Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Wer ringt dort verzweifelt die Hände?« fragte Moray seinen sarkastisch lächelnden Begleiter.
»Das ist der Dichter des Maskenspiels, der berühmte Ben Jonson. Der Ärmste! – er ist genau so klug und arrogant wie er aussieht, und würde herzlich gern beide Ladies erstechen – so wie er einst einen Schauspieler erstach ... Aber die Gefängnisjahre, mit denen er es büßte, haben ihn Zurückhaltung gelehrt!«
Deklamation und Gitarrespiel waren verstummt, fast nur noch die schrille Stimme der Lady Suffolk durchzitterte die Luft. Die lauschende Gruppe rings um die beiden Streitenden wurde immer größer. Im Banne der Wirklichkeit war Königin Anna nicht mehr Juno, Lady Penelope nicht mehr die Vernunft, und ebenso waren die acht Ehehüterinnen Junos und Hymen und die acht Leidenschaften nur noch Mylord oder Mylady und reckten sich, neugierig blickend, die Hälse aus. Abseits hockte Ben Jonson gottergeben ins Gras nieder. Die Stimmung seiner Allegorie war zerrissen wie ein Tempelvorhang, die Welt seiner Verse war versunken, erschien wie Tand, blutlos neben zwei bebenden blutvollen Herzen, schattenhaft wie Laternenlicht im prallen Sonnenschein.
Die buntfarbigen Lords in seidenen Pluderhosen, die Hofdamen im Filigran hoher Spitzenkrausen, waren zu wohlerzogen, offen Partei zu nehmen oder gar Lady Suffolk zu verlachen. Das tat einer, der weder Earl noch Lord war: wie ein Pikador beim Stierkampf kam er in die Arena, um Wut anzustacheln. Seine aufreizende Waffe war seine Gitarre. Sich wundervoll begleitend, sang er mit affektiertem Augenaufschlag Lady Suffolk an.
»Wer ist der Lautenspieler?« fragte Moray.
»Campion, der Liederdichter und Arzt; zu Hause in Spitälern, Palästen und Hurenhäusern – wenn das nicht ein und dasselbe ist ...«
Ein Aufschrei ertönte. Mit einem Schlag ihres Sonnenschirmes hatte Lady Suffolk die wertvolle Gitarre in Trümmer geschlagen.
Die Königin wurde kupferrot:
»Entfernen Sie sich, Madam!«
»Verzeihung, Euer Gnaden, – ich bleibe! ... Nous maintiendrons – lautet unser Wappenspruch!«
»Gehen Sie, Madam!«
»Nein, Euer Gnaden! ... Wir sind nicht in Schottland!«
Die Königin kochte, siedete, barst. Das war ja die nie vernarbende Wunde, daß in England James sich nicht mehr einsperren ließ, ihr die Zügel nicht mehr überließ, und sie darum gezwungen war, sich mit Maskeraden die Zeit zu vertreiben. Wie sicher gebettet mußte sich die Lady in der Gunst des Königs glauben, daß sie sich nicht scheute, ihr einen solchen Affront zuzufügen.
Ein etwa dreißigjähriger Lord, breitschultrig, untersetzt, mit Stutzbart und wässerig-hellen Lamaaugen, ging auf Lady Suffolk zu und sagte phlegmatisch:
»Edle Lady, ich kann nicht dulden, daß Ihre Majestät beleidigt wird.«
»Ei, ei, Sie sind wohl ihr Ritter, Sir?«
»Madam, ich bin aller Frauen Beschützer – das habe ich geschworen, als ich den Ritterschlag empfing!«
»Es wird nicht der letzte Schlag sein, den Sie empfingen, Sir!«
»Darf ich Sie begleiten, süße Lady? Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?«
Sich tief verbeugend hielt er ihr seinen Ellenbogen hin, um sie wegzuführen. Als Antwort hierauf zerschlug sie ihren Sonnenschirm auf seinem Kopf. Verbiß er den Schmerz, so kreischte das Hottentottenkind um so lauter vor Angst und die anderen kreischten vor Lachen.
In Atem gehalten durch den dramatischen Vorgang – denn Schläge, ob Schicksalsschläge, ob Pritschenschläge Polichinells, sind immer dramatisch – brachte Moray nur ein flüchtiges »Wer? ...« hervor, das Overbury ebenso flüchtig beantwortete.
»Lord Harbert of Chirbury, Philosoph und Favorit und Mädchenjäger und Ehegatte einer Sechzigjährigen ...«
Der Sonnenschirm nahm monströse Formen an. Beide Hände hielt Lord Harbert an die Beulen seines Kopfes. Zum Schaden hatte er auch noch den Spott.
»Prügel von schöner Frauenhand sind immer Liebkosungen!« bemerkte des Königs Hofnarr Archie Armstrong, ein struppiger, bäurischer Geselle in schellenbedeckter rotgrauer Narrentracht, der bisher abseits gestanden hatte, jetzt aber näher kam.
Sogar Lady Suffolk konnte ein Lächeln nicht verbergen, des Mohrenknaben zinnoberrote Wulstlippen verbreiterte ein Grinsen, die Earls und Ladies wanden sich vor Lachen.
Nur Königin Anna lachte nicht. Ihr war, als sei sie geschlagen worden, als gelte ihr der Hohn. Es ächzte aus ihr hervor:
»Ist denn niemand hier, der mir beisteht?«
Da geschah das Unerhörte. Der Hofnarr, der sich hinter Lady Suffolk gestellt hatte, krallte plötzlich seine eisernen Finger in ihren Haarknoten und riß mit aller Gewalt. Und als er merkte, daß es nicht ein Chignon aus falschem Haar war – wie ihn damals die meisten Damen (und sogar Kinder) trugen –, sondern daß die ganze Haartracht der Lady aus einer Perücke bestand, zupfte er diese mitsamt dem großen Strohhut ihr vom Kopf herab. Blitzschnell war das geschehen. Ein erbarmungswürdiger Anblick bot sich den entsetzten Zuschauern dar. Beinah glatzköpfig bis auf ein jämmerlich schmächtiges, fingerlanges Zöpfchen glänzte der Schädel wie rötliches Elfenbein, das Sonnenlicht widerspiegelnd. Sofort packte der tolle Hofnarr dieses Zöpfchen und ließ es nicht los. Mochte die Lady (die hochmütigste des Inselreiches) in die Knie sinken, plebejisch mit den Armen fuchteln, ihm sein ernstes Bauerngesicht zerkratzen, mochte sie stöhnen, prusten und kreischen – er zog am Zöpfchen, als schöpfte er Wasser aus einem Ziehbrunnen.
Den Zeugen dieses Auftritts verging der Atem und der Humor. Das überstieg alle Grenzen. Die Gönner Shakespeare's, – Southampton, Pembroke, Montgomery, – ertrugen den widerwärtigen Anblick nicht. Sie wollten hinstürzen, der Dame beistehen. Die königliche Barbarin jedoch verwehrte es ihnen mit erhobenem Arm. Ihr tat die krasse Roheit Genüge. Archie war ihr Rächer und durfte am Zöpfchen Klimmzüge machen wie ein Schimpanse am Trapez.
Wer weiß, wie das geendet hätte, wäre nicht gerade in dem Augenblick ein sechzehnjähriger Knabe von auffallender Schönheit in Begleitung zweier Stallknechte auf dem Reitweg am andern Ende der Wiese aufgetaucht. Er hielt im Ritt inne, hieß die Grooms warten und galoppierte über den Rasenplatz.
Moray's Frage – ob dies Prinz Henry sei? – beantwortete Overbury ernster als die früheren Fragen:
»Ja, das ist unser Prinz Hal ... Er nennt sich auch ›Meliades, Herr der Inseln‹. – Sagt das nicht alles? ... In Whitehall ist er der einzige Mann, obgleich er noch kein Mann ist ... und dazu schön ist wie ein Mädchen ... Nicht einmal seine Mutter ist so sehr Mann wie dieser Knabe, den sie haßt wie die Sünde ...« Sich verbessernd fügte Overbury hinzu, gleichsam zu sich selbst: »Das heißt, wann haßte sie wohl die Sünde? ...«
Die Earls und Ladies gaben scheu auseinanderweichend einen Raum frei, so daß Prinz Hal sein schnaufendes Pferd dicht vor Archie parieren konnte. Er sprang aus dem Sattel und hob die Reitpeitsche. Der Hofnarr zuckte zusammen vor dem Zorn des schönen Knaben und ließ das Zöpfchen los. Hal schleuderte ihn zur Seite und bemühte sich, die noch immer knieende, nach Luft schnappende, heulende Lady Suffolk emporzurichten. Sie lallte nur und küßte seine Hände.
Könnten Blicke töten, so wäre Hal jetzt vom Glutblick seiner Mutter getötet worden. Auch Dolchworte hatte sie bereit für ihn, doch sie kam nicht dazu, sie auszusprechen. Denn – vom Schlosse her – nahte eben der König mit einigen älteren Lords, angelockt durch das viele langandauernde Gelächter und Geschrei. Auf den Arm des Duke of Lenox gestützt, watschelte er heran. Sein nicht unedles Gesicht überhuschte ein spöttischer Zug, hatte er doch seit einer Weile schon am Waldesrand lauschend gestanden.
Als er herantrat, wurde es totenstill.
Wenn James der Salomo Englands sein wollte, – hier hatte er Gelegenheit, ein salomonisches Urteil zu fällen. Er ließ sich die Beschwerden vortragen und stellte ein Verhör an wie ein Richter. Leicht war es für ihn nicht, die schwanke Schaluppe seines Rechtsspruches zwischen alle Klippen hindurchzusteuern: er wollte die Familie Howard nicht kränken, die Familie Essex auch nicht und seine Frau erst recht nicht. Die finstern Blicke der Königin flößten ihm mehr Sorge ein als das Gezeter der Lady Suffolk – welche die Verlobung ihrer Tochter zu lösen drohte. Solch eine Drohung war in den Wind geredet, das wußte James. Sein niemand befriedigendes Verdikt lautete schließlich: bis zum Hochzeitstage müsse Lady Penelope den Ring gefunden und abgeliefert haben.
Die volle Schale seines Zorns ergoß sich sodann über Archie.
»Was fiel dir ein, du verdammter Hund? Bist du besoffen?«
»I wo, Gevatter, ich habe mir keinen Zopf getrunken! Doch Nase und Zopf sind wie eine Wippschaukel oder wie die zwei Schalen der Wage: sinkt die eine, so steigt die andere. Was kann man also einer hochnäsigen Nase Lieberes antun, als daß man ihr einen Zopf dreht?«
James ließ ihn nicht weiterreden und verurteilte ihn zu zwei Tagen Hausarrest.
»O weh! Jetzt muß ich die Nase hängen lassen, denn ich habe eine Nase bekommen!« seufzte der Hofnarr.
Das Gelächter, das er erntete, stellte die heitere Stimmung wieder her. Moray und Overbury verließen ihr Versteck, stiegen zum Rasenplatz hinab. Von James der Königin vorgestellt, durfte Moray mit seinem Mund ihre gepolsterten Finger streifen, während Hymen bereits nach der Vernunft rief und die acht Leidenschaften sich malerisch lagerten – denn die Probe nahm ihren Fortgang.
Junos Augen aber wußten nichts mehr von Moray's Vater ...