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Giosuè Carducci, geb. 1836 zu Valdicastello in Toscana, lebt in Florenz. Dieser große italienische Dichter verdient deshalb hier besondere Beachtung, weil sein Einfluß auf die moderne deutsche Literatur, wie auf Hoffmannsthal, St. George und viele andere ein außerordentlich tiefer war. Schon Ende der fünfziger Jahre erschienen seine ersten Gedichtbände »Reime«, »Leviagravia«, »I Decennali«, die eine starte Eigenart und einen hohen, kühnen Gedankenflug, offenbarten. Unter dem Decknamen Enotrio Romano gab er 1865 als Flugblatt seine berühmte »Hymne an den Satan« heraus, die einen außerordentlichen Erfolg hatte und nicht wenig dazu beitrug, dem modernen Gedanken den Weg zu ebnen. Der Geist, der »Nein!« sagt, der Empörer, der auf seine Fahne ein stolzes »Etiamsi omnes – ego non!« schreibt, ist der Held dieser urgewaltigen Dichtung. Er, der Herr der Rebellion, der siegreiche Kämpfer des menschlichen Verstandes, ist das große Agens allen Seins, ist der Held aller Freiheit, der Feind aller Knechtschaft, der mächtige Förderer allen Fortschritts. – So ist dieser schon 1836 geborene geniale Dichter heute noch der allermodernste unter den Jungen! – In den »Dichtungen des Enotrio Romano« sind 1887 alle bisher erschienenen Arbeiten vereinigt; in den siebziger Jahren kamen »Die neuen Lieder«, die »Jamben und Epoden« und die »Neuen Reime« hinzu. Deutsch ist eine Auswahl seiner Gedichte durch B. Jakobson herausgegeben worden. Als Gelehrter schrieb Carducci – er ist Universitätsprofessor, auch Senator des Königreichs Italien – eine Reihe ausgezeichneter Abhandlungen auf literarhistorischem und philologischem Gebiete. Glänzend sind auch seine drei Gedichtbände »Barbarische Oden«, »Neue barbarische Oden« und »Dritte barbarische Oden«, in denen er sich der horazischen Versformen bediente. – Carducci ist neben Leopardi der größte italienische Dichter des neunzehnten Jahrhunderts; er ist derjenige, der wohl den größten Einfluß auf die Schaffung dessen geübt hat, was man als den »modernen Gedanken« zu bezeichnen pflegt.
Dr. H. E.