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Als Overbury den vorausgeeilten Crew eingeholt hatte, bemerkte dieser:
»Ich bin ein herzensguter Mensch. Nur eins kann ich nicht vertragen –: daß man mich für dumm hält!«
»Wer das täte, Sir, würde seine eigene Dummheit beweisen!«
»Das ist's ja, – mir ist die Dummheit anderer Leute unerträglich. Der Juwelier ist ein Dummkopf!«
»Er ist ein Vater, Sir, der um seine Tochter zittert. Kann man ihm es verdenken, wenn er den Kopf verlor?«
»Keinen schlimmeren Dienst konnte er seiner Tochter leisten!«
Innerlich mußte Overbury ihm recht geben. Vor einem Zeugen den Ring anzubieten, war eine Unvorsichtigkeit gewesen. Die überraschende Hemmungslosigkeit des Vaters hatte den Erpresser erschreckt und verstockt. Verzweifelt schlecht stand es um Janet Williams. Denn ungewiß war es, wann der König von der Schnepfenjagd zurückkehren werde; es konnte heute geschehen, ebensogut jedoch nach einer Woche erst. Auch der Oberrichter Englands, Sir Edward Coke, befand sich unter den Jagdgästen in Waltham Forest (– sonst hätte Crew, sein Untergebener, nicht freie Hand gehabt in Tyburn und nicht solche Eile! ...) Die Verantwortung für das Schicksal des Mädchens fühlte Overbury einzig auf den eigenen Schultern ruhn. Rettung schien nur möglich, wenn es ihm gelang, durch Überredung Crew umzustimmen.
Er wollte Auge in Auge mit ihm sprechen, – das ging auf der Straße nicht an. Um in Crew's Haus einzutreten, brachte er als Vorwand vor, daß er sich den im Boot gefundenen Frauenhut ansehen müsse.
Die Wohnräume im ersten Stock des adretten Häuschens bekam er nicht zu Gesicht. Durch einen kahlen, weiß getünchten Raum, wo an schlechtgezimmerten Tischen die beiden Büttel schrieben, führte ihn Serjeant Crew in seine ziemlich saubere Amtsstube und hieß ihn in einem Polstersessel Platz nehmen. Nicht gleich begann das Gespräch. Crew flüsterte erst mit den Constables nebenan. Einer der beiden entfernte sich. Dann kehrte Crew zurück, schloß die Tür und setzte sich Overbury gegenüber.
Auf dem Tisch zwischen ihnen lag das in Schweinsleder gebundene mächtige Totenbuch. Es war aufgeschlagen gewesen, und sofort, als sie eintraten, hatte Crew es geschlossen, damit kein profanes Auge die Eintragungen lese ... Nunmehr bewaffnete er sich mit einer Fliegenklappe und schlug zwei das Schweinsleder tätowierende Fliegen tot.
Fast eine Stunde lang quälte Overbury sich ab, zu beweisen, daß Janet Williams keine Hexe sein könne. Er hätte mit gleichem Geistesaufwand dem Fliegen haschenden Mann da vor ihm beweisen können, daß Kröten nicht giftig sind oder daß die Sonne sich nicht um die Erde dreht, und er hätte ebensoviel Verständnis bei ihm gefunden. Er rannte wie ein Sturmwidder gegen eine Wand von demantener Dummheit an. Je richtiger seine Argumente waren, um so wirkungsloser verpufften sie. Nicht nur, daß Geist verübelt wird. Das Groteske war tragisch und mußte, statt mit Gelächter abgetan, ernsthaft widerlegt werden. Und fatal war es, daß er – dank Oriana Freigeist und Heide – sich schlecht auskannte in der Theologie des Teufels. Christ mußte man sein, um an Höllenspuk zu glauben. Sein Widerpart – das ließ sich nicht leugnen – war im Pandämonium besser zu Haus.
Ermüdet und mutlos – vielleicht auch, um neue Kraft zu schöpfen – brach Overbury den Disput ab und bat Crew, ihm den Frauenhut zu zeigen. Nachdem er längere Zeit den Hut betrachtet hatte, wies er auf ein daumengroßes Zeichen hin, das mit einem Silberfaden ins Strohgeflecht (auf der unteren Seite des Randes) gestickt war: ein Arm, der ein blankes Schwert schwingt.
»Haben Sie dieses Zeichen gesehn?«
»Wie sollte ich nicht? Das und das Käuzchen haben mich ja erst auf die Fährte gebracht.«
»Auf die falsche, Sir! Die Besitzerin dieses Hutes gehört zu den Rosenkreuzern!«
Verdutzt blickte Crew drein. Wie peinlich, seine Unkenntnis eingestehn zu müssen! Nie hatte er von Rosenkreuzern gehört. Immerhin, der Name klang christlich ...
»Ist das eine Sekte, Sir?«
»Eine gnostische Sekte. Nachfolger des Templerordens ...«
Das Gesicht Crew's wurde noch blöder; – und Overbury sah ein, daß er, um verständlich zu sein, sich der Fassungskraft des Hörers anpassen mußte. Das wenige, was ihm bekannt war – und bloß von Hörensagen bekannt war –, teilte er mit schlichten Worten mit.
In London lebte damals eine ganze Anzahl Rosenkreuzer. Erst kürzlich hatte Ben Jonson in einem seiner Maskenspiele die Rhodostaurotische Brüderschaft erwähnt wie ebenfalls »das geschwungene Schwert« und die Burg Rosy Cross. Aus dem Orient stammte die Lehre, wo sie der Stifter der Brüderschaft, Christian Rosenkreuz, in den Städten Edessa, Damcar und Fez aufgezeichnet hatte. In Deutschland war neuerdings – infolge der mystischen Schriften Weigels – die fast schon erloschene Flamme der Gnosis wieder entfacht worden, die rosenkreuzerische Bewegung hatte im Jahr der Pest über den Kanal nach Schottland und nach England übergegriffen. Sogar die Hoffräuleins Whitehall's spöttelten bereits über die Devise der Fraternitas Rosae Crucis: »Viele treten ein, doch nur wenige erlangen den Hort.«
Den Bericht schließend sagte Overbury:
»Manche spotten auch über Elfen und haben Elfen nie gesehn. Noch viel schwerer ist es, Rosenkreuzer zu sehn.«
»Warum?«
»Nur, wer das Erkennungszeichen vorzeigt, wird zu den Zusammenkünften zugelassen.«
»Wo sind die?«
»In unterirdischen Räumen in London – niemand weiß, wo ... Doch da kommt mir ein Gedanke –: wenn die Unbekannte, die diesen Hut im Boot liegen ließ, unschuldig am Mord meines Schwagers war, so wird sie sich bestimmt zur nächsten Versammlung der Rosenkreuzer einfinden und wird sich vor dem Meisterbruder niederwerfen, damit er die Last von ihrer Seele nehme ... Man hat mir Wunderdinge erzählt von der Macht, die der Meisterbruder – ein Doctor Forman – über die Seelen hat.«
Crew zuckte zusammen und schlug eine Fliege tot, um seine Erregung zu verdecken.
»Ekelhaft das Fliegenpack! ... Wer hat Ihnen das erzählt?« »Ein Freund, der zur Brüderschaft gehört ... Durch ihn könnte ich vielleicht Zutritt erlangen und zu sehn bekommen, wer eigentlich die Unbekannte ist ... Oh! und die Ohren spitzen, wenn sie beichtet! ... Vielleicht auch erfahren, wo Helways steckt.«
»Hören Sie mich mal an, Sir Thomas. Diese Rosenkreuzer interessieren mich. Falls es Ihnen gelingen würde, mich zu solch einer Zusammenkunft hinzuführen, so verspreche ich Ihnen –«
»Was, Sir?«
»Den Namen Janet Williams aus dem Buche da auszuradieren!«
Schnell erhob sich Overbury.
»Ich gehe, meinen Freund fragen, ob es sich machen läßt ... Sie würden sich eidlich verpflichten, Sir, die Versammlung nicht zu stören – nicht wahr?«
»Selbstverständlich.«
»Ich gehe. Nach zwei Stunden bringe ich Ihnen Antwort.«