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Maxim Gorki

Maxim Gorki. Das Milieudrama, das mit Gerhart Hauptmanns »Webern« sich so glänzend eingeführt und auch bühnenwirksam erwiesen hatte, sollte mit anderen Beweisen seiner Theatertüchtigkeit nicht lange hintanhalten. Zunächst war es das Ausland, das, von dem Geiste des Schlesiers befruchtet, die Anregungen dankbar zurückgab. Maxim Gorki, geb. 1872, schrieb sein »Nachtasyl«, dessen berühmte Inszenierung und Darstellung durch das Kleine Theater zu Berlin unter die größten Theatersensationen der neuesten Zeit zu rechnen ist. Was an begeistertem Lob über das Stück in Deutschland geflossen ist, dürfte so recht geeignet sein, die Kritiklosigkeit zu beweisen, welche bei uns oft den literarischen Erzeugnissen des Auslandes gegenüber gezeigt wird. Damit soll aber keineswegs das Talent Gorkis angegriffen werden, das sich in diesen »Szenen aus der Tiefe des Lebens« kundgibt. Nur sollte man nicht von einer abgerundeten, originellen Leistung, von einem »großartigen Seelengemälde« sprechen, wo es sich doch nur um ein paar wohlgelungene und gut gruppierte Photographien handelte. Das »Nachtasyl« ist kein soziales Drama, für das es so oft ausgegeben worden ist, mögen auch die Momente, die Gorki bestimmt haben, dieses Stück zu schreiben, immerhin sozialer Natur sein. Was in den »Webern« so deutlich, so dramatisch ergreifend und wuchtig herausgearbeitet ist, der Konflikt, der helle, dröhnende Kampf von arm und reich, fehlt hier; die Personen kommen und gehen, ohne auch nur die Hand zu erheben gegen den großen Götzen, der sie peinigt. In ihrem schmutzigen Quartier sitzen sie da und hören einander zu, hören ihre gegenseitigen Schicksalsreflexionen, ohne auch nur einen Schritt, nicht einmal einen idealen, vorwärts zu kommen. Gut sind diese Köpfe ja gewiß gezeichnet, ebenso wie die der hungernden Weber. Aber damit war es dem Dichter auch genug. Ein verbummelter Schauspieler, ein bankerotter Aristokrat, eine sterbende Frau, ein temperamentvoller Dieb, ein bestechlicher Polizist, sie alle konnten fast keinen genialeren Strich, keine krassere Farbe bekommen. Der Zuschauer geht von einem zum andern und kann sich über diese Arten und Schattierungen der körperlichen und geistigen Zerlumptheit nicht genug wundern! Da fällt der Vorhang, und das Gruseln und Erbarmen bleibt zurück. Und dieses Gruseln und Erbarmen ist es doch, was die Eindrücke ausgelöst hat, das nach altem berühmten Muster die großen Dramatiker ausmachen soll. Es hat auch die Skeptiker verscheucht, die da plötzlich nach der Handlung und allem möglichen fragen wollten. Die Handlung ist nach innen verlegt, antwortete man; die Ereignisse sind seelischer Natur, müssen es sein, antwortete man den Zweiflern; hört euch doch die Philosophie des Luka an, betrachtet euch den Weltanschauungskoller Satius. Eine Welle Schmutzes, die sich erhebt und schäumt; sie hat eben auch die Tragik einer Welle, sie zerrinnt. Wir loben ihre wilde, gewaltige Linie und vergessen für einen Augenblick den Schmutz. Mit diesem Bild das Milieudrama zu retten, wäre ein eitles Beginnen, und jede nüchterne und objektive Kritik dürfte nach der hohen Linie fragen und den Kopf schütteln. Sechs, sieben und mehr kleine schmutzige Strudel, von denen jeder das verschlingt, was ihm am nächsten kommt, die gibt es wohl, sie prägen sich ein, sie saugen die Zuschauer auf und verleiten dazu, von Tiefe zu reden. Und ihr Murmeln und Gurgeln ist auch das Ende vom Liede, in das der schrille Schrei der Theatertrompete so mitten hineinschreit, wie die Harmonika des mürrischen Bettlers.

Wer dieses Stück eingehend charakterisiert, der hat sich auch schon mit der ganzen Produktion des russischen Dichters auseinandergesetzt. Abgesehen von zwei anderen Dramen (»Die Kleinbürger« und »Der Sommergast«) hat Gorki noch eine nicht unbeträchtliche Fruchtbarkeit als Novellist entfaltet. Auch in Deutschland sind viele seiner Novellenbücher übersetzt worden und gehören zu den Gelesensten, was uns die ausländische Literatur beschert hat. Auch hier bringt er sein Lieblingsthema, die Psychologie des letzten Standes, Verbrecher, Hungerleider und Propheten von der Art des Luka, verkommene Subjekte, wie den Baron im »Nachtasyl«, das wie eine Quintessenz seines poetischen Schaffens anmutet. Auch hier ist die Überschätzung stärker als die Freunde des politischen Märtyrers und Wahrheitsapostels zugeben wollen. Man findet keine einzige unter diesen zahlreichen Skizzen und Studien, die das Lob und die Sympathie des Publikums rechtfertigt, wenn auch der große Ansatz überall vorhanden ist, wenn auch der Dichter mit seiner starken Persönlichkeit, seiner Ehrlichkeit und seinem Ernst sich immer zum Bewußtsein bringt, Maxim Gorki hat ganz gewiß Kultur, aber es ist eine Kultur, die hundert und mehr Jahre hinter der unseren zurück ist. Ihn verehren ist – ein Atavismus!

V. H.


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