Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18

Oriana aber blieb wie durch ein Wunder am Leben. Gärtnerburschen und andere Personen, die vom Park her ihren Sturz aus dem Fenster gesehen hatten, berichteten später, der Körper der jungen Lady habe hoch in der Luft sich überschlagen. Damit erklärte es sich, daß man sie auf dem Rücken liegend fand. Auf ein Päonienbeet war sie gefallen. Die lockere Erde und die hohen, kräftigen Stauden mochten wohl die Wucht des Sturzes abgemildert haben. Äußerlich schien sie unversehrt; ohne Wunde, ohne Knochenbruch schlief sie auf den Blumen. Erst als sie ihr Bewußtsein wiedererlangt hatte, zeigte sich ihr grausames Geschick: sie konnte ihre Beine nicht mehr bewegen: ihre Wirbelsäule war verletzt.

Sie hatte bei Hofe einen älteren Bruder, Sir Steffen Leyburne; und große Innigkeit verband die beiden Geschwister. Denn nach dem frühen Tod ihrer Eltern war Oriana unter des Bruders Obhut, gewissermaßen als sein Mündel und seine Schülerin, aufgewachsen. Ihr freies Denken verdankte sie ihm. Über die Schranken aller Vorurteile setzte Leyburne sich hinweg; doch wie schrankenlos sein Junggesellenleben auch war, – Ehrloses gestattete er weder sich selbst noch andern. Und wenn auch sein Witz allem Heiligen die Gloriole nahm, – unantastbar und heilig blieb ihm die eigene Ehre und die Ehre seiner Schwester.

Noch bevor die Königin die Tür des Spiegelzimmers verriegelt hatte, war von ihrem auf dem Korridor harrenden Gefolge Overbury's und Oriana's Kuß gesehen worden. Nicht nur Overbury wußte, daß er an Oriana's unheilbarem Siechtum die Schuld trug, – alle wußten es. Leyburne schickte ihm eine Duellforderung. Er nahm sie an.

Sie trafen sich in einem Wäldchen unweit Greenwich. Als sie sich mit gekreuztem Florett gegenüberstanden, sagte Overbury: »Halt, Sir Steffen! Erst sagen Sie mir, wo Sie mich durchbohren wollen, – damit ich mich vorsehen kann!«

»Ihr Herz will ich durchbohren!«

»Dann geben Sie wohl acht, Sir Steffen, daß Sie nicht versehentlich Oriana's Herz durchbohren!«

»Das taten Sie bereits!«

»Nein! Vor einer Stunde ließ ich mich ihr antrauen!«

Da warf Leyburne die Waffe ins Gras und umarmte seinen Schwager.


 << zurück weiter >>