Stendhal
Bekenntnisse eines Ichmenschen
Stendhal

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Brief Philippines von Bülow»Der obige Brief stammt von einer liebenswürdigen Stiftsdame aus Braunschweig, die wir heute beweinen. Es ist das Ende eines Briefes über Werther, der bekanntlich in Braunschweig geboren und der Sohn des Abts Jerusalem ist. Sie schilderte darin auf meine Bitte die Art des musikalischen Empfindens bei Werther.« (Stendhal im »Leben Hadyns, Mozarts und Metastasios«, Brief 20.) – Zur Richtigstellung des Obigen sei bemerkt, daß Karl Wilhelm Jerusalem, der sich 1775 aus Liebesgram erschoß, der Sohn des Abts Joh. Friedr. Jerusalem (1729-89) zu Riddagshausen bei Braunschweig, Goethe durch seinen tragischen Tod zu seinem »Werther« mit angeregt hat. Über Philippine v. Bülow s. Seite 280ff. dieses Bandes.

... Die Musik ist die Kunst, die am besten die Nuancen schildert und daher die Regungen der Seele am feinsten erfaßt. Ich glaube daher, man kann zwischen der Empfindsamkeit im Sinne Mozarts und der im Sinne Cimarosas unterscheiden. Gesichter wie die der Wilhelmine von G[riesheim] und des Engels auf dem Gemälde von Parmigiano,Die Madonna al collo lungo. Gemeint ist der Engel rechts von der Jungfrau, der den Beschauer anblickt. (Stendhal.) das in meinem Schlafzimmer hängt, scheinen mir auf einen Charakter zu deuten, bei dem die Empfindsamkeit die Kraft übertrifft und die in Augenblicken der Erregung ganz Empfindung sind. Für andres ist kein Raum mehr; Mut, Sorge für den guten Ruf, alles wird nicht nur unterdrückt, sondern vertrieben. Die Nordländer sind offenbar dieser Musik verfallen, which is their queen.

Wenn Sie Deutschland besser kennen werden und einigen der unglücklichen Mädchen begegnet sind, die hier alljährlich an Liebesgram sterben, so lachen Sie nicht, Herr Franzose; Sie finden die Art von Macht, die unsre Musik auf uns übt. Gehen Sie am Sonntag abend in Hantz' Garten und in die englischen Parks, wo die ganze Jugend der nordischen Städte an den Feierabenden spazieren geht. Betrachten Sie die Liebespaare, die mit ihren Eltern Kaffee trinken, während böhmische Musikkapellen mit ihren Hörnern Walzer und ihre langsamen, rührenden Weisen spielen. Sehen Sie, wie ihre Augen starr werden, wie sie sich über die kleinen Tische hin unter den Augen der Mütter die Hände drücken; denn sie sind, wie man hier sagt, »versprochen«. Wohlan! Der Geliebte wird zum Militär eingezogen; die Braut ist nicht verzweifelt, aber traurig; sie liest die Nächte durch Romane; bald wird sie brustkrank und stirbt schließlich, ohne daß die besten Ärzte ein Mittel dagegen finden. Aber äußerlich ist nichts zu merken. Sie haben sie vierzehn Tage vorher bei ihrer Mutter gesehen, wie sie Ihnen Tee anbot; Sie fanden sie nur traurig. Fragen Sie dann nach ihr, so heißt es: »Die arme Soundso? Sie ist an Gram gestorben.« Die Antwort hat hier nichts Ungewöhnliches. »Und wo ist der Bräutigam?« – »Im Felde, aber man hat keine Nachricht mehr von ihm.« Solche Herzen werden durch Händel, Mozart, Boccherini und BendaWohl der Opernkomponist Georg Benda (1722–95), der Bruder von Franz Benda (1709–86), dem Kapellmeister Friedrichs des Großen. gerührt.

Die braunen, energischen Frauen des Südens müssen Cimarosa lieben. Sie würden sich für einen lebenden Liebhaber erdolchen, aber nicht für einen toten dahinsiechen, bis sie sterben. Die Züge bei Frauen Cimarosas und aller Neapolitaner verraten selbst in den Augenblicken höchster Leidenschaft Kraft. In den »Nemici generosi«, die vor zwei Jahren in Dresden gegeben wurden, hätte Mozart aus der Arie »Non sono villana, ma sono dama« etwas gottvoll Zärtliches gemacht. Cimarosa hat eine kleine leichte rasche Arie daraus gemacht, weil der Gegenstand es verlangte, aber eine Deutsche hätte diese Worte nicht ohne Tränen gesprochen...


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