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Civitavecchia, 8. bis 9. März 1836.
Nach mehreren Verzögerungen wurde mein riesiger Mantelsack eines Morgens um acht Uhr auf das junge Schweizer Pferd, einen hellen Braunen, geschnallt, und dicht vor dem Lausanner Tor saß ich auf. Es war das zweite- oder drittemal im Leben. Mein Vater und Seraphie waren stets dagegen gewesen, daß ich reiten oder fechten lernte. Das Pferd, das seit einem Monat im Stalle gestanden hatte, ging nach zwanzig Schritten durch. Es verließ die Straße und lief in ein mit Weiden bestandenes Feld nach dem See zu. Ich glaube, der Mantelsack drückte es.
Ich kam vor Angst um, gab aber mein Leben preis; auch die größten Gefahren haben mich nie zurückgehalten. Ich blickte auf die Schultern des Pferdes; die drei Schritt Abstand vom Boden dünkten mir ein Abgrund. Der Gipfel der Lächerlichkeit war, glaube ich, daß ich Sporen trug.
Mein junges stallmutiges Pferd galoppierte also drauf los durch die Weiden, als ich hinter mir rufen hörte. Es war der verständige Bursche des Kapitäns Burelvillers, der mir zurief, den Zügel anzuziehen, und der hinterherlief, um das Pferd schließlich anzuhalten. Ich war wohl eine Viertelstunde lang kreuz und quer galoppiert. In meinen zahllosen Ängsten fürchtete ich auch, daß es in den See lief.
»Was wollen Sie von mir?« fragte ich den Burschen.
»Mein Herr wünscht Sie zu sprechen.«
Sofort dachte ich an meine Pistolen. Das war gewiß einer, der mich verhaften wollte. Die Straße wimmelte zwar von Menschen, aber zeitlebens habe ich nur meinen Gedanken gesehen und nicht die Wirklichkeit; »wie ein scheues Pferd«, sagte mir siebzehn Jahre später Graf de Tracy.
Stolz ritt ich auf den Kapitän zu, der höflich am Straßenrand hielt.
»Was wünschen Sie, mein Herr?« fragte ich, bereit, meine Pistole zu ziehen.
Der Kapitän war ein großer blonder Mann in reiferen Jahren, hager und von heimtückischem Aussehen. Er hatte nichts Einladendes, im Gegenteil! Er erklärte mir, als er durch das Tor geritten sei, hätte jemand zu ihm gesagt:
»Dort reitet ein junger Mann zur Armee. Er sitzt zum erstenmal zu Pferde und ist noch nie im Felde gewesen. Nehmen Sie sich seiner für die ersten Tage an.«
Ich wollte noch immer böse werden und dachte an meine Pistolen. Aber ich sah den graden, riesig langen Säbel des Kapitäns, der wohl der schweren Kavallerie angehörte:Er war Kapitän im 3. Kavallerieregiment, ein schwieriger Untergebener, der tatsächlich, wie Stendhal weiter unten vermutet, in ein anderes Regiment zu kommen suchte und 1801 seinen Abschied nahm. (Chuquet 45.) blauer Rock mit silbernen Knöpfen und Achselstücken. Ich glaube, als Gipfel der Lächerlichkeit trug ich auch einen Säbel. Wenn ich nachdenke, bin ich dessen gewiß.
Soweit ich beurteilen kann, gefiel ich dem bärbeißigen Kapitän, der vielleicht von einem Regiment weggejagt war und sich an ein anderes anzuhängen suchte. Er beantwortete meine Fragen und gab mir Reitunterricht. Wir machten den Marsch gemeinsam und bekamen zusammen unsre Quartierzettel. So ging es bis nach Mailand. Ich war völlig trunken und toll vor Glück und Freude. Mein Entzücken legte sich erst etwas, als ich sechster Dragoner wurde. Ich glaubte mich damals auf dem Gipfel des Glücks, den ein Mensch zu erreichen vermag, und das vier Monate, nachdem ich in Paris so unglücklich gewesen war und gemerkt hatte, daß Paris nicht der Gipfel des Glückes war.
Wie soll ich mein Entzücken in RolleAm Genfer See. schildern?
Da ich mein Leben Fortuna preisgegeben hatte, ritt ich äußerst dreist drauf los, fragte aber den Kapitän immerfort: »Werde ich mir den Hals brechen?« Zum Glück war es ein Schweizer Pferd, friedlich und verständig wie die Schweizer sind; wäre es römisch und tückisch gewesen, es hätte mich hundertmal umgebracht.
Offenbar gefiel ich Herrn Burelvillers, und er begann mich in jeder Hinsicht zu erziehen. Er war auf diesem Marsche von Genf nach Mailand, wo wir täglich vier bis fünf Wegstunden ritten, ein ausgezeichneter Prinzenerzieher. Unser Leben war eine angenehme Unterhaltung, mit eigenartigen Ereignissen und kleinen Gefahren gepaart; somit konnte keine Langeweile aufkommen. Von meinen Hirngespinsten und meinen literarischen Ideen sagte ich diesem Lebemann Ende der Zwanziger nichts; er schien mir das Gegenteil eines Gefühlsmenschen. Im Quartier verließ ich ihn sofort, gab seinem Burschen ein gutes Trinkgeld, damit er mein Pferd versorgte, und konnte dann friedlich träumen.
In Rolle kamen wir frühzeitig an. Ich war berauscht von Glück, von der Lektüre der »Neuen Heloise« und von dem Gedanken, nach Vevey zu kommen, als ich plötzlich den majestätischen Glockenklang einer auf der Anhöhe liegenden Kirche vernahm, eine Viertelstunde von Rolle oder Nyon. Ich stieg hinauf und sah den schönen See sich zu meinen Füßen ausbreiten. Der Glockenklang war eine holde Begleitung zu meinen Gedanken und gab ihnen etwas Erhabenes. Damals, so dünkt es mich, bin ich dem vollkommenen Glück am nächsten gekommen. Für einen solchen Augenblick lohnt es sich, gelebt zu haben.
Ich werde weiterhin noch von ähnlichen Augenblicken reden, wo das Glück vielleicht eine tatsächlichere Grundlage hatte; aber war die Empfindung da ebenso stark, der Glücksüberschwang ebenso vollkommen? Was soll man von solch einem Augenblick sagen, ohne zu lügen und einen Roman zu schreiben? In Rolle oder Nyon begann die glückliche Zeit meines Lebens; es mochte am 8. oder 10. Mai 1800 sein.
Noch jetzt pocht mir das Herz, wo ich dies niederschreibe, sechsunddreißig Jahre danach. Ich stehe auf, gehe durchs Zimmer und setze mich wieder zum Schreiben. Lieber will ich einen wahren Zug auslassen, als in das übliche Pathos zu verfallen.
In Lausanne muß ich Herrn Burelvillers gefallen haben. Ein früherer Schweizer Offizier, noch ein junger Mann, war Magistratsbeamter. Bei der unangenehmen Aufgabe, den französischen Eisenfressern Quartierzettel auszustellen, zankte er sich mit uns herum, und als das Wort fiel, wir hätten die Ehre, unserem Vaterlande zu dienen, versetzte er: »Wenn das eine Ehre ist...«
Ich legte die Hand an den Säbel und wollte ihn ziehen. Das beweist mir, daß ich einen Säbel trug.
Herr Burelvillers hielt mich zurück.
»Es ist spät, die Stadt ist überfüllt; wir müssen sehen, daß wir noch ein Quartier kriegen.«
Wir verließen den ehemaligen Offizier und Magistratsbeamten, nachdem wir ihm tüchtig die Wahrheit gesagt hatten.
Am nächsten Tage, als wir nach Villeneuve ritten, fragte mich der Kapitän nach meiner Fechtkunst. Als ich ihm meine völlige Unkenntnis gestand, war er verblüfft. Beim ersten Halt ließ er mich die Fechtstellung einnehmen.
»Und was hätten Sie getan, wenn dieser Hund von einem Aristokraten mit uns hinausgegangen wäre?«
»Ich hätte auf ihn losgeschlagen.«
Offenbar sagte ich das so, wie ich es dachte. Der Kapitän schätzte mich seitdem hoch und sagte es mir. Meine völlige Unschuld und Ehrlichkeit muß so sonnenklar gewesen sein, daß das, was in jedem andern Falle eine grobe Aufschneiderei war, mir bei ihm Achtung verschaffte. Des Abends in unsern Quartieren gab er mir ein paar Fechtstunden.
»Sonst werden Sie aufgespießt wie ein...« (Ich habe das Bild vergessen.)
Ich war munter und beweglich wie ein Füllen. Ich verglich mich mit Calderon, der in Italien den Krieg mitgemacht hatte; ich hielt mich für einen neugierigen Schlachtenbummler, der dazu bestimmt war, Lustspiele wie Moliere zu schreiben. Sollte ich später ein Amt annehmen, dann nur, um mir mein Brot zu verdienen, da ich nicht reich genug war, um auf eigne Kosten durch die Welt zu reisen. Ich war nur auf eins begierig: große Dinge zu sehen...
Da die Schweizer, bei denen wir in Lausanne, Villeneuve, Sion usw. wohnten, uns ein schreckliches Bild von dem Großen Sankt Bernhard machten, war ich lustiger als sonst, oder vielmehr glücklicher. Mein Glück war so lebhaft, so innig, daß ich nachdenklich wurde... Aber ohne die Warnungen des Kapitäns, die mir bisweilen übertrieben und fast lächerlich dünkten, wäre ich vielleicht schon beim Hinaufreiten verunglückt.
Man denke an meine lächerliche Erziehung! Körperlich war ich wie ein vierzehnjähriges Mädchen. Ich war zwar über siebzehn Jahre alt, aber nie ist der Sohn eines vornehmen Herrn so weichlich erzogen worden. Kriegerischer Mut war in den Augen meiner Familie eine Jakobinertugend. Sie schätzte nur den Mut vor der Revolution, der dem Oberhaupt des reichen Familienzweiges in Sassenage das Sankt-Ludwigskreuz eingetragen hatte...
Was wäre aus mir also ohne den Kapitän Burelvillers auf dem Sankt Bernhard geworden, hätte ich den Marsch allein machen müssen! Obwohl mit Geld versehen, hatte ich nicht mal daran gedacht, mir einen Diener zu nehmen. Durch meine holden Träumereien infolge der Lektüre Ariosts und der »Neuen Heloise« betört, ließ ich alle vernünftigen Ratschläge meiner Schweizer Quartierwirte an mir abprallen. Ich fand sie spießbürgerlich, platt, verächtlich. Eine spaßige Ansicht bei einem Nachfolger Molières!