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Wir verließen Paris am 29. April um vier Uhr morgens und kamen gegen vier Uhr nachmittags in Rouen an. Unterwegs sah ich einige hübsche Gegenden, schön gelegene Häuser, schönes Grün und angenehm wirkende Anpflanzungen. Besonders die Obstgärten fallen durch die Größe, Schönheit und Menge der Bäume auf. Aber das alles macht mir nur den Eindruck von Wohlstand, Reinlichkeit und stiller, gleichmäßiger Emsigkeit. Am hübschesten war das Dörfchen Fleury, fünf bis sechs Wegstunden vor Rouen, das gut gebaut ist und inmitten eines saftgrünen, gut angepflanzten und bewässerten Tales liegt. Aber es fehlt ein kräftiger Gießbach und zwei Felsränder!
In Rouen sind wir bis sechs Uhr umhergegangen und haben uns das Innere der Stadt angesehen. Es ist ebenso häßlich wie in Troyes, Holzhäuser mit vorspringenden Giebeln in jedem Stockwerk. Wir besuchten das Haus, in dem Corneille am 9. Juni 1606 geboren wurde. Es ist ein dreistöckiges weißes Häuschen, sehr einfach oder vielmehr sehr häßlich. Corneille ist im zweiten Stock geboren. Die Provinzler haben keine prunkhafte Inschrift angebracht. In wilder Einsamkeit würde dies Haus mit der Inschrift: »Hier wurde Corneille geboren« großartig wirken. Aber mitten zwischen den Färbereien von Rouen macht es keinen Eindruck auf das Herz.
Am 30. April sind wir um fünf Uhr früh nach Le Havre gereist. Wir sahen einen schönen Stadtteil längs der Seine, wie die Pariser Boulevards, bepflanzt, an einen hübschen Höhenzug angelehnt, der mit schönen Häusern übersät ist. Le Havre besteht aus einer hübschen Straße mit einer Anzahl von Häusern. An dem Ende, das dem Höhenzug entgegengesetzt ist, liegt das eine Hafenbecken, das andre beim Stadteingang. Beide sind voller Schiffe.
Auf dem Meere sahen wir ein paar Fischerboote; mir, der das Meer zum erstenmal sah, schienen es viele. Mit Entzücken sah ich diese gebrechlichen Fahrzeuge der Gefahr trotzen. Das Rauschen der Wogen, obwohl, das Meer sehr ruhig war, fällt stark auf. Vormittags stiegen wir auf einen Felsen rechts von der ersten Mole. Auf diesem Felsen stehen zwei sehr hübsch gebaute Leuchttürme.
Abends war das Meer sehr ruhig; es waren nur noch zwei bis drei Fischerboote draußen. Ich begann die Schönheit des Schauspiels zu empfinden und den Schrecken, den alles Große erregt. Eine Stunde allein dort bei Mondschein und leichtem Winde und ich wäre in tiefe Schwermut versunken.
1. Mai.
Um fünf Uhr früh stachen wir auf einem hübschen, gut laufenden Handelsschiff in See. Bis etwa zehn Uhr spürte ich keine Seekrankheit, dann aber bis zur Landung ein Gefühl im Magen und Unterleib, als hätte ich ein Abführmittel genommen. Keine Betäubung, aber Schlaffheit und Schwäche bis in die Kniekehlen und eine Art von Apathie, die der schlimmste aller Zustände ist. Ein tüchtiger Schmerz ist mir lieber. Ich mußte mich zweimal übergeben. Crozet war am meisten seekrank.
Wir fuhren fünf bis sechs (französische) Meilen hinaus in der Richtung auf die Insel Wight. Infolge des Nebels konnte man sich auf hoher See glauben; man sah nur Himmel und Wasser. Auf den Gedanken der Gefahr bin ich nicht gekommen; das hätte schon das sichere Benehmen der Fischer (lauter alter Seeleute) verboten. Sie schliefen oder spielten Damenbrett, wenn das Schiff am heftigsten schaukelte und wir uns am Takelwerk festhalten mußten. Wir kehrten mit gutem Winde zurück, waren aber sehr ermüdet...
Ich bin nochmal am Meere gewesen. Der Teergeruch hat mich lebhaft an Marseille und an Melanie erinnert. Ist es denn ganz unmöglich, daß ich je wieder liebe? So jung noch und schon auf mein Herz verzichten? Traurige Wirkung der verzehrenden Leidenschaften und des Unglücks, zu früh in den Strudel hineingerissen zu sein!...
Die Küstenbewohner müssen weniger beschränkt sein als die Landratten. Das Meer, das den Gedanken der Unendlichkeit einschließt, liegt ihnen vor Augen. Sie reden immerfort von den Gefahren des Meeres, von dem Mute, mit dem man sie besteht, und von dem raschen Glück, das man durch den Seehandel macht. Die Unterhaltung des in den Hafen zurückgekehrten Seemannes ist weniger blöde als die des Notars von Bourges.
Ich segne Fortuna, daß ich nicht mehr Soldat bin. Sieht man das Leben dieser Bestien aus der Nähe, so muß man ihnen ihren schneidigen Ton verzeihen; es ist das einzige Vergnügen dieser armen Teufel...
(Paris), 18. Juli 1811.
Ich kam gerade zur rechten Zeit an. SieDie Gräfin Daru. ging nach Tisch mit Frau Fanny und ihren Kindern unter den schönen Bäumen spazieren. Sie schien lebhaft erfreut und erstaunt, mich nach neuntägiger Abwesenheit wiederzusehen. Sie ließ Frau Fanny alsbald allein und sagte zu mir: »Geben Sie mir den Arm; ich brauche einen starken Arm.«
Eine schöne Gelegenheit! Aber man müßte kaltes Blut bewahren. Sie beginnt mimisch zu scherzen und lacht laut auf, wie wenn sie verlegen ist. Aber von Zeit zu Zeit warf sie mir Blicke voller Liebe und zwar zufriedener Liebe zu. Ich beantwortete ihre endlosen Scherze mit erzwungenem Lachen und einigen witzigen Bemerkungen. Fanny war einen Augenblick so vernünftig, zwanzig Schritt zurückzubleiben. Ich mußte ihre Freude wahrnehmen und ihr sagen: »Wie froh bin ich, Sie wiederzusehen!« Kurz, die ersten schlichten Liebesworte. Ich hatte nicht den Mut, dem Scherz ein Ende zu machen. Ihr ganzes Wesen drückte Liebe aus.
Ich wurde gebührend dafür gestraft, daß ich keinen Angriff versuchte. Als wir ins Haus traten, fanden wir langweilige Menschen, die einander bis elf Uhr ablösten. Mehrmals fragte sie mich, warum ich nicht ginge. Ich sagte: »Weil ich mich langweile.« Nun aber weiß sie wohl, daß die Langeweile mich vertreibt. Die seichte Unterhaltung und eine Art Neid auf die dreisten Charaktere lullten mich etwas ein. Ich genieße die Dinge nur durch meine Empfindsamkeit. Alles, was ich absichtlich tue, zielt darauf ab, diese Empfindsamkeit zu steigern. Das ist das Gegenteil des dreisten Charakters, wie ihn beispielsweise Machiavel B. hat. Es ist klar, daß ein solcher Mann sich gegen Marie ganz anders benommen hätte als ich gestern. Aber hätte er die Freude gehabt, die mir ihre Blicke und ihre geringsten Handlungen bereiteten? Ich darf solche Charaktere also nicht beneiden.
Aber das hindert nicht, daß ich handeln muß. Ich nehme mir vor, heute abend von meiner Liebe zu reden, ob gut oder schlecht.
Dienstag.
Beim Abschied wollte ich meiner Schönen sagen, wie mir ums Herz ist, aber Corbeau ließ uns nur vier bis fünf Sekunden allein und ich benutzte sie, um ihr bezüglich der Kälte zu sagen: »Sie ist in Ihrem Herzen.« Das Wort wirkte, und ich drückte ihren Arm.
10. August.
Die Frau, die ich liebe, ist von ihrer Mutter nach Burgund entführt worden. Sie ist erst gestern in die Umgegend von Paris zurückgekehrt.
During my silence all the occasionsWährend meines Schweigens (hatten) alle Gelegenheiten. hatten das gleiche Ergebnis. Unmöglich, vier Worte mit ihr zu wechseln, ohne von ihren Höflingen gehört zu werden, und wenn sich diese Gelegenheit mal bot, hielt mich meine taktvolle Schüchternheit ab, sie beim Schopfe zu fassen. Am 4. August von zwei bis halb fünf Uhr las ich Humes ausgezeichneten Aufsatz über das Feudalwesen. In dieser Zeit wünschte sie meine Gegenwart. Seit ihrer Rückkehr kann sie kein Wort sprechen, ohne von oder mit mir zu reden.Die zwei letzten Sätze sind im Urtext englisch. Es war falsch von mir, nichts zu unternehmen. Aber ich wiederhole: ich bin zu empfindsam, um es in der Kunst LovelacesDer Herzenbrecher in Richardsons Roman »Clarissa«. je zu etwas zu bringen.
Eine andre Wahrheit: Ich kann in Gesellschaft von Männern nicht glänzen, weil mein Gedächtnis bei allem, was mich nicht fesselt, völlig versagt. Ich behalte nur das, was das Menschenherz schildert. Im übrigen stehe ich allein.
Paris ist mir gegenwärtig schal. Nur etwas würde mir lebhafte Freude machen: an »Letellier« zu arbeiten. Aber ich habe nicht die nötige Muße dazu. Man tut eine tiefe Anspannung oder, wenn man will, die notwendige Begeisterung nicht ab wie ein Hemd, das man wechselt. Ich brauche acht bis zehn Tage Konzentration. Das ist jetzt ganz ausgeschlossen für mich. Ich langweile mich, weil ich kein Ziel habe, das mich in Anspruch nimmt. Alles, was mich von der Kenntnis des Menschenherzens fernhält, läßt mich kalt.
18. August 1811.
Die Gräfin Palfy will mich auf alle Weise von meiner Reise abbringen. »Was haben Sie?« fragte sie mich. »Diese Reise ist für mich wie ein Messer, das mir das Herz durchbohrt.« – »Sie können sich das Messer leicht aus dem Herzen ziehen. Verzichten Sie darauf.« – »Ich fürchte, sie wird mir verweigert, und das grämt mich.« Das schien der reizenden Frau einen Stich zu versetzen.
Von da zur Frau C. von C.,Vermutlich die Gräfin Clementine Curial, die Tochter der Gräfin Beugnot, der er sich in seinen damaligen Briefen mehrfach empfehlen läßt und die 1825 seine Geliebte wurde. Sie war mit der Gräfin Daru befreundet. Chuquets Annahme (S. 112), Beyle hätte das Motiv der Eifersucht des Gatten bei dieser seiner damaligen Geliebten ausgespielt, um sie seiner Italienreise geneigt zu machen, ist bei dem klaren obigen Wortlaut nicht haltbar. der ich etwa sagte: »Ich muß diese Reise durchaus machen. Ich liebe Sie leidenschaftlich, aber Sie wollen mich nicht lieben. Zudem sieht Ihr Gatte mich nicht gern. Ich habe es am Sonntag gemerkt. Er darf uns nicht mehr so oft sehen, das würde ihn tief kränken. Vielleicht kommt durch mein Fernsein alles wieder ins reine, und bei meiner Rückkehr wird er mich gern wiedersehen.«