Oswald Spengler
Der Untergang des Abendlandes – Erster Band
Oswald Spengler

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Die arabische Kunst hat das magische Weltgefühl durch den Goldgrund ihrer Mosaiken und Tafelbilder zum Ausdruck gebracht. Man lernt seine verwirrend märchenhafte Wirkung und mithin seine symbolische Absicht aus den Mosaiken von Ravenna und bei den von lombardisch-byzantinischen Vorbildern noch ganz abhängigen frührheinischen und vor allem norditalienischen Meistern kennen, nicht zum wenigsten auch durch gotische Buchillustrationen, deren Vorbilder die byzantinischen Purpurcodices waren. Die Seele dreier Kulturen ist hier an einer nahe verwandten Aufgabe zu prüfen. Die apollinische erkannte nur das in Ort und Zeit unmittelbar Gegenwärtige als wirklich an – und sie verleugnete den Hintergrund in ihren Bildwerken; die faustische strebte über alle sinnlichen Schranken ins Unendliche – und sie verlegte den Schwerpunkt des Bildgedankens mittels der Perspektive in die Ferne; die magische empfand alles Geschehende als Ausdruck rätselhafter, die Welthöhle mit ihrer geistigen Substanz durchdringenden Mächte – und sie schloß die Szene durch einen Goldgrund ab, das heißt durch ein Mittel, das jenseits alles Farbig-Natürlichen steht. Gold ist überhaupt keine Farbe. Dem Gelb gegenüber entsteht der komplizierte sinnliche Eindruck durch die metallische diffuse Rückstrahlung eines an der Oberfläche durchscheinenden Mittels. Farben – sei es die farbige Substanz der geglätteten Wandfläche (Fresko) oder das mit dem Pinsel aufgetragene Pigment – sind natürlich; der in der Natur so gut wie nie vorkommende MetallglanzEine tiefsymbolische Bedeutung verwandter Art hat auch die glänzende Politur des Steines in der ägyptischen Kunst. Sie hält den Blick in einer über die Außenseite der Statue gleitenden Bewegung und wirkt damit entkörpernd. Umgekehrt ist der hellenische Weg vom Poros über den naxischen zum durchscheinenden parischen und pentelischen Marmor ein Zeugnis für die Absicht, den Blick in die stoffliche Wesenheit des Körpers eindringen zu lassen. ist übernatürlich. Er gemahnt an die anderen Symbole dieser Kultur, die Alchymie und Kabbala, den Stein der Weisen, das heilige Buch, die Arabeske und die innere Form der Märchen aus 1001 Nacht. Das leuchtende Gold nimmt der Szene, dem Leben, den Körpern ihr handgreifliches Sein. Alles, was im Kreise Plotins und der Gnostiker über das Wesen der Dinge, ihre Unabhängigkeit vom Raume, ihre zufälligen Ursachen gelehrt wurde – für unser Weltgefühl paradoxe und fast unverständliche Ansichten –, liegt in der Symbolik dieses rätselhaft hieratischen Hintergrundes. Das Wesen der Körper war ein wichtiger Streitpunkt der Neupythagoräer und Neuplatoniker wie später der Schulen von Bagdad und Basra. Suhrawardi unterschied Ausdehnung als das primäre Wesen des Körpers von seiner Breite, Höhe und Tiefe als den Akzidentien. Von Nazzâm werden den Atomen körperliche Substanz und das Merkmal der Raumerfüllung abgesprochen. Das alles waren metaphysische Ansichten, die von Philo und Paulus an bis auf die letzten Größen der islamischen Philosophie das arabische Weltgefühl offenbaren. Sie spielen im Streit der Konzile um die Substanz Christi die entscheidende Rolle. Der Goldgrund jener Gemälde im Bereich der westlichen Kirche hat also eine ausgesprochene dogmatische Bedeutung. Er drückt Wesen und Walten des göttlichen Geistes aus. Er repräsentiert die arabische Gestalt des christlichen Weltbewußtseins, und es hängt tief damit zusammen, daß diese Behandlung des Hintergrundes für Darstellungen aus der christlichen Legende tausend Jahre lang als die einzige metaphysisch, selbst ethisch mögliche und würdige erscheint. Als die ersten »wirklichen« Hintergründe in der frühen Gotik auftauchen, mit blaugrünem Himmel, weitem Horizont und Tiefenperspektive, wirken sie zunächst profan, weltlich, und man hat den dogmatischen Wandel, der sich hier verriet, wohl gefühlt, wenn auch nicht erkannt. Das zeigen jene Teppichhintergründe, durch welche die eigentliche Tiefe mit heiliger Scheu verdeckt wird. Man ahnt sie, aber man wagt nicht, sie zur Schau zu stellen. Wir sahen, wie gerade damals, als das faustische – germanisch-katholische – Christentum durch die Ausbildung des Sakraments der Buße zum Bewußtsein seiner selbst gelangt war, eine neue Religion im alten Gewande, in der Kunst der Franziskaner die perspektivische und farbige, den Luftraum erobernde Tendenz den ganzen Sinn der Malerei umgestaltete. Das abendländische Christentum verhält sich zum morgenländischen wie das Symbol der Perspektive zu dem des Goldgrundes, und das endgültige Schisma tritt in Kirche und Kunst fast gleichzeitig ein. Man begreift den landschaftlichen Hintergrund der Bildszene zugleich mit der dynamischen Unendlichkeit Gottes; und zugleich mit den Goldgründen der kirchlichen Gemälde verschwinden aus den abendländischen Konzilen jene magischen, ontologischen Gottheitsprobleme, welche alle orientalischen wie die von Nikäa, Ephesus und Chalcedon leidenschaftlich bewegt hatten.


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