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Marie von Ebner-Eschenbach

Marie von Ebner-Eschenbach (geb. als Gräfin Dubsky zu Zdislawitz in Mähren 1830) ist eine jener Erscheinungen unserer Literatur, deren Entwicklung eine stetig aufsteigende Linie bedeutet. Sie vermochte es, wie nur wenige, die Blüte ihres Talentes durch alle Perioden ihres Lebens frisch zu erhalten. Ihre literarischen Anfänge reichen weit zurück, und schon der alte Grillparzer hat ihre Jugendgedichte beurteilt und die Keime eines guten Könnens darin gefunden. Ein weniger günstiges Urteil gleichfalls über ein Jugendwerk der Dichterin stammt von einem anderen ihrer berühmten Zeitgenossen, von Otto Ludwig, der in einer erst später veröffentlichten Kritik ihr Drama »Maria Stuart in Schottland«, das zugleich mit des genannten Dichters »Makkabäern« in Karlsruhe zur Aufführung gelangte, streng verurteilt. Nur Schillersche Mache, »eine kunstreiche Effektmausefalle« findet Otto Ludwig in diesen Szenen, und unser eigenes Urteil muß ihm zustimmen, wenn wir beobachten, wie die Dichterin in diesem Stücke noch ganz epigonenhaft und unsicher arbeitet, wie sie hier noch ganz in Traditionen steckt. – Lange blieb sie unbekannt trotz harten Ringens um die Palme. Sie hatte ihr eigenstes Gebiet noch nicht entdeckt. Erst, als sie sich der Erzählung zuwendet, wuchern die Keime ihrer reichen Eigenart. Den ersten Erfolg hatte sie mit einer satirisch-pädagogischen Novelle, »Eine Spätgeborene«, 1875. Der Grundton dieses Buches blieb auch der ihrer späteren wertvollen Bücher. Wir wollen nur die Hauptwerke ihrer reichen Produktion nennen, vor allem »Bozena«, 1876, »Das Gemeindekind«, 1887, »Das Schädliche«, 1894, »Rittmeister Brand« 1896. Oft stört die pädagogische Tendenz in diesen Büchern dadurch, daß sie allzu weit und deutlich ausgesponnen wird und die Beweglichkeit der Charakteristik behindert. Das Bedeutendste unter den genannten Werken ist wohl die Erzählung »Das Gemeindekind«. Es stellt die Entwicklung eines jungen Bauern, dessen Vater als Mörder hingerichtet wurde, und dessen Mutter im Zuchthause sitzt, zu einem tüchtigen Menschen dar. Hier ist das pädagogische Element durch den Realismus der Darstellung, die sich auf alle Fasern und Fibern des Werkes erstreckt und gedanklichen Exkursionen keinen oder nur sehr geringen Raum gestattet, überwunden. Auch die übrige Produktion der Ebner, wie die Novelle »Oversberg«, die Romane »Rittmeister Brand« und »Bertram Vogelweid«, die Erzählung »Wieder die Alte« zeigen im wesentlichen dieselben Vorzüge und Fehler. Auch zahlreiche Parabeln, Märchen und Aphorismen stammen aus ihrer Feder. Ihre lyrische Produktion, die sich bis in die späteren Jahre fortsetzt, ist ohne Bedeutung für ihre literarische Charakteristik. Sie füllt mit den Parabeln und Märchen den ersten Band der im Jahre 1892 erschienen Ausgabe ihrer gesammelten Schriften. Der zweite bringt die Dorf- und Schloßgeschichten, III. und IV. Erzählungen, V. »Das Gemeindekind«, VI. »Unsühnbar«. Zahlreiche ihrer späteren Werke sind in diese Sammlung nicht aufgenommen. Die Ebner-Eschenbach hat, obwohl sie nicht direkt auf die Jüngsten eingewirkt und die Brücke des Naturalismus sozusagen nicht überschritten hat, doch Anrecht, in den Reihen der Moderne genannt zu werden. Sie hat Charaktere geschaffen, deren Zeichnung, wenn auch in einer bestimmten Perspektive gesehen, doch jene künstlerischen Forderungen erfüllt, die das Programm des neuen Zeitalters der Literatur geworden sind.

V. H.


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