Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die antike Malerei strengen Stils beschränkte ihre Palette auf gelb, rot, schwarz und weiß. Diese merkwürdige Tatsache ist früh bemerkt worden und hat, da man andere als oberflächliche und ausgesprochen materialistische Gründe gar nicht in Betracht zog, zu törichten Hypothesen wie der von einer angeblichen Farbenblindheit der Griechen geführt. Auch Nietzsche hat davon geredet (Morgenröte 426).
Aber aus welchem Grunde vermied diese Malerei in ihrer großen Zeit das Blau und sogar noch das Blaugrün und ließ erst bei den grüngelben und bläulichroten Tönen die Skala der erlaubten Farben beginnen?Das Blau und seine Wirkung war den antiken Künstlern wohl bekannt. Die Metopen vieler Tempel hatten blauen Hintergrund, weil sie den Triglyphen gegenüber als Tiefe erscheinen sollten. Und die Handwerksmalerei hat alle technisch herstellbaren Farben verwendet; blaue Pferde sind unter den archaischen Werken der Akropolis und in etruskischen Grabgemälden nachgewiesen. Eine grell blaue Färbung des Haares war ganz gewöhnlich. Ohne Zweifel kommt das Ursymbol der euklidischen Seele in dieser Beschränkung zum Ausdruck.
Blau und grün sind die Farben des Himmels, des Meeres, der fruchtbaren Ebene, der Schatten an südlichen Mittagen, des Abends und der entfernten Gebirge. Sie sind wesentlich atmosphärische, nicht gegenständliche Farben. Sie sind kalt; sie entkörpern und rufen die Eindrücke des Weiten, Fernen und Grenzenlosen hervor.
Deshalb geht, während das Fresko Polygnots sie streng vermeidet, ein »infinitesimales« Blau und Grün von den Venezianern an bis ins 19. Jahrhundert als raumschaffendes Element durch die ganze Geschichte der perspektivischen Ölmalerei. Und zwar als Grundton von ganz überwiegendem Range, der den Gesamtsinn der Farbengebung trägt, als Generalbaß, während die warmen gelben und roten Töne sparsam und erst danach gestimmt sind. Es ist nicht das satte, freudige, nahe Grün gemeint, das Raffael oder Dürer bei Gewändern gelegentlich – und selten genug – verwenden, sondern ein unbestimmbares, in tausend Schattierungen ins Weiße, Graue, Braune spielendes Blaugrün, etwas tief Musikalisches, in das die ganze Atmosphäre vor allem auch der Gobelins getaucht ist. Was man im Gegensatz zur Linearperspektive Luftperspektive genannt hat und im Gegensatz zur Renaissanceperspektive Barockperspektive hätte nennen können, beruht fast ausschließlich auf ihm. Man findet es in Italien mit steigender Kraft der Tiefenwirkung bei Lionardo, Guercino, Albani, in Holland bei Ruysdael und Hobbema, vor allem aber bei den großen Franzosen, von Poussin, Lorrain und Watteau an bis zu Corot. Das Blau, ebenfalls eine perspektivische Farbe, steht immer in Beziehung zum Dunklen, Lichtlosen, Unwirklichen. Es dringt nicht ein, sondern zieht in die Ferne. »Ein reizendes Nichts«, hat es Goethe in seiner Farbenlehre genannt. Blau und Grün sind transzendente, geistige, unsinnliche Farben. Sie fehlen im strengen Freskogemälde attischen Stils und also herrschen sie in der Ölmalerei. Gelb und Rot, die antiken Farben, sind die der Materie, der Nähe und der Sprache des Blutes. Rot ist die eigentliche Farbe der Geschlechtlichkeit; deshalb ist es die einzige, die auf Tiere wirkt. Sie steht dem Symbol des Phallus – und also der Statue und der dorischen Säule – am nächsten, wie andrerseits ein reines Blau den Mantel der Madonna verklärt. Diese Beziehung hat sich mit tiefgefühlter Notwendigkeit in allen großen Schulen von selbst eingestellt. Violett – ein Rot, das vom Blau überwunden wird – ist die Farbe der Frauen, die nicht mehr fruchtbar sind, und der im Zölibat lebenden Priester.
Gelb und Rot sind die populären Farben, die der Menge, der Kinder, der Frauen und der Wilden. Bei den Spaniern und Venezianern wählt der Vornehme – aus dem unbewußten Gefühl einer abweisenden Distanz – ein prächtiges Schwarz oder Blau. Gelb und Rot sind endlich – als die euklidischen, apollinischen, polytheistischen Farben – die des Vordergrundes, auch im sozialen Sinne, also die einer lärmenden Geselligkeit, des Marktes, der Volksfeste, die des naiven Vorsichhinlebens, des antiken Fatums und des blinden Zufalls, des punktförmigen Daseins. Blau und Grün – faustische, monotheistische Farben – sind die der Einsamkeit, der Sorge, der Beziehung des Augenblicks auf Vergangenheit und Zukunft, die des Schicksals als der dem Weltall innewohnenden Fügung.
Die Beziehung des shakespearischen Schicksals zum Raume, des sophokleischen zum einzelnen Körper war oben festgestellt worden. Alle Kulturen von tiefer Transzendenz, alle, deren Ursymbol eine Überwindung des Augenscheins, ein Leben als Kampf, nicht als Hinnahme von Gegebenem fordert, haben zum Raume wie zum Blau und Schwarz denselben metaphysischen Hang. Tiefe Beobachtungen über das Verhältnis zwischen der Idee des Raumes und dem Sinn der Farbe finden sich in Goethes Studien über die entoptischen Farben in der Atmosphäre. Mit der von ihm in seiner Farbenlehre gegebenen Symbolik stimmt die hier aus den Ideen von Raum und Schicksal abgeleitete vollkommen überein.
Die bedeutendste Verwendung eines düsteren Grüns als der Farbe des Schicksals findet sich bei Grünewald, dessen Nächte von einer unbeschreiblichen Mächtigkeit des Raumes nur von Rembrandt noch erreicht werden. Hier gewinnt man den Eindruck, als ob dies bläuliche Grün, dieselbe Farbe, in welche das Innere der großen Dome oft gehüllt ist, als die spezifisch katholische Farbe bezeichnet werden dürfe, vorausgesetzt, daß man allein jenes durch das lateranische Konzil von 1215 begründete und im Tridentinum vollendete faustische Christentum mit der Eucharistie als Mittelpunkt katholisch nennt. Diese Farbe steht in ihrer schweigsamen Größe sicherlich dem prunkvollen Goldgrund altchristlich-byzantinischer Bildwerke ebenso fern wie den geschwätzig-heitren, »heidnischen« Farben bemalter hellenischer Tempel und Statuen. Man beachte, daß die Wirksamkeit dieser Farbe Innenräume zur Aufstellung der Kunstwerke voraussetzt, im Gegensatz zum Gelb und Rot; die antike Malerei ist eine ebenso entschieden öffentliche wie die abendländische eine Atelierkunst. Die gesamte große Ölmalerei von Lionardo bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist nicht für das grelle Tageslicht gedacht. Hier kehrt der Gegensatz von Kammermusik und freistehender Statue wieder. Die oberflächliche Begründung dieser Tatsache durch das Klima wird, wenn es überhaupt nötig wäre, durch das Beispiel der ägyptischen Malerei widerlegt. Da der unendliche Raum für das antike Lebensgefühl ein vollkommenes Nichts ist, so würden Blau und Grün mit ihrer entwirklichenden und Fernen schaffenden Kraft die Alleinherrschaft des Vordergrundes, der vereinzelten Körper und damit den eigentlichen Sinn apollinischer Kunstwerke in Frage gestellt haben. Dem Auge eines Atheners wären Gemälde in den Farben Watteaus wesenlos und von einer schwer in Worte zu fassenden inneren Leere und Unwahrheit erschienen. Durch diese Farben wird die sinnlich empfundene, das Licht zurückstrahlende Fläche nicht als Zeugnis und Grenze eines Dinges, sondern als die des umgebenden Raumes gewertet. Deshalb fehlen sie dort und herrschen sie hier.