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Es gibt demnach in jeder Frühzeit zwei eigentlich ornamentale, nicht imitierende Künste, die des Bauens und des Verzierens. In der voraufgehenden Vorzeit, den Jahrhunderten des Ahnens und der Schwangerschaft, gehört der Ornamentik im engeren Sinne die Welt des elementaren Ausdrucks allein. Die Karolingerzeit wird nur durch sie repräsentiert. Ihre Bauversuche stehen »zwischen den Stilen«. Es fehlt ihnen die Idee. Und ebenso haben wir mit dem Verlust aller mykenischen Bauten kunstgeschichtlich nichts verloren.Das gilt nicht weniger von den Bauanlagen der ägyptischen Thinitenzeit und den seleukidisch-persischen Sonnen- und Feuertempeln der vorchristlichen Jahrhunderte. Mit dem Anbruch der großen Kultur aber erhebt sich plötzlich der Bau als Ornament zu einer solchen Gewalt des Ausdrucks, daß für ein Jahrhundert fast die bloße Verzierung scheu zurückweicht. Die aus Stein gebildeten Räume, Flächen und Kanten reden allein. Im Grabtempel des Chephren wird der Gipfel mathematischer Einfalt erreicht; überall rechte Winkel, Quadrate, rechteckige Pfeiler; kein Schmuck, keine Inschrift, kein Übergang. Das die Spannung mildernde Relief wagt sich erst einige Generationen später in die hehre Magie dieser Räume. Und ebenso die edle Romanik Westfalens und Sachsens (Hildesheim, Gernrode, Paulinzella, Paderborn), Südfrankreichs und der Normannen (Norwich, Peterborough in England), die mit einer unbeschreiblichen inneren Wucht und Würde den ganzen Sinn der Welt in eine Linie, ein Kapitäl, einen Bogen zu legen vermochte.
Erst auf dem Gipfel der frühzeitlichen Formenwelt ordnet sich das Verhältnis dahin, daß der Bau die Herrschaft führt und ein reiches Ornament ihm dient, und zwar Ornament im allerweitesten Sinne. Denn dazu gehört nicht nur das antike Einzelmotiv mit seiner ruhend abgewogenen Symmetrie oder mäandrischen Addition,Z. folg. Worringer, Formprobleme der Gotik, S. 36 ff. die flächenüberspinnende Arabeske und die ihr nicht unähnlichen Flächenmuster der Maya, das »Donnermuster« und andere Motive aus früher Dschouzeit, die wiederum beweisen, daß die altchinesische Architektur Gestaltung der Landschaft ist, und die ganz zweifellos ihren Sinn erst durch die Linien der Gartenumgebung erhalten, in welche die Bronzevasen hineinkomponiert waren. Sondern ornamental empfunden sind auch die Kriegergestalten auf Dipylonvasen und in noch viel höherem Grade die Statuen scharen gotischer Dome. Es »wurden Figuren vom Beschauer aus in Pfeiler hineinkomponiert und die Pfeilerfiguren im Verhältnis zum Beschauer aneinandergereiht wie rhythmische Fugen einer zum Himmel aufsteigenden und nach allen Seiten ausklingenden Symphonie.«Dvorak, Idealismus und Naturalismus in der got. Skulptur und Malerei, Hist. Zeitschrift 1918, S. 44 f. Die Gewandfalten, Gebärden, Bildertypen, aber auch der hymnische Strophenbau und die Parallelführung der Stimmen im Kirchengesang sind Ornament im Dienste des alles beherrschenden Baugedankens.Zum Ornament im höchsten Sinne gehört endlich die Schrift und damit das Buch, welches das eigentliche Seitenstück zum Kultbau ist und als Kunstwerk stets mit diesem erscheint oder fehlt (Bd. II, S. 739f., 855f.). In der Schrift hat nicht das Schauen, sondern das Verstehen Gestalt gewonnen. Es sind nicht Wesenheiten, sondern durch Worte von ihnen abgezogene Begriffe, welche durch diese Zeichen symbolisiert werden, und da das Gegenüber des sprachgewohnten menschlichen Geistes der starre Raum ist, so wird das Ursymbol einer Kultur außer im Steinbau nirgends reiner ausgedrückt als in einer Schrift. Es ist ganz unmöglich, die Geschichte der Arabeske zu verstehen, wenn man die der zahllosen arabischen Schriftarten außer acht läßt, und von der ägyptischen und chinesischen Stilgeschichte ist die der Schriftzeichen, ihrer Anordnung und Anbringung nicht zu trennen. Erst zu Beginn der Spätzeiten ist der Bann der großen Ornamentik gebrochen. Die Architektur tritt in eine Gruppe städtischer, weltlicher Sonderkünste ein, die in steigendem Grade gefällig und geistreich nachahmend und damit persönlich werden. Von Imitation und Ornament gilt dasselbe, was oben von Zeit und Raum gesagt wurde: die Zeit gebiert den Raum, der Raum aber tötet die Zeit.Vgl. Bd. I, S. 224. Zu Anfang hatte die starre Symbolik alles Lebendige versteint. Der Leib einer gotischen Statue soll gar nicht leben; er ist nur ein Liniengebilde in menschlicher Form. Jetzt verliert das Ornament alle heilige Strenge und wird mehr und mehr zum Schmuck der baulichen Umgebung eines vornehmen und formvollen Lebens. Nur als solcher, verschönernd nämlich, ist der Renaissancegeschmack von der höfischen und patrizischen Welt des Nordens – nur von dieser! – angenommen worden.Vgl. Bd. II, S. 924. Ornament bedeutet im Alten Reiche etwas ganz anderes als im Mittleren, im geometrischen Stil etwas ganz anderes als im Hellenismus, für uns um 1200 etwas ganz anderes als um 1700. Und auch die Architektur malt und musiziert zuletzt, und ihre Formen scheinen jederzeit im Begriff, irgend etwas aus dem Bilde der Umwelt nachzuahmen. So erklärt sich der Weg vom ionischen zum korinthischen Kapitäl und von Vignola über Bernini zum Rokoko.
Mit dem Anbruch der Zivilisation endlich erlischt das echte Ornament und damit die große Kunst überhaupt. Den Übergang bilden, und zwar in irgendeiner Form in jeder Kultur, » Klassizismus und Romantik«. Jener bedeutet die Schwärmerei für ein Ornament – Regeln, Gesetze, Typen –, das längst altertümlich und seelenlos geworden ist, diese eine schwärmerische Imitation – nicht des Lebens, sondern einer früheren Imitation. An Stelle des Baustils tritt ein Baugeschmack. Malweisen, literarische Manieren, alte und moderne, einheimische und fremdartige Formen wechseln mit der Mode. Die innere Notwendigkeit fehlt. Es gibt keine »Schule« mehr, weil jeder die Motive wählt, wie und wo er will. Die Kunst wird zum Kunstgewerbe, und zwar in ihrem vollen Umfang, in Architektur und Musik, im Vers wie im Drama. Es entsteht zuletzt ein bildnerischer wie ein literarischer Formenschatz, der ohne alle tiefere Bedeutung mit Geschmack gehandhabt wird. In dieser letzten, völlig geschichts- und entwicklungslos gewordenen Form steht das kunstgewerbliche Ornament vor uns in den Mustern orientalischer Teppiche, persischer und indischer Metallarbeiten, chinesischer Porzellane, aber auch in der ägyptischen (und babylonischen) Kunst, wie sie die Griechen und Römer antrafen. Reines Kunstgewerbe ist die minoische Kunst auf Kreta, ein nördlicher Ausläufer ägyptischen Geschmacks seit der Hyksoszeit, und ganz dieselbe Rolle einer komfortablen Gewohnheit und geistvollen Spielerei füllt die »gleichzeitige« hellenistisch-römische Kunst etwa seit Scipio und Hannibal aus. Vom prunkvollen Gebälk des Nervaforums in Rom bis zur späteren Provinzkeramik im Westen vollzieht sich dieselbe Ausbildung eines unveränderlichen Kunstgewerbes, die sich auch in Ägypten und der islamischen Welt verfolgen läßt und in Indien und China in den Jahrhunderten nach Buddha und Konfuzius vorausgesetzt werden muß.