Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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95.

Berlin, den 27. Februar 1893.

Ich lasse Dich in diesen Briefen reichlich an Sorgen und Mühen teilnehmen. Sollte ich Dir vorenthalten, wie sich Erfolge und Ehren um mich häufen? Das sei ferne!

Zu Staßfurt bei Magdeburg war vor ein paar Wochen eine große Kartoffelausstellung. Dort erschien ich meines Wissens zum erstenmal in Knollenform. Der Katalog beschreibt mich, wie folgt – nur muß ich einige Erklärungen einschalten, um mich auch in dieser Gestalt genießbarer zu machen –: »Stand Nr. 3. Geheimrat Eyth. Ein Sämling des Jahres 1888, gezogen aus der weißfleischigen sächsischen Zwiebelkartoffel mit »Erster von Frömsdorf« (bezeichnet meine Eltern, auf die Du nicht eifersüchtig sein darfst: der Vater, ein von Frömsdorf, offenbar adligen Geschlechts; bedenklicher erscheint die namenlose Mutter aus Sachsen). »Reifezeit spät« (scheint auf das Schwabenalter anzuspielen). »Von ausgezeichneten Speiseeigenschaften« (siehst Du!) »und langer Dauer. Ertrag im Jahr 1891 – 259 Kilo, im Jahr 1892 276 Kilo. Herr Schultz-Lupitz erntete von einer Knolle an einer Staude 15 Pfund großer, schöner Knollen und nannte diesen Sämling ein Weltwunder. Scheint für leichten Boden besonders geeignet zu sein.« « Letztere Bemerkung gefällt mir nicht. Sie macht den Eindruck einer für einen Geheimrat wenig passenden Leichtfertigkeit. Aber allerdings ist sie für Norddeutschland wichtig, das zumeist aus leichtem Boden besteht.

Gestern war Herr Cimbal, der glückliche Züchter dieses Geheimrats hier: ein hervorragender Gutsbesitzer Schlesiens, der mir seine Hochachtung in dieser Form zu erkennen gegeben hat. Ich dankte gerührt, sprach aber doch ein ernstes Wort mit ihm, infolgedessen es gelang, dem »Weltwunder« wenigstens den Titel zu entziehen. Es heißt in Zukunft nur noch »Max Eyth«. Herr Cimbal ist betrübt; in Schlesien versteht man nämlich den in Berlin nicht mehr seltenen Mangel an Ehrfurcht vor Geheimräten durchaus nicht. Du aber darfst stolz sein. Nicht jede Mutter sieht ihren Sohn – oder sind es Enkelchen? – gesotten und geschält auf dem eignen Tisch.

Nun aber zurück zu Müh' und Arbeit.

Das Wesentliche der großen Woche, die soeben zu Ende ging, waren die unvermeidlichen Kämpfe zwischen Nord und Süd, die die Münchner Ausstellung entfesseln mußte, obgleich auf beiden Seiten das lebhafteste Bestreben zutage tritt, in Eintracht zusammenzuarbeiten. Es ist wahrhaft rührend, zu beobachten, wie dieses Gefühl mit den Gegensätzen kämpft, welche die Natur in ihrem unerforschlichen Walten unserm deutschen Volke eingepflanzt hat.

Da waren, als erster Stein des Anstoßes, die Pferde. Die Bayern wehrten sich mit Händen und Füßen dagegen, ihre Pferde mit den norddeutschen zusammenzustellen. Wir wehrten uns mit Händen und Füßen dagegen, eine bayrische Sonderausstellung von Pferden auf einer Schau der D. L. G. zu dulden. Landesgrenzen darf es für uns nicht geben. Ich kann nicht auf Einzelheiten eingehen, ohne eine Broschüre zu füllen. Beiderseits sah man eine gewisse Berechtigung im Standpunkt des Gegners, aber schon im Oktober war man nach erbitterten Kämpfen auseinandergegangen, ohne einen Ausweg gefunden zu haben. Zu den Februarsitzungen schickten die Bayern ihren anerkannt zähesten und schlauesten Mann, den Landstallmeister Adam, der sich, gestützt auf zwei Pferdeprofessoren, der Norddeutschen erwehren sollte. Es schien stundenlang unmöglich, eine Einigung zu erzielen. Endlich, nach zwei Tagen heißen Sitzens, hatten Adam und seine Freunde bayrischerseits und der Vorsitzende unsrer Werbeableitung, General von Podbielski, den ersehnten Ausweg entdeckt. Man gab den bayrischen Pferden den Namen »Norier«, den eine alte, ehrwürdige Rasse aus der Zeit der Völkerwanderung führt. Als solche sind sie berechtigt, in getrennten Klassen und Ställen zu stehen. Das Gewissen der D. L. G. ist beruhigt, und der bayrische Oberlandstallmeister hat in der Freude seines Herzens die Prämien für Pferde fast verdoppelt.

Ähnliche Kämpfe, wenn auch etwas andrer Natur, gab es unter den Rindern. Die Bayern glaubten, nicht weniger als zwölf verschiedene Rassen in ihrem gesegneten Land aufzählen zu müssen. Wir konnten nicht mehr als sechs sehen, und diese kaum. Doch auch hier fand man schließlich einen gangbaren Mittelweg. Das Komische war, daß der bitterste Streit der letzten Tage nicht zwischen Nord- und Süddeutschland, sondern unter den Süddeutschen selbst entbrannt ist. Es war vorauszusehen, daß ein scharfer Wettbewerb um einen der höchsten, vom Prinzregenten gestifteten Ehrenpreise entstehen würde. Wir beabsichtigten, die Entscheidung in die Hände von drei Richtern – die übliche Zahl –, einem Badenser, einem Bayern und einem Preußen zu legen. Mit vielem Mühen und Bitten hatten wir endlich drei hervorragende Fachleute beisammen, die die schwere Verantwortung übernehmen wollten. Als aber der Herr aus Bayern hörte, daß die zwei andern aus Baden und Preußen sein sollten, weigerte er sich standhaft, mitzumachen; denn, sprach er, der Preuße und der Badenser, in jeder Hinsicht die ehrenwertesten Herren, werden mich überstimmen, so daß das bayrische Vieh zum voraus verloren und verkauft wäre. Nur dadurch, daß wir ausnahmsweise für diesen Fall fünf Richter ernannten und noch einen Württemberger und einen Sachsen zuzogen, war der Bayer zu bewegen, wieder teilzunehmen.

Auch in München selbst, wo ich schon halb zu Hause bin, sind ähnliche Kämpfe durchzufechten, namentlich bezüglich kleiner Nebengruppen, die sich an die Hauptausstellung anschließen möchten. Alle kommen uns mit der größten Liebenswürdigkeit entgegen, sichtlich aber auch in der Erwartung, daß wir als »Mädchen aus der Fremde« mit vollem Füllhorn unter sie treten werden, um dasselbe zu ihrem Nutzen zu entleeren. Auch kommen sie rasch genug auf diesen Punkt zu sprechen, und heucheln Enttäuschung, wenn ich mit bedenklicher Miene erkläre, daß wir nicht nach München kommen, um von Blumen, Bienen, Fischen und Hunden ausgesaugt zu werden. – »Gut,« sagen sie, nach einer schmerzlichen Pause, »wieviel können wir denn für unsre freudige Mitwirkung erwarten?« – »Ja, wieviel erwarten Sie denn eigentlich?« frage ich vorsichtig. »Wollen Sie nicht zuerst sagen, wieviel Sie ungefähr –,« schmachten die Blumen, leise duftend, und halten dann den Atem an. »Wir summen gar nichts,« lächeln die Bienen, »oder, um deutlicher zu sein: wir lassen uns in solch entehrende Verhandlungen nicht ein. Wir gehören zur Landwirtschaft wie Pferde und Rinder. Sie müssen dafür sorgen, daß wir anständig auftreten können.« – »Unter 3000 Mark können wir nicht freudig mitwirken,« platzen die Fische heraus, denen Hekate keineswegs, wie Schiller meint, den Mund verschloß. – »Wenn Sie diesen stinkenden Fischen 3000 Mark bewilligen, so müssen wir 5000 haben, sonst wird unserseits nicht geduftet,« brechen nun auch die Blumen in unangenehmer Deutlichkeit los. Die Hunde sind noch die bescheidensten und wollen sich mit einer Unterstützung von 600 Mark begnügen. Dies ist leider kein Märchen, sondern eine wahre Geschichte, die ich vor vierzehn Tagen durchleben mußte, nicht nur, ohne die Geduld zu verlieren, sondern lächelnd, den Blumen, Bienen, Fischen und Hunden die Pfoten drückend, oder was sie mir an deren Stelle geben wollten.

Doch das sind Nebendinge. Im großen ganzen stehen die Aussichten in München über Erwarten gut. Den kleinen Windstößen und Regenschauern, die jeder Ausstellung vorangehen, ist natürlich auch dort nicht zu entgehen. – –

Außerhalb unsrer Kreise stürmt es gegenwärtig ganz anders. Du hast von der großen Tivoliversammlung gehört, mit der die Geburt des Bundes der Landwirte gefeiert wurde. Der Grundgedanke ist kerngesund. Die Landwirtschaft, in und von der 22 Millionen Deutsche leben, hätten schon längst eine kräftige und vernünftige politische Vertretung haben sollen. Vieles wäre anders und besser, wenn der Stand seine politischen Pflichten erfüllt hätte. Aber von der Versammlung selbst ging ich unbefriedigt nach Hause. Viel Übertreibung, noch mehr derbes, häßliches Geschrei, und was mir das Unangenehmste war: eine gewisse, allzu durchsichtige Unwahrhaftigkeit in der beständigen Versicherung, daß es sich um keine politische Parteibildung handle. Was soll denn andres daraus werden? Damit will man sich natürlich die Möglichkeit wahren, zunächst in allen Wassern zu fischen. Dies kann aber nur kurze Zeit gehen, und die Unwahrheit muß sich schließlich rächen. Vorläufig ist übrigens alles wilder Most, der sich klären kann. Eins nur sehe ich voraus, daß wir, die D. L. G., über kurz oder lang fest hinstehen müssen, um nicht in den Strudel gezogen zu werden, in dem wir nichts nutzen würden und selbst zugrunde gehen müßten. Sachliche Arbeit und politische Kämpfe können unter einem Dach nicht gedeihen.


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