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Rom 30. Dezember 1835 bis 1. Januar 1836.
Viel später, um das Jahr 1817, erfuhr ich von Herrn de Tracy, daß das ausgezeichnete Gesetz über die Zentralschulen großenteils auf ihn zurückging. Mein Großvater war der würdige Vorsitzende des Ausschusses, der die Schule einrichten und der Departementsverwaltung die Lehrer vorschlagen sollte. Seraphie hatte ihn heftig getadelt, weil er dies Amt angenommen hatte. Aber als Begründer der öffentlichen Bibliothek war er es seinem Rufe schuldig, Leiter der Zentralschule zu sein.
Mein Magister Durand, der mir Stunden im Hause gegeben hatte, wurde Lateinlehrer an der Zentralschule: warum sollte ich dort an seinem Unterricht nicht teilnehmen? Seraphie hätte gewiß einen Gegengrund gefunden, aber wie die Dinge jetzt lagen, begnügte mein Vater sich mit ernsten Ermahnungen über die sittlichen Gefahren schlechter Bekanntschaften. Ich war gar nicht entzückt; die feierliche Eröffnung fand in den Sälen der Bibliothek statt, wo mein Großvater eine Ansprache hielt.
Die Lehrer waren: für Latein Durand; für Grammatik und ich glaube sogar für Logik Gattel; für Literatur Dubois-Fontanelle, Verfasser des Trauerspiels »Ericia oder die Vestalin« (1767), der zweiundzwanzig Jahre lang Redakteur der Zweibrückener Zeitung gewesen war;Die 1770 begründete »Gazette universelle de Politique et de Littérature de Deux-Ponts‹, an der er jedoch nur bis 1776 mitgearbeitet hatte. für Chemie Troussel, ein junger Arzt; für Zeichnen Jay, ein großer Schönredner, ohne eine Spur von Talent, aber gut, um den Kindern den Kopf heiß zu machen; für Geschichte Chalvet, ein junger armer Lüderjahn, ein Schriftsteller ohne jedes Talent; und schließlich für Mathematik Dupuy,Dupuy de Bordes (1746-1815), Napoleons Lehrer in der Artillerieschule zu Valence. der schwülstigste und väterlichste Spießbürger, den ich je gesehen habe, ohne einen Schatten von Talent. Dieser Mensch, knapp ein Feldmesser, wurde in einer Stadt gewählt, die einen Gros besaß! Aber mein Großvater hatte keine Ahnung von Mathematik und haßte sie; zudem empfahl sich Vater Dupuy, wie wir ihn nannten, durch sein schwülstiges Wesen der allgemeinen Hochschätzung. Dieser gedankenlose Mensch hat trotzdem ein großes Wort gesprochen: »Mein Kind, studiere die Logik von Condillac; sie ist die Grundlage für alles.« Das Spaßigste dabei ist, daß er nach meiner Meinung kein Wort von dieser Logik verstand, die er uns empfahl. Doch ich greife wieder mal vor.
Der einzige, der wirklich am rechten Platze war, war der Abbé Gattel, ein koketter, geschniegelter Mann, der stets in Frauengesellschaft war, ein echter Abbé des 18. Jahrhunderts. Aber er nahm seinen Unterricht sehr ernst, und ich glaube, er beherrschte die ganze damalige Sprachwissenschaft. Kurz, er war ein Mann, der täglich fünf bis sechs Stunden arbeitete, etwas Seltenes in der Provinz, wo man den ganzen Tag lang herumbummelt...
Die Ernennung der Lehrer kostete wenig und war bald erledigt, aber das Gebäude mußte stark renoviert werden. Trotz des Krieges geschah damals alles mit Tatkraft. Mein Großvater forderte von der Departementsverwaltung immer neue Mittel. Der Unterricht begann, ich glaube im Frühjahr, in provisorischen Räumen. Das Schulzimmer Durands hatte eine herrliche Aussicht, und nach Monatsfrist hatte ich Empfindung dafür.
Meine Angehörigen rühmten mir immerfort auf ihre Weise die Schönheit der Fluren, des Grüns, der Blumen, der Ranunkeln usw. Diese platten Redensarten haben mir eine Abneigung gegen Blumen und Blumenbeete eingeflößt, die noch andauert. Zum Glück überwand ich den Widerwillen, der mir derart eingeimpft wurde, durch die prächtige Aussicht, die ich von selbst aus einem Schulfenster entdeckte.
Ebenso veranlaßten mich viele Jahre später die vielen hochtrabenden Phrasen der Herren Chateaubriand und Salvandry, »Rot und Schwarz« in einem zu abgehackten Stil zu schreiben. Eine große Torheit, denn wer denkt in zwanzig Jahren noch an den heuchlerischen Schwulst dieser Leute? Ich habe ein Los in einer Lotterie genommen, deren Hauptgewinn heißt: im Jahre 1935 gelesen zu werden...
Es war für mich recht seltsam, im Frühjahr 1795S. Seite 112, Anm. 2. als zwölfjähriger Knabe zum erstenmal eine Schule zu besuchen, wo ich zehn bis zwölf Kameraden hatte. Ich fand die Wirklichkeit weit unter den tollen Bildern meiner Einbildungskraft. Diese Kameraden waren nicht heiter, nicht närrisch genug, und sie hatten recht gemeine Manieren.
Ich glaube, Herr Durand, der von seiner Stellung an der Zentralschule sehr geschwollen, aber nach wie vor gutmütig war, ließ mich Sallusts Jugurthinischen Krieg übersetzen. Die Freiheit zeitigte ihre ersten Früchte. Ich wurde wieder vernünftig, verlor meinen Ingrimm und fand viel Geschmack an Sallust. Alles an dieser neuen Freiheit verwunderte mich. Die Reize, die ich fand, waren nicht die erträumten. Die Kameraden, die ich mir so heiter, so liebenswürdig, so edel vorgestellt hatte, fand ich nicht, dafür sehr selbstsüchtige Gassenjungen.
Solche Enttäuschungen habe ich fast lebenslänglich gehabt. Nur das Glück des befriedigten Ehrgeizes war frei davon, als ich 1810 Auditor im Staatsrat und vierzehn Tage darauf Inspektor der kaiserlichen Mobilien wurde. Drei Monate lang schwamm ich in Genugtuung darüber, daß ich nicht mehr Kriegskommissar und als solcher dem Neid und der schlechten Behandlung der groben Handlanger des Kaisers bei Jena und Wagram ausgesetzt war. Die Nachwelt wird sich nie einen Begriff davon machen, wie grob und dumm diese Leute waren, wenn sie nicht auf dem Schlachtfelde waren. Und selbst da – woran dachten sie da? Wie der Admiral Nelson dachten sie stets daran, was jede Wunde ihnen an Dotationen und Orden einbrächte. Welche Bestien im Vergleich zu der hohen Tugend des Generals MichaudBeyle war 1801/02 bei ihm Adjutant. Siehe das Tagebuch aus Italien in diesem Bande. und des Obersten Mathis!Erwähnt in »Über die Liebe« (Bd. IV dieser Ausgabe), S. 250. – Zum Glück für die Wahrheit wird die Nachwelt ihr Heldentum im Jahre 1809 nach ihrem feigen Benehmen als Pairs von Frankreich und Richter im Jahre 1835 beurteilen!...
Doch mein Gott, wo war ich eigentlich? Bei meinen Lateinstunden im Schulgebäude!
Bei meinen Kameraden hatte ich kein Glück. Heute erkenne ich, daß ich damals ein höchst lächerliches Gemisch von Hochmut und Vergnügungsbedürfnis war. Ihrem schroffen Egoismus setzte ich meine Ideen von spanischem Edelmut entgegen. Es wurmte mich, wenn sie mich bei ihren Spielen beiseite ließen. Um das Unglück voll zu machen, kannte ich diese Spiele nicht. Mein Zartgefühl, mein Edelsinn mußte ihnen als völliger Blödsinn erscheinen. Ein schlauer, tatkräftiger, schroffer Egoismus ist das einzige, was bei Kindern Erfolg hat.
Um meinem Mißerfolg die Krone aufzusetzen, war ich schüchtern gegen den Lehrer. Ein zufälliger Tadel, den dieser kleine pedantische Spießbürger mit der rechten Betonung aussprach, trieb mir die Tränen in die Augen. Das war eine Feigheit in den Augen meiner Mitschüler Gauthier, de Saint-Ferréol, Robert (jetzt Direktor des italienischen Theaters in Paris) und besonders Odru. Das war ein sehr kräftiger und noch gröberer Bauernjunge, einen Fuß größer als wir alle. Wir nannten ihn daher Goliath. Er war tolpatschig wie dieser und gab uns kräftige Kopfnüsse, wenn sein grobes Hirn merkte, daß wir ihn zum besten hatten.
Herr Dupuy, dieser schwülstige, lachhafte Spießbürger, war eine Art von untergeordnetem Nebenbuhler meines Großvaters. Vor dem Adel lag er auf dem Bauche, aber dieser Vorteil, den er vor Herrn Gagnon voraus hatte, wurde durch den völligen Mangel an Liebenswürdigkeit und literarischen Ideen aufgewogen, die damals gewissermaßen das tägliche Brot der Unterhaltung bildeten. Da er eifersüchtig auf Herrn Gagnon war, der Vorstand der Schulkommission und sein Vorgesetzter war, ließ er die guten Worte, die dieser erfolgreiche Nebenbuhler für mich einlegte, nicht gelten, und so erkämpfte ich mir meine Stellung in der mathematischen Klasse nur durch eignes Verdienst...
Am Schluß des JahresDie ersten Preise wurden am 16. September 1797 verteilt. Im Revolutionskalender endete das Jahr im Herbst-Äquinoktium. fanden Prüfungen im Beisein der Schulkommission und eines Departementsmitgliedes statt. Ich wurde nur mit Ach und Krach versetzt, wahrscheinlich nur aus Gefälligkeit für Herrn Gagnon und ein andres, mit ihm befreundetes Kommissionsmitglied. Mein Großvater fühlte sich beschämt und sagte mir das mit aller Höflichkeit...
Diese Lehre der Bescheidenheit war mir sehr nötig, denn um die Wahrheit zu sagen, hatten meine Angehörigen, deren Werk ich war, mir einen hohen Begriff von meinen Talenten beigebracht, und ich hielt mich für den vornehmsten Jungen in Grenoble. Meine Minderwertigkeit bei den Spielen meiner Mitschüler hatte mir jedoch schon etwas die Augen geöffnet ...
»Warum hast du keinen Preis bekommen?« fragte mich mein Großvater.
»Ich hatte keine Zeit dazu.«
Der Unterricht hatte in diesem ersten Jahre, soviel ich mich entsinne, nur vier bis fünf Monate gedauert.
In Claix ging ich auf die Jagd, aber während ich durch die Felder streifte, wiederholte ich mir immerfort die Frage: »Warum hast du keinen Preis bekommen?«...