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19

Sir Steffen Leyburne wurde, einige Jahre später, mit durchstochenem Herzen in einem auf der Themse treibenden, ruderlosen Boote aufgefunden. Das war das Ende eines wirrnisreichen Erlebnisses und auch der Anfang vieler neuer Wirrnisse.

Nach Elisabeths Tod hatten gleichzeitig König James und die Pest die Herrschaft angetreten. Bald entwand die Pest dem König Zepter und Krone, ließ sich auf seinem Thronsessel nieder und regierte – mehr als ein Jahr lang – unumschränkt. Ihre Staatskarosse war ein Leichenwägelchen, von einem müden Klepper gezogen, das nachts durch die Gassen rattelte, vor gezeichneten Häusern hielt, heimlich herausgereichte Linnenbündel aufnahm. Keiner wollte ja wahr haben, daß vor seiner Tür die Kutsche gehalten ... Mannesmut schmolz wie Eis vor dieser Despotin. Wurde ihr Name genannt, so schlotterten Bischöfe und Bettler, Schulkinder und Matronen, und nicht am wenigsten schlotterte König James.

Eine Art von Flagellantentum lebte wieder auf. Die Gesellschaft der Weißen Brüder, die auf dem Festlande den Fußstapfen des Schwarzen Todes gefolgt war, hatte katholische Riten gehabt. Im protestantischen England konnten solche Brüderschaften nur im Verborgenen sich fristen, wie die ersten Galiläer in den Katakomben Roms. Statt Geißelprozessionen zogen aber Totentänzer – Morris Dancers – überall umher durch Dörfer und Städte, mimten den Triumph des Todes, hüpften als weiße Gerippe bemalt, spielten Fangball mit lochäugigen Schädeln und sangen das schauerdüstere dies irae dies illa ... König James ließ sie gewähren; – waren sie doch die einzigen Kriegsknechte, die er der Pest entgegenschicken konnte. An ihre Spitze freilich stellte er sich nicht, brachte vielmehr sich und seine seidenen Kavaliere in einen sicheren Zufluchtsort.

Whitehall – ein kleiner Planet neben der Sonne London – lag damals noch ziemlich weit außerhalb der Stadttore; immerhin aber doch so nahe, daß der Gott der Ratten und Mäuse unschwer einen Ausflug dahin machen konnte. Darum siedelte James mit dem gesamten Hofstaat nach dem weiter südwestlich an der Themse gelegenen größten aller Königsschlösser, Hampton Court, über. Auch dort war der Schloßgarten ein von Laubwald umringtes Blumenmeer, wo im Schatten von Lorbeerhecken und Silberpappeln die Lords und Ladies – wie weiland Boccaccios Edelfräuleins im Frühlingsgarten bei Florenz – die Angst vor der Pest hinweglachen konnten.

Wegen der Hoftrauer um Elisabeth und aus Rücksicht auf das heimgesuchte Volk verboten sich alle lauten Festlichkeiten; um so heiterer waren die kleinen leisen Freudenfeste hinter der Gartenmauer. Allmählich verflüchtigte sich wie ein Dunst das Schreckgespenst, das zu erwähnen vermieden wurde. Sprach einer dennoch von der Seuche und ihren Beulen, – niemand außer dem ziegenbärtigen Sir Harbert of Chirbury brachte das fertig –, so wurde er unterbrochen wie ein Bänkelsänger, dessen Schauderballade beim Hörerkreis Mißfallen erregt. Zur Sage wurde die eigene, jüngst noch bleiche Angst, – sie wurde vergessen über Kinderspielen wie »Rise, pig and go« oder »one peny follow me« ...

So vergingen Sommer und Herbst. Um die Weihnachtszeit aber begann eine neue Angst die Bewohner von Hampton Court in Atem zu halten.

Ein Dieb hatte sich eingenistet in einem der neunhundertachtzig Gemächer des Schlosses. Wertsachen, Geld, Uhren, Spitzen und Juwelen kamen auf rätselhafte Weise abhanden. Der Earl of Arundel vermißte seinen mit Brillanten besetzten Hosenbandorden. Ein gewisser Sir Adolphus Cury fand eines Tages sein Zimmer und seine Truhe erbrochen, einige hundert Rosenobel waren ihm gestohlen. Sogar der arme Schlucker William Fowler, Schreiber der Königin Anna, wurde nicht verschont: seine unentbehrliche Taschenuhr – ein klobiges Stundenei – wanderte in die Tasche des unheimlichen Unbekannten. So galant aber war der Unbekannte, daß er der jungen Countess of Rutland, wenn auch sonst nichts anderes, so doch wenigstens das Nachthemd ließ, welches sie am Leibe trug, als sie frühmorgens ihr Zimmer ausgeraubt sah ...

Wer konnte der Dieb sein? Viele Anzeichen machten es zur Gewißheit, daß er unter der Dienerschaft nicht zu suchen sei. Wenn er aber einer der adligen Königsgäste war, – wie ihn entlarven? Zehnmal größer, als sonst die Schar der Höflinge Whitehall's (von denen ja die meisten in London wohnten), war die in den neunhundertachtzig Gemächern Hampton Court's beherbergte Menge der Flüchtlinge vor der Pest. Aussichtslos schien es, in solch einem Ameisenhaufen und solch einem Labyrinth eine Spur aufzudecken.

Und weil niemand verdächtigt wurde, fühlten sich alle verdächtigt. Weit geringer als die Angst, beraubt zu werden, war die Angst, es könnte einen ein Blick streifen, eines Freundes zaghafter, mißtrauischer, zweifelnder Blick ...


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