Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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93.

Königsberg, den 5. Juni 1892.

Laß mich die wiederkehrende äußere Ruhe und die gelinde Erschöpfung nach Schluß jeder unsrer Schauen dazu benutzen, die Haupterlebnisse meines Königsberger Aufenthalts zu überblicken. Die kurzen Zettelchen und Postkarten, die Du in den letzten Wochen erhieltest, gaben Dir doch nur den Eindruck, daß das sechsmal Erlebte sich zum siebentenmal nach der alten Melodie voll stürmischer Dissonanzen, chromatischer Tonleitern und quälender Septimen abgespielt hat.

Ganz so schlimm ist es nicht mehr, denn »was man schwarz auf weiß besitzt« und so weiter. Ich habe mir nämlich aus dem Verlauf vorangegangener Ausstellungsvorbereitungen ein Schema zusammengestellt, das vom fünfundsiebzigsten Tag vor der Eröffnung an von Tag zu Tag bestimmt, was geschehen und erledigt sein muß, um der Welt am Morgen des kritischsten aller Tage eine bis auf den letzten Nagel fertige Ausstellung übergeben zu können. Diese Gesetzestafeln ersparen viel unnötiges Nachdenken und geben das beruhigende Gefühl, daß alles in Ordnung sein wird, wenn ich ihnen annähernd nachlebe. –

Natürlich bringt jede Ausstellung Schwankungen und unerwartete Zwischenspiele in das papierene Programm, die mich vor dem Verknöchern bewahren. So begann die Königsberger Zeit mit einem zornigen Streit. Die Pferdezucht ist bekanntlich der Stolz von Ostpreußen. Einige der Hauptpferdezüchter der Provinz, von der schnarrenden und schneidigen Sorte, die gewohnt sind, mit tiefen Bücklingen begrüßt zu werden, wenn sie mit den Sporen klirren, wollten sich schlechterdings nicht in unsre wohlüberlegte und wohlbewährte Ausstellordnung fügen und ihre Tiere aufstellen, wie sie es auf ihren kleinen Provinzialschauen und Pferdemärkten zu tun gewohnt sind. Ich erklärte klipp und klar, daß und warum wir dies nicht dulden. Das Erstaunen eines Herrn S..., Georgenburg, kannte keine Grenze. Eine solche Erklärung seinen hocharistokratischen Pferden gegenüber sei ihm noch nicht vorgekommen. Er glaubte, einen niederschmetternden Trumpf mit der Bemerkung auszuspielen, unter diesen Umständen sein ganzes Gestüt zurückziehen zu müssen. Ich versicherte ihm, daß ich diesen Entschluß bedaure, aber mit Ergebung tragen werde. Ich würde jedoch vorziehen, nicht ein Pferd auf der Ausstellung, als die hart erkämpfte Ordnung unsrer Schauen durchbrochen zu sehen. Die Besprechung endete in dumpfem Groll, aber seine Anmeldungen trafen rechtzeitig ein. Es hat sein Gutes, wenn man es manchmal wagt, fest hinzustehen. –

Verglichen mit unsern westdeutschen Städten sieht Königsberg zurzeit etwas trübselig aus. Die Nähe der fast geschlossenen russischen Grenze und ein scharfer Gegensatz zwischen Stadt und Land, die nirgends so sehr aufeinander angewiesen sind wie hier, machen sich unangenehm fühlbar, auch für uns. Es ist ein beständiges Häckeln hin und her. Beispiel: Die Stadt, das heißt der städtische Magistrat, bezeugte keine Lust, die nunmehr üblich gewordenen zehntausend Mark für Preise auf der Ausstellung zu stiften. Darauf erklärte das Land, das heißt die Provinzialverwaltung: »Man braucht euch gar nicht; die Summe stiften wir.« Hierauf die Stadt, sehr ärgerlich: »Ihr kommt zu spät; wir haben sie schon gestiftet.« Darauf ich, mit äußerster Höflichkeit: »Hocherfreut! Aber davon haben Sie uns gar nichts gesagt.« Antwort der Stadt, grollend: »Das macht nichts. Es wäre schon gekommen. Jetzt aber sind wir erzürnt und wissen allerdings noch nicht, was wir tun werden.« Schließlich, nach vielem Briefschreiben, haben sich beide wieder so weit versöhnt, daß Stadt und Land – zu meinem Bedauern – je die Hälfte stiften.

Eine andre Schwierigkeit machte mehr Mühe und schwere Sorgen. Wir brauchen auf der Ausstellung etwa zweihundert Leute zum Vorführen der Tiere und bekamen hierfür, natürlich gegen Bezahlung, seit Breslau von der Militärbehörde Soldaten; doch waren die Verhandlungen mit dem Höchstkommandierenden des Platzes über diese Angelegenheit immer etwas kitzlicher Natur. Ich freute mich deshalb ganz besonders auf Königsberg, weil der vortreffliche Generalsekretär des dortigen Zentralvereins, ein Hauptmann a. D., versicherte, er werde im Handumdrehen die nötige Mannschaft besorgen. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Aus unerklärten und vielleicht unerklärlichen Gründen benachrichtigte mich der Festungskommandant, General von Werder: er werde keinen Mann für das unwürdige Vorführen landwirtschaftlicher Tiere beurlauben. Dies war besonders mißlich, weil uns, wie seinerzeit zu Magdeburg, die Maul- und Klauenseuche belagerte, und wir nur bei den Soldaten sicher sein konnten, seuchenfreie Leute zu finden. Umsonst waren meine Bitten und Vorstellungen, umsonst Briefe des Regierungs- und des Oberpräsidenten der Provinz, die vor der Klauenseuche nicht weniger zittern als wir. Der Herr verstockete Pharaos Herz, und das russische: »Monsieur, le général le veut!« schien auch auf preußischem Gebiet nicht zu versagen, bis unserseits alles eingeleitet war, die Sache dem Kaiser vorzulegen. Nun gab uns Exzellenz Leute, wenigstens für die Pferde, reiste aber am Tag vor der Eröffnung der Ausstellung ab, um seine teilweise Niederlage nicht auch noch mitfeiern zu müssen. Die noch fehlenden Leute trieb uns der sehr gefällige Landrat von seuchenfreien Gehöften zusammen. Es kostete ein schweres Geld, aber es ging. Die alte Geschichte: es geht immer, wenn man will.

Bezüglich des Verlaufs der Ausstellung empfehle ich Dir die Zeitungen, die über landwirtschaftliche Dinge zwar selten viel zu sagen wissen, aber Worte genug machen. Der Glanzpunkt der Schau war neben den Pferden das schwarzbunte Vieh Ostpreußens. Merkwürdig, daß an den beiden äußersten Grenzen Deutschlands, in Ostpreußen und in Baden, die Viehzucht ihre glänzendsten Triumphe feiert, und noch merkwürdiger, daß man es in beiden Fällen einem Mann zu danken hat: dort dem Oberregierungsrat Lydtin, hier dem Generalsekretär Kreiß, die der unvernünftigen Kreatur den Stempel ihres Verständnisses und ihres Willens aufgedrückt haben. Ein schönes Beispiel, wie der Mensch die Welt der Tiere bis in ihr innerstes Wesen beherrscht, wenn er will. –

Das Wetter war glänzend: vor- und nachher Regen und Sturm, an den fünf Ausstellungstagen nicht ein rauhes Lüftchen, nicht ein Tropfen Wasser. Trotzdem war der Besuch der schlechteste, den wir bis jetzt hatten. Die Ursache liegt darin, daß es keine kleinen Bauern in der Provinz gibt, die einer großen Ausstellung wegen in Bewegung geraten. Vom Großbesitz allein können auch wir nicht leben. Es wird ein hübscher Fehlbetrag zu tragen sein; aber dazu sind wir ja auf der Welt, nicht bloß in Ostpreußen. Wir können es glücklicherweise aushalten, und haben dafür dreihundert neue Mitglieder gewonnen, die in diesem äußersten Thule in keiner andern Weise erreichbar gewesen wären. – –

Mir selbst wird es, um aufrichtig zu sein, mit jedem Jahr etwas schwerer, den Karren zu schieben. Das ist nicht unnatürlich. Erstlich wird man älter, zweitens hat die Sache den anregenden Reiz der Neuheit verloren, drittens gilt es, immer wieder die alten Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten durchzufechten; allerdings mit Varianten, die an jedem neuen Platz hydraartig aufschießen. Ich sterbe nicht daran, aber ich frage mich manchmal, weshalb ich mich eigentlich mit Gewalt auf Dornen bette. Du siehst hieraus, daß ich mein Gleichgewicht noch nicht ganz wiedergefunden habe, obgleich der Ausstellungsplatz schon halb abgeräumt ist. Was noch fehlt, wird der Watzmann und der hohe Göhl bei Berchtesgaden in Ordnung bringen. Es ist doch gut, daß der Schöpfer in seine flache Welt auch Berge gesetzt hat.


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