Oswald Spengler
Der Untergang des Abendlandes – Erster Band
Oswald Spengler

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Natur ist die Gestalt, unter welcher der Mensch hoher Kulturen den unmittelbaren Eindrücken seiner Sinne Einheit und Bedeutung gibt. Geschichte ist diejenige, aus welcher seine Einbildungskraft das lebendige Dasein der Welt in bezug auf das eigene Leben zu begreifen und diesem damit eine vertiefte Wirklichkeit zu verleihen sucht. Ob er dieser Gestaltungen fähig ist und welche von ihnen sein waches Bewußtsein beherrscht, das ist eine Urfrage aller menschlichen Existenz.

Hier liegen zwei Möglichkeiten der Weltbildung durch den Menschen vor. Damit ist schon gesagt, daß es nicht notwendig Wirklichkeiten sind. Fragen wir also im folgenden nach dem Sinn aller Geschichte, so ist zuerst eine Frage zu lösen, die bisher nie gestellt worden ist. Für wen gibt es Geschichte? Eine paradoxe Frage, wie es scheint. Ohne Zweifel für jeden, insofern jeder Mensch mit seinem gesamten Dasein und Wachsein Glied der Geschichte ist. Aber es ist ein großer Unterschied, ob jemand unter dem beständigen Eindruck lebt, daß sein Leben ein Element in einem weit größeren Lebenslauf ist, der sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende erstreckt, oder ob er es als etwas in sich selbst Gerundetes und Abgeschlossenes empfindet. Sicherlich gibt es für die letztere Art des Wachseins keine Weltgeschichte, keine Welt als Geschichte. Aber wie, wenn das Selbstbewußtsein einer ganzen Nation, wenn eine ganze Kultur auf diesem ahistorischen Geiste beruht? Wie muß ihr die Wirklichkeit erscheinen? Die Welt? Das Leben? Bedenken wir, daß sich im Weltbewußtsein der Hellenen alles Erlebte, nicht nur die eigne persönliche, sondern die allgemeine Vergangenheit alsbald in einen zeitlos unbeweglichen, mythisch gestalteten Hintergrund der jeweils augenblicklichen Gegenwart verwandelte, dergestalt, daß die Geschichte Alexanders des Großen noch vor seinem Tode für das antike Gefühl mit der Dionysoslegende zu verschwimmen begann, und Cäsar seine Abstammung von Venus mindestens nicht als widersinnig empfand, so müssen wir zugestehen, daß uns Menschen des Abendlandes mit dem starken Gefühl für zeitliche Distanzen, aus dem heraus das tägliche Rechnen mit Jahreszahlen nach und vor Christi Geburt etwas Selbstverständliches geworden ist, ein Nacherleben solcher Seelenzustände beinahe unmöglich wird, daß wir aber nicht das Recht haben, dem Problem der Geschichte gegenüber von dieser Tatsache einfach abzusehen.

Was Tagebücher und Selbstbiographien für den einzelnen, das bedeutet Geschichtsforschung im weitesten Umfange, wo sie auch alle Arten psychologisch vergleichender Analyse fremder Völker, Zeiten, Sitten einschließt, für die Seele ganzer Kulturen. Aber die antike Kultur besaß kein Gedächtnis, kein historisches Organ in diesem besonderen Sinne. Das »Gedächtnis« des antiken Menschen – wobei wir allerdings einen aus dem eignen Seelenbilde abgeleiteten Begriff ohne weiteres einer fremden Seele unterlegen – ist etwas ganz anderes, weil hier Vergangenheit und Zukunft als ordnende Perspektiven im Wachsein fehlen und die »reine Gegenwart«, die Goethe an allen Äußerungen antiken Lebens, vor allem an der Plastik so oft bewundert hat, es mit einer uns ganz unbekannten Mächtigkeit ausfüllt. Diese reine Gegenwart, deren größtes Symbol die dorische Säule ist, stellt in der Tat eine Verneinung der Zeit (der Richtung) dar. Für Herodot und Sophokles wie für Themistokles und für einen römischen Konsul verflüchtigt sich die Vergangenheit alsbald in einen zeitlos ruhenden Eindruck von polarer, nicht periodischer Struktur – denn das ist der letzte Sinn durchgeistigter Mythenbildung –, während sie für unser Weltgefühl und inneres Auge ein periodisch klar gegliederter, zielvoll gerichteter Organismus von Jahrhunderten oder Jahrtausenden ist. Dieser Hintergrund aber gibt dem Leben, dem antiken wie dem abendländischen, erst seine besondere Farbe. Was der Grieche Kosmos nannte, war das Bild einer Welt, die nicht wird, sondern ist. Folglich war der Grieche selbst ein Mensch, der niemals wurde, sondern immer war.

Deshalb hat der antike Mensch, obwohl er die strenge Chronologie, die Kalenderrechnung und damit das starke, in großartiger Beobachtung der Gestirne und in der exakten Messung gewaltiger Zeiträume sich offenbarende Gefühl für Ewigkeit und für die Nichtigkeit des gegenwärtigen Augenblicks in der babylonischen und vor allem der ägyptischen Kultur sehr wohl kannte, sich innerlich nichts davon zu eigen gemacht. Was seine Philosophen gelegentlich erwähnen, haben sie nur gehört, nicht geprüft. Und was vereinzelte glänzende Köpfe namentlich asiatischer Griechenstädte wie Hipparch und Aristarch entdeckten, ist von der stoischen wie der aristotelischen Geistesrichtung abgelehnt und außerhalb der engsten Fachwissenschaft überhaupt nicht beachtet worden. Weder Plato noch Aristoteles besaßen eine Sternwarte. In den letzten Jahren des Perikles wurde in Athen ein Volksbeschluß gefaßt, der jeden mit der schweren Klageform der Eisangelie bedrohte, der astronomische Theorien verbreitete. Es war ein Akt von tiefster Symbolik, in dem sich der Wille der antiken Seele aussprach, die Ferne in jedem Sinn aus ihrem Weltbewußtsein zu verbannen.

Was die antike Geschichtsschreibung betrifft, so richte man seinen Blick auf Thukydides. Die Meisterschaft dieses Mannes besteht in der echt antiken Kraft, Ereignisse der Gegenwart aus sich selbst heraus verstehend zu erleben, und dazu kommt jener prachtvolle Tatsachenblick des geborenen Staatsmannes, der selbst Feldherr und Beamter gewesen war. Diese praktische Erfahrung, die man leider mit historischem Sinn verwechselt, läßt ihn geschichtsschreibenden bloßen Gelehrten mit Recht als unerreichtes Muster erscheinen. Was ihm aber vollkommen verschlossen bleibt, ist jener perspektivische Blick über die Geschichte von Jahrhunderten hin, der für uns mit Selbstverständlichkeit zum Begriff des Historikers gehört. Alle guten Stücke antiker Geschichtsdarstellung beschränken sich auf die politische Gegenwart des Autors, im schärfsten Gegensatz zu uns, deren historische Meisterwerke ohne Ausnahme die ferne Vergangenheit behandeln. Thukydides würde schon an dem Thema der Perserkriege gescheitert sein, von einer allgemein griechischen oder gar ägyptischen Geschichte ganz zu schweigen. Bei ihm wie bei Polybios und Tacitus, ebenfalls praktischen Politikern, geht die Sicherheit des Blickes sofort verloren, wenn sie in der Vergangenheit, oft im Abstand weniger Jahrzehnte, auf treibende Kräfte stoßen, die ihnen in dieser Gestalt aus ihrer eigenen Praxis unbekannt sind. Für Polybios ist der erste Punische Krieg, für Tacitus schon Augustus nicht mehr verständlich, und der – an unsrer perspektivischen Forschung gemessen – gänzlich unhistorische Sinn des Thukydides erschließt sich durch die unerhörte Behauptung gleich auf der ersten Seite seines Buches, daß vor seiner Zeit (um 400!) in der Welt Ereignisse von Bedeutung nicht vorgefallen seien ου μεγάλα γενέσθαιDie ohnehin sehr spät einsetzenden Versuche der Griechen, nach dem Muster Ägyptens etwas wie einen Kalender oder eine Chronologie zustande zu bringen, sind von höchster Naivität. Die Olympiadenrechnung ist keine Ära wie etwa die christliche Zeitrechnung, und außerdem ein später, rein literarischer Notbehelf, nichts dem Volke Geläufiges. Das Volk besaß überhaupt kein Bedürfnis nach einer Zählung, mit welcher man Erlebnisse der Eltern und Großeltern festlegen konnte, mochten einige Gelehrte immerhin sich für das Kalenderproblem interessieren. Es kommt hier nicht darauf an, ob ein Kalender gut ist oder schlecht, sondern ob er im Gebrauch ist, ob das Leben der Gesamtheit danach läuft. Aber auch die Olympionikenliste vor 500 ist eine Erfindung so gut wie die ältere attische Archonten- und die römische Konsulnliste. Von den Kolonisationen gibt es kein einziges echtes Datum (Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. II, 442; Beloch, Griech. Gesch. I, 2, 219). »An eine Aufzeichnung von Berichten über historische Begebenheiten hat überhaupt niemand in Griechenland vor dem 5. Jahrhundert gedacht« (Beloch, I, 1, 125). Wir besitzen die Inschrift eines Vertrages zwischen Elis und Heräa, der »hundert Jahre von diesem Jahre an« gelten sollte. Welches Jahr das war, ließ sich aber nicht angeben. Nach einiger Zeit wird man also nicht mehr gewußt haben, wie lange der Vertrag bestand, und offenbar hatte das niemand vorausgesehen. Wahrscheinlich werden diese Gegenwartsmenschen ihn überhaupt bald vergessen haben. Es kennzeichnet den legendenhaft-kindlichen Charakter des antiken Geschichtsbildes, daß man eine geordnete Datierung der Tatsachen etwa des »Trojanischen Krieges«, der der Stufe nach doch unsern Kreuzzügen entspricht, geradezu als stilwidrig empfinden würde. – Ebenso steht das geographische Wissen der Antike weit hinter dem ägyptischen und babylonischen zurück. Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. III, 102) zeigt, wie die Kenntnis der Gestalt Afrikas von Herodot (nach persischen Quellen) bis auf Aristoteles gesunken ist. Dasselbe gilt von den Römern als den Erben der Karthager. Sie haben die fremden Kenntnisse erst nacherzählt und dann langsam vergessen.

Infolgedessen ist die antike Geschichte bis auf die Perserkriege herab, aber auch noch der überlieferte Aufbau sehr viel späterer Perioden das Produkt wesentlich mythischen Denkens. Die Verfassungsgeschichte Spartas – Lykurg, dessen Biographie mit allen Einzelheiten erzählt wird, war vermutlich eine unbedeutende Waldgottheit des Taygetos – ist eine Dichtung der hellenistischen Zeit, und die Erfindung der römischen Geschichte vor Hannibal war noch zur Zeit Cäsars nicht zum Stillstand gekommen. Die Vertreibung der Tarquinier durch Brutus ist eine Erzählung, zu der ein Zeitgenosse des Zensors Appius Claudius (310) Modell gestanden hat. Die Namen römischer Könige sind damals nach den Namen reichgewordener plebejischer Familien geformt worden (K. J. Neumann). Von der »servianischen Verfassung« ganz abgesehen, ist das berühmte licinische Ackergesetz von 367 zur Zeit Hannibals noch nicht vorhanden gewesen (B. Niese). Als Epaminondas die Messenier und Arkader befreit und zu einem Staat gemacht hatte, erfanden sie sich sofort eine Urgeschichte. Das Ungeheuerliche ist nicht, daß dergleichen vorkam, sondern daß es eine andere Art von Geschichte kaum gab. Man kann den Gegensatz des abendländischen und des antiken Sinnes für alles Historische nicht besser zeigen, als wenn man sagt, daß die Römergeschichte vor 250, wie man sie zur Zeit Cäsars kannte, im wesentlichen eine Fälschung, und daß das wenige, was wir festgestellt haben, den späteren Römern ganz unbekannt war. Es kennzeichnet den antiken Sinn des Wortes Geschichte, daß die alexandrinische Romanliteratur stofflich den stärksten Einfluß auf die ernsthafte politische und religiöse Historik ausgeübt hat. Man dachte gar nicht daran, ihren Inhalt von aktenmäßigen Daten grundsätzlich zu unterscheiden. Als Varro gegen Ende der Republik daran ging, die aus dem Bewußtsein des Volkes rasch schwindende römische Religion zu fixieren, teilte er die Gottheiten, deren Dienst vom Staate aufs peinlichste ausgeübt wurde, in di certi und di incerti ein – solche, von denen man noch etwas wußte, und solche, von denen trotz des fortdauernden öffentlichen Kultes nur der Name geblieben war. In der Tat war die Religion der römischen Gesellschaft seiner Zeit – wie sie nicht nur Goethe, sondern selbst Nietzsche ohne Argwohn aus den römischen Dichtern hinnahmen – größtenteils ein Erzeugnis der hellenisierenden Literatur und fast ohne Zusammenhang mit dem alten Kultus, den niemand mehr verstand.

Mommsen hat den westeuropäischen Standpunkt klar formuliert, als er die römischen Historiker – Tacitus ist vor allem gemeint – Leute nannte, »die das sagen, was verschwiegen zu werden verdiente, und das verschweigen, was notwendig war, zu sagen«.

Die indische Kultur, deren Idee vom (brahmanischen) Nirwana der entschiedenste Ausdruck einer vollkommen ahistorischen Seele ist, den es geben kann, hat nie das geringste Gefühl für das »Wann« in irgendeinem Sinne besessen. Es gibt keine echte indische Astronomie, keine indischen Kalender, keine indische Historie also, insofern man darunter den geistigen Niederschlag einer bewußten Entwicklung versteht. Wir wissen vom sichtbaren Verlaufe dieser Kultur, deren organischer Teil mit der Entstehung des Buddhismus abgeschlossen war, noch viel weniger als von der antiken, sicherlich an großen Ereignissen reichen Geschichte zwischen dem 12. und 8. Jahrhundert. Beide sind lediglich in traumhaft-mythischer Gestalt festgehalten worden. Erst ein volles Jahrtausend nach Buddha, um 500 n. Chr., entstand auf Ceylon im »Mahavansa« etwas, das entfernt an Geschichtsschreibung erinnert.

Das Weltbewußtsein des indischen Menschen war so geschichtslos angelegt, daß er nicht einmal die Erscheinung des von einem Autor verfaßten Buches als zeitlich feststehendes Ereignis kannte. Statt einer organischen Reihe persönlich abgegrenzter Schriften entstand allmählich eine vage Textmasse, in die jeder hineinschrieb, was er wollte, ohne daß die Begriffe des individuellen geistigen Eigentums, der Entwicklung eines Gedankens, der geistigen Epoche eine Rolle gespielt hätten. In dieser anonymen Gestalt – es ist die der gesamten indischen Geschichte – liegt uns die indische Philosophie vor. Mit ihr vergleiche man die durch Bücher und Personen physiognomisch aufs schärfste herausgearbeitete Philosophiegeschichte des Abendlandes.

Der indische Mensch vergaß alles, der ägyptische konnte nichts vergessen. Eine indische Kunst des Porträts – der Biographie in nuce – hat es nie gegeben; die ägyptische Plastik kannte kaum ein anderes Thema.

Die ägyptische Seele, eminent historisch veranlagt und mit urweltlicher Leidenschaft nach dem Unendlichen drängend, empfand die Vergangenheit und Zukunft als ihre ganze Welt, und die Gegenwart, die mit dem wachen Bewußtsein identisch ist, erschien ihr lediglich als die schmale Grenze zwischen zwei unermeßlichen Fernen. Die ägyptische Kultur ist eine Inkarnation der Sorge – dem seelischen Gegenwert der Ferne –, der Sorge um das Künftige, wie sie sich in der Wahl von Granit und Basalt als künstlerischem Material,Demgegenüber ist es ein Symbol ersten Ranges und ohne Beispiel in der Kunstgeschichte, daß die Hellenen ihrer mykenischen Vorzeit gegenüber, und zwar in einem an Steinmaterial überreichen Lande, vom Steinbau zur Verwendung des Holzes zurückkehrten, woraus sich das Fehlen architektonischer Reste zwischen 1200 und 600 erklärt. Die ägyptische Pflanzensäule war von Anfang an Steinsäule, die dorische Säule war eine Holzsäule. Darin spricht sich die tiefe Feindseligkeit der antiken Seele gegen die Dauer aus. in den gemeißelten Urkunden, in der Ausbildung eines peinlichen Verwaltungssystems und dem Netz von Bewässerungsanlagen ausspricht,Hat je eine hellenische Stadt auch nur ein umfassendes Werk ausgeführt, das die Sorge um kommende Generationen verrät? Die Straßen- und Bewässerungssysteme, die man in mykenischer, d. h. vorantiker Zeit nachgewiesen hat, sind seit der Geburt antiker Völker – mit dem Anbruch der homerischen Zeit also – verfallen und vergessen worden. Um das Bizarre der Tatsache zu begreifen, daß die Buchstabenschrift von der Antike erst nach 900 angenommen wurde, und zwar in bescheidenstem Umfang und sicherlich nur zu den dringendsten wirtschaftlichen Zwecken, was der Mangel an Inschriftfunden mit Sicherheit beweist, bedenke man, daß in der ägyptischen, babylonischen, mexikanischen und chinesischen Kultur die Ausbildung einer Schrift in grauer Vorzeit beginnt, daß die Germanen sich ein Runenalphabet schufen und später ihre Ehrfurcht vor der Schrift durch die immer wiederholte ornamentale Ausbildung von Zierschriften bezeugten, während die Frühantike die vielen im Süden und Osten gebräuchlichen Schriften durchaus ignorierte. Wir besitzen zahlreiche Schriftdenkmäler aus dem hethitischen Kleinasien und aus Kreta, aus homerischer Zeit nicht ein einziges, vgl. Bd. II, S. 737 ff. und der notwendig damit verknüpften Sorge um das Vergangene. Die ägyptische Mumie ist ein Symbol vom höchsten Range. Man verewigte den Leib des Toten, wie man seiner Persönlichkeit, dem »Ka«, durch die oft in vielen Exemplaren ausgeführten Bildnisstatuen, an deren in einem sehr hohen Sinne aufgefaßte Ähnlichkeit sie gebunden war, ewige Dauer verlieh.

Es besteht eine tiefe Beziehung zwischen dem Verhalten gegen die historische Vergangenheit und der Auffassung des Todes, wie sie sich in der Form der Bestattung ausspricht. Der Ägypter verneint die Vergänglichkeit, der antike Mensch bejaht sie durch die gesamte Formensprache seiner Kultur. Die Ägypter konservierten auch die Mumie ihrer Geschichte: die chronologischen Daten und Zahlen. Während von der vorsolonischen Geschichte der Griechen nichts überliefert ist, keine Jahreszahl, kein echter Name, kein greifbares Ereignis – was dem uns allein bekannten Rest ein übertriebenes Gewicht gibt –, kennen wir aus dem 3. Jahrtausend und noch weiter zurück die Namen und selbst die genauen Regierungszahlen zahlreicher ägyptischer Könige, und im Neuen Reich muß man ein lückenloses Wissen von ihnen gehabt haben. Als ein grauenvolles Symbol dieses Willens zur Dauer liegen heute noch die Körper der großen Pharaonen mit kenntlichen Gesichtszügen in unseren Museen. Auf der leuchtend polierten Granitspitze der Pyramide Amenemhets III. liest man noch jetzt die Worte: »Amenemhet schaut die Schönheit der Sonne« und auf der andern Seite: »Höher ist die Seele Amenemhets als die Höhe des Orion und sie verbindet sich mit der Unterwelt«. Das ist Überwindung der Vergänglichkeit, der bloßen Gegenwart, und unantik im höchsten Maße.


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