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Otto Julius Bierbaum. Einer der bekanntesten neudeutschen Dichter ist Otto Julius Bierbaum, der 1805 in Grünberg (Schlesien) geboren wurde und zur Zeit meistens in München lebt. Was Bierbaumfür die Entwicklung der modernen Literatur Gutes geleistet hat, ist eher der günstigen Konstellation der Verhältnisse zuzuschreiben, die ihn zum Antreiben und Fördern anderer Talente befähigte, als seinen eigenen literarischen Produktionen. Freilich – seine ersten Arbeiten ließen viel erwarten. In den »Erlebten Gedichten« schien ein neuer Stern aufzugehen. Darin fand Bierbaum neue, zum Teil recht fein und besonders formal geschickt durchgearbeitete Klänge; aber schon in dem Bändchen »Nemt Frouwe dissen Kranz« ward kundigen Blicken die Manier offenbar. Bierbaum hatte seine »Note«, auf der er seitdem herumspielte, bis die Saite abgegriffen war und hohl klang. Prächtige und wirklich persönliche Töne schlug er nur in den beiden Prosaschriften »Stilpe« und »Studentenbeichten« an. Hier zeigt sich Bierbaum als Satiriker, als Sittenschilderer, als scharfer und schlauer Beobachter, Besonders sein »Stilpe«, vielleicht der erste deutsche Bohème-Roman, der geschrieben wurde, hat dauernden Wert sowohl in künstlerischer als auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht. Bierbaums Verse wurden dagegen immer minderwertiger. Die Troubadourmanier, die in »Nemt Frouwe dissen Kranz« und »Lobetanz« noch das Bestreben verriet, altfränkischfrisiert zu erscheinen – noch klarer wird das Bestreben aus der Lektüre des humoristischen Romans »Die Freiersfahrten und Freiersmeinungen des weiberfeindlichen Pankrazius Graunzer« –, verflachte allmählich zu einem leichten, künstlerisch wertlosen Versgeklingel. Sein Bestreben war, mit dem »Klingklanggloribusch«-Brettlliedchen den Gassenhauer zu verfeinern; erreicht hat er mit diesem Bestreben nur, daß seine eigene Kunst auf das Niveau des verfeinerten Gassenhauers herabsank. Seine Versbücher, besonders der dickleibige »Irrgarten der Liebe« (vielleicht das meistverkaufte deutsche Lyrikbuch überhaupt) beweisen das. Eine Reihe von Lustspielchen, Pantomimen, Ballette usw. bewegen sich auf nicht viel höherem künstlerischen Niveau. Das Beste dieser Art ist noch das Musikspiel »Gugeline«. Erwähnt seien ferner das Ballett »Pan im Busch« und das Schauspiel »Stella und Antonie«. In dem Novellenband »Die Schlangendame« und dem Roman »Das schöne Mädchen von Pao« finden sich hier und da recht wirksame und komische Stellen; doch können auch diese Arbeiten einer ernsthaft künstlerischen Kritik gegenüber kaum standhalten. Weit Besseres hat Bierbaum als Kritiker und Essayist geleistet, wie denn überhaupt sein künstlerisches Wollen und Vorwärtsdrängen sehr viel ernster zu nehmen ist als sein eigenes dichterisches Schaffen. An der Begründung des »Pan«, der wertvollsten Kunstzeitschrift, die Deutschland je besessen hat, war Bierbaum ebenso beteiligt, wie an der der »Insel«. Auch die verschiedenen Jahrgänge des »Musenalmanach«, die Bierbaum redigierte, brachten sehr feine und klug ausgewählte Beiträge. In den kritischen Essays über Böcklin, Fr. v. Uhde, Fr. Stuck, Hans Thoma und andere zeigt er feines Verständnis und gute kritische Begabung. Nach alledem hat man es bei Bierbaum weit eher mit einem Journalisten, beziehungsweise einem Literatur-Manager zu tun, als mit einem Dichter. Und selbst als Journalist leistet er sich mitunter Arbeiten, die literarisch nicht mehr genannt zu werden verdienen. So gab er unter dem Titel »Eine empfindsame Reise im Automobil« Plaudereien heraus, die sich in nichts über die herkömmlichen Reiseplaudereien erheben, die man jahraus, jahrein in den Tagesblättern liest.
E. M.