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13

Durch ihre Krankheit zur Hellseherin geworden, wußte Oriana ihren Tod auf Tag und Stunde voraus. Schon seit Wochen nahmen ihre Kräfte ständig ab. Vor ihrem Gatten verbarg sie es. Wozu ihm das Herz beschweren! Seine Verzweiflung hätte ihr die Tapferkeit erschüttert ... So wie sie immer lächelnd gelitten, so wünschte sie auch lächelnd zu sterben. Als er zur Falkenjagd nach Newmarket befohlen wurde, hielt sie ihn nicht zurück und nahm von ihm mit der barmherzigen Lüge Abschied: sie fühle sich ausgezeichnet, wie seit lange nicht ...

Vier Tage vergingen. Und schon brach Oriana's letzter Morgen an. Sie hatte die Dienstmagd Barbara, die bis nach Mitternacht an ihrem Bett gesessen, schlafen geschickt. Sie selbst fand keinen Schlaf, gequält von der Befürchtung, sie könnte sterben, bevor Thomas zurückkam. Durch seelische Fernahnung zu ergründen, was er trieb und wo er sich befand, gelang ihr heute nur unvollkommen. Sie sah ihn durch nachtschwarze Wälder reiten, sie glaubte ihn in einer kerzenhellen Kammer mit einem Weißbart reden zu sehn. Der Alte, dem Thomas einen Brief überbrachte, glich dem »Kleinen Spürhund«, dem allmächtigen Lord Cecil, Earl of Salisbury. Doch nebelhaft schwankend blieben die Gesichtszüge und Gebärden. Ohne daß es ihr geglückt war, Einzelheiten zu unterscheiden, schlummerte sie nach Sonnenaufgang ein.

Sie erwachte, als es sechs Uhr schlug. Ein fremdes junges Mädchen kam herein und setzte sich an ihr Bett.

Daß Mädchen und Jungverheiratete Frauen, in den Händen Blumen tragend, an ihr Krankenlager kamen, war Oriana stets gewohnt gewesen. Dennoch wunderte sie sich. Sonst pflegte die Dienstmagd die Besucherinnen anzumelden und hereinzuführen. Barbara schlief vielleicht noch, erschöpft durch die Nachtwachen ...

»Fragen Sie nicht, wer ich bin, Lady Oriana«, begann die Fremde. »Meinen Namen muß ich verschweigen. Nennen Sie mich ›Freundin‹«

Das Staunen Oriana's wuchs. Wunderbar schön und vornehm und stolz erschien ihr die Fremde. Grünlich war ihre Haut, grünlich ein Schimmer im strohfarbenen Haar, goldgelb blinkten die mandelförmigen Augen.

»Wie kann ich Sie ›Freundin‹ anreden, ohne Sie zu kennen, süße Lady? ...«

»Gemeinsame Sorge macht uns zu Freundinnen, Oriana. Wir beide sorgen uns um Sir Thomas. Träumend haben Sie geweint um ihn und seinen verhängnisvollen Ehrgeiz!«

Die Fremde anblickend, gewahrte jetzt erst Oriana, daß deren Mieder naß war, wie ebenfalls die Enden ihrer blonden, die Wangen schmal umrahmenden Locken. Hatte auch sie um Thomas geweint? ... Doch das zu fragen, wagte Oriana nicht. Sie murmelte:

»Gott gebe, daß er in dieser Stunde kommt – denn in dieser Stunde sterbe ich.«

»Er wird bald kommen, Oriana. Ich sah ihn vorhin.«

»Wo, Freundin?«

»In Baynard's Castle. Durch ein Fenster sah ich, wie er zwischen betrunkenen Earls saß und deiner nicht gedachte, Oriana. Ich wich nicht vom Fenster, bis er mich erblickte und erschrak, weil er am Gelage teilnahm. Er hat mich wiedererkannt.«

»Wiedererkannt?«

»Einst zeigte ich ihm Gottes Schreckenshand über Whitehall!«

»Du bist die Meermaid, Freundin!!«

»Ja, ich bin die Meermaid. Ich tanzte auf dem Rasen an der Themse, und er wollte den Fischschwanz, den ich abgelegt hatte, mir rauben. Da zeigte ich ihm das schwarze Gerüst ... Ach, ich weiß so viel, was ihr Lebenden nicht wißt ... Meine Augen durchdringen den wirren Knäuel des Schicksals, ich sehe alle Fäden und ihre Verkettungen und Verknotungen; – und ich darf es doch vor euch Menschen nicht entwirren, ich darf euch nicht warnen! ... Nur mit dir ist mir heute erlaubt, zu reden.«

»Noch bin ich eine Lebende, Freundin!«

»Getraust du dir, aus dem Bett zu steigen, unter die Bevölkerung Londons zu treten und mit feuriger Zunge die Menge aufzurütteln: besinnt euch, erhebt euch, rettet den Prinzen Hal und das schöne Altengland vor dem drohenden Untergang! ..?«

»Mir blieb keine Zeit mehr für fremdes Herzeleid, Freundin! Mir blieb nur noch Zeit für den Abschied ... Und nicht einmal für den Abschied! ...«

»Schluchze nicht, Oriana. Dein Wunsch ist erfüllt: ich höre Sir Thomas kommen.«

Sie ging auf den Flur hinaus und kehrte zurück mit sieben weißgekleideten, Rosen streuenden Mädchen. Es sind Oriana's tägliche Besucherinnen, doch festlicher als sonst leuchten ihre Kleider und erfüllen das Zimmer mit einem silbrigen Lichtschein. Auf Sessel, das Fensterbrett und das Bettende setzen sich die sieben Mädchen. Einen Stuhl aber lassen sie frei.

Auf diesem Stuhl nimmt Overbury Platz, der jetzt, eine Viola di gamba tragend, hereinkommt. Und er beginnt berückend schön zu spielen.

Das Zimmer ist durchflutet von Rosendüften, erhellt vom Gestrahl der Mädchenkleider, durchzittert von ergreifenden, jenseitigen Celloklängen. Mit weit aufgerissenen, großen feuchten Augen blickt Oriana ihren Gatten an. Es verwundert sie, daß er die Kniegeige so meisterlich spielen kann, denn nie hatte er früher den Bogen geführt. Doch sie sinnt nicht weiter darüber nach. Wohlig läßt sie die müden Lider sich über ihre Augen senken. Oh! er ist bei ihr in dieser Stunde! ... Die unirdischen Töne wogen und wiegen sie ein, und tragen ihre lächelnde Seele den seligen Inseln zu ...


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