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Joris Karl Huysmans. geb. 1848 in Paris, lebt ebenda. Er trat zuerst im Gefolge Emile Zolas auf; seine erste Novelle »Sac au dos« stand in den programmatischen »Soirées de Médan«, einer Sammlung naturalistischer Novellen, die nach dem Landaufenthalt des Meisters und Führers benannt waren. Die drei Bücher »Le Drageoir à épices« (1874), »Marthe« (1876), »Les soeurs Vatard« (1897) sind ältere, aber für die Eigenart des Huysmans weniger charakteristische Zeugnisse als die erwähnte Kriegsnovelle, die an sich weit schwächer ist. Huysmans ist von seinem ersten Buch an bis »A Vau-l'Eau« (1882) so gründlich Naturalist gewesen, als es ein intelligenter Mensch überhaupt sein kann. Er wählte eine Fabel, irgend eine, und sie mußte dürr und eigentlich uninteressant sein. Er zeichnete dann (er ist Holländer!) Strich für Strich das Bildchen zusammen, hielt es sehr klar in Ton und Zeichnung und hatte seine ganze Freude an der kurz und treffend wiedergegebenen Kleinigkeit. Schon im »Drageoir à épices« fällt der scharfe Blick für das bezeichnende Detail auf, der ganze kritische Blick, der das Unzulängliche todsicher herausfindet. Dann begann er nur mehr die eigene Geschichte zu schreiben. Er führte ein unbarmherziges Tagebuch über den leisen Niedergang, den er nicht aufhalten zu können glaubte – über seine geistige und körperliche Zerrüttung. In allen diesen Berichten ist eine heftige Sehnsucht nach Gemütlichkeit, nach der Ruhe einer geschützten Existenz. In »A Rebours« (1884) behandelte er das alte Thema in anderer Form: er nahm alle fantastischen Möglichkeiten der Befriedigung an, durchkostete sie und notierte, wie er müder und müder wurde, ohne einen Tag der Ruhe und des Wohlbefindens. Der Held von »A Rebours« führt den Namen eines Herzogs Jean; das Urbild war der symbolistische Dichter Graf von Montesquiou. Diesem weisen Genießer gab er die eigene Seele und ließ ihn seine Leiden erfahren, wie sie an seinem Herzen und seinem Hirne fraßen. Der Herzog Jean nähert sich – wie immer, aus Neugierde, aus Ruhebedürfnis – dem Gedankenkreis des Katholizismus. Sobald die Intelligenz teilgenommen und wirkliche Möglichkeiten erkannt hat, beginnt das Gefühl zu schwingen: neue Sensationen täuschen ein neues Leben vor – und nun ist der Durand aller folgenden Romane, der Doppelgänger des Huysmans, den dieser unter strenger Bewachung hält, der ihn alles Erlebte erst genießen läßt (weil es für Huysmans außer der Literatur keinen Genuß gibt), – nun ist Durand auf dem Wege von Damaskus angelangt. In jedem Buch wird Huysmans überzeugter, ja, er hält sich schließlich für gläubig. Was er an künstlerischen Sensationen aus dem Katholizismus herausgeholt hat, ist sein Lebenswerk. Sein Ruhmestitel aber bleibt »A Rebours«. Huysmans ist für die Entwicklung der modernen Literatur doppelt wichtig: zuerst hat er den »Roman« aufgelöst und gezeigt, daß es darauf ankommt, ob man Bücher zu schreiben versteht, nicht aber, ob Intrigen- und Thesenstücke zum guten Abschluß gelangen. Er schreibt »Stücke« und macht aus ihnen Bücher (nicht wörtlich). Er hat gezeigt, daß es ausschließlich an der Person des Verfassers liegt, ob ein Buch lesenswert ist oder nicht, und daß man deshalb alle »Fabeln« und Entwicklungen, alle romanhaften Zwischenfälle ruhig beiseite lassen kann. Stilistisch gehört Huysmans zu den fanatischsten Neuerern; er schreibt einen Kunststil, der von einer eindringenden Schärfe und ungemein schlagfertig ist. Seine Bilder sind überraschend, manchmal übertrieben, aber immer ein erneutes Französisch, persönlich empfundene und selbstgeformte Sprache. Man könnte Huysmans einen Blutzeugen der französischen Dekadenz nennen, denn er hat ihren Kalvarienberg mehrmals erklommen. Er ist das Ende des Baudelaire, ein Blutarmer, ein Neurastheniker – mit hoffnungslos verdorbenem Magen. Weitere Bücher: »Là Bas«, »La Cathédrale«, »L'oblat«.
R. S.