft. Dies geht nicht anders, weil nirgends wie dort Leute zusammenströmen, die man braucht. Deshalb – denn die Nathusiussche Angst vor dem Verberlinisieren steckt auch mir in allen Gliedern – deshalb muß die erste Ausstellung so weit als möglich von Berlin entfernt stattfinden. Schon seit Monaten denke ich an Frankfurt a. M. und habe mich verstohlen umgesehen, ob und wo wir dort einen geeigneten Platz finden könnten. Gefunden habe ich zwar noch nichts, aber wo ein Wille ist, ist ein Weg, und zur Not auch ein Platz.

Vorläufig gilt es, diese Gedanken vorsichtig als anfechtbare Anregungen unter die Leute zu bringen, so daß bei ihnen das Gefühl entsteht, alles selbst erfunden zu haben. Etwas habe ich während meines Bonner Aufenthalts doch schon gelernt: Diplomatie, wie sie der Deutsche verlangt. In seiner Weise behandelt, bringt man ihn leicht dazu, zu tun, was man will. Du mußt ihm dies nicht verargen. Es war so zu allen Zeiten und nicht bloß bei unsern Landsleuten.


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