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Stefan George, geb. 1865 in Bingen a. Rh., lebt ebenda. In ihm ist die L'art pour l'art-Kunst in der modernen Dichtung verkörpert, die Kunst, die nur durch die Form, den Stil, den Rhythmus wirken will. George ist ein Meister der Form. Seine Verse schreiten in antiker Getragenheit daher, mit hochtönendem Klang und in vollendeter Stilgerechtheit. Unter dieser strengen Zucht des äußeren Rahmens leidet naturgemäß der seelische Gehalt seiner Dichtungen, und es ist oft fast unmöglich, hinter seinen feierlichprächtigen Worten irgend einen vernünftigen Sinn zu erkennen. Dadurch, daß Stefan George der Dichtkunst bestimmte Regeln unterlegen will, wurde es möglich, daß seine Art zu dichten zu einer sogenannten »Stefan-George-Schule« auswachsen konnte, zu einer Manier also, die zu dem Haupterfordernis der Kunst, der strengsten Individualisierung, in unvereinbarem Gegensatz steht. Das reine Ästhetentum, das Stilistentum in der deutschen Lyrik ist Stefan Georges Produkt. So ist George vielleicht eher Formtheoretiker als wirklicher Künstler, wenn er auch die Handhabung seiner Theorie zu einer künstlerischen Höhe emporgehoben hat. Aber schon der Umstand, daß er seinen Gedichtbänden lehrhafte Vorreden vorausschickt, stellt ihn außerhalb der Reihe nur dichterisch zu bewertender Künstler. In seinem Essay »Über das Reinformelle« stellt er geradezu pädagogischpedantische Forderungen über das äußere und innere Bild einer Dichtung auf, und auch die nur für das Auge bestimmte Manier, seine Verse in Antiqua und kleinen Anfangsbuchstaben und ohne Interpunktion drucken zu lassen, kennzeichnet ihn als Nur-Stilisten. Gleichwohl hat er infolge seiner eignen, ganz meisterhaften Beherrschung der gebundenen Form, und infolge seines großen Einflusses auf andere Dichter, wie Hofmannsthal, Dauthendey usw. Anspruch auf eine bevorzugte Stelle in der zeitgenössischen Literatur, zumal er in den von ihm begründeten und geleiteten »Blättern für die Kunst« eine Sammelstätte für solche Dichter geschaffen hat, die seine theoretischen Anweisungen talentvoll befolgen. Selbst die Titel der Georgeschen Gedichtbücher weisen auf das Bestreben hin, in Klang und Ausdruck den Ästheten hervorzukehren: »Das Jahr der Seele«, »Algabal«, »Der Teppich des Lebens«, »Sagen und Sänge« und »Die Lieder von Traum und Tod«. Überall ist das priesterliche Einherschreiten, die feierliche Gebärde der große Vorzug und der große Mangel Georges. Sein stärkstes Verdienst ist wohl die Herausgabe wertvoller Sammlungen aus anderen Dichtern. So hat Stefan George ein überaus wertvolles »Jean Paul-Brevier« zusammengestellt; auch die »Fibel, Auswahl erster Verse« ist eine Anthologie, die mit vielem Geschmack und feinem Verständnis ausgewählt ist. Sein ungewöhnliches Sprachgefühl befähigt George naturgemäß in besonders hohem Grade zum Übersetzer, und seine Umdichtung von Baudelaires »Die Blumen des Bösen« verdienen große Anerkennung, ebenso seine Übertragungen Carduccis. Stefan Georges Dichtung ist gerade von Baudelaire sehr stark beeinflußt, hier und da wohl auch von Mallarmé, außerdem von den Deutschen Platen und Heine. An Zucht und formaler Sicherheit hat George diese Meister sicherlich oft erreicht, aber die Leblosigkeit seiner Dichtungen stellt seine Produktionen doch im Wert weiter hinter die Werke seiner Vorbilder. So ist es denn auch kein Wunder, daß die »Schule«, die aus der Georgeschen Kunst hervorgegangen ist, eine völlig in äußerem Firlefanz befangene, für die Entwicklung der Literatur ganz bedeutungslose Erscheinung ist, und es ist bedauerlich, daß Stefan George seinen Namen hergibt für ein hohles, blut- und temperamentloses Schein-Ästhetentum, dessen einzige Aufgabe es zu sein scheint, den »Meister« und sich untereinander in möglichst aufdringlicher und beschämender Weise zu beweihräuchern.
E. M.