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Auf Wunsch Oriana's suchte – noch in derselben Woche – Overbury den reichen Elfenbeinhändler auf, in der Absicht, Vater und Tochter auszusöhnen.
Außer dem Mitleid mit Alison trieb ihn auch Neugier an, in des Löwen Höhle zu gehn, es reizte ihn, einen Blick in eine ihm ganz fremde Welt zu tun. Wenn seine Standesgenossen das biblische Kauderwelsch der neuen Sekte verlachten, hatte er nie mitgelacht; er verabscheute die Puritaner, geringschätzte sie aber nicht. Seit lange schon sah er in ihnen die Maulwürfe, die das Grab für Shakespeare's England gruben. Doch eigentlich kannte er sie bisher nur vom Hörensagen. Daß sie nicht nur Wäscher und Wäscherinnen, Schmuckfederarbeiter, Putzmacher und Putzmacherinnen, Bewohner der Elendsquartiere bei der Blackfriarsbrücke waren – (wie die Ahnungslosen in Eton, Oxford und Whitehall versicherten!) – wußte er wohl. Die Schneckengewinde der puritanischen Seele an Waschfrauen zu studieren, hatte er freilich aufgegeben, weil er das Gehäuse zu simpel fand. Mit einem frommen Nabob aber war er bisher noch nie in Berührung gekommen.
Streng, nüchtern, kalt wirkte der große Saal, in den Overbury von zwei luxuriös gekleideten Negersklaven geführt wurde. Sklaven im Hause des Frömmlers? Warum auch nicht: wurde doch durch das Wort Gottes die Versklavung der Schwarzen gutgeheißen; und was die Kauffahrteischiffe der puritanischen Firma an Elfenbein und Menschenware aus Afrika brachten, drückte sich in der Bilanz deutlich genug als Gottes Segen aus ...
Aufgeplustert saß in einer Ecke des Sofas der Hausherr. Ohne sich zu erheben, erwiderte er des Besuchers Verbeugung mit einem kaum merklichen Nicken des Kopfes. Nicht einmal einen Stuhl bot er an. Er war klein und fett, sein aus winziger Halskrause hervorquellender kugelhafter, dunkelroter Kopf glich dem einer Eule. Die runden Eulenaugen schienen den Gast nicht zu sehn, obgleich sie auf ihn gerichtet waren. Seine schmucklose Sektiererkleidung bildete einen auffallenden Gegensatz zu den phantastischen Livreen seiner Neger.
Wie er jedermann duzte, so auch den adligen Gast, den Baalsdiener aus dem Sündenpfuhl Whitehall. In seinen Reden wirbelten Zion, die Jebusiter, Jakobs Samen, Moab, Rotte Korah, die Töchter Israels, Ascherabilder und Sonnensäulen wild, lapidar, heroisch durcheinander.
Die Neger hatten sich entfernt. Overbury brachte sein Anliegen vor. Je mehr er sich als geschickter und beredter Fürsprecher Alison's erwärmte, um so eisiger blickten die großen Eulenaugen. Alle die schön gesetzten Worte verhallten, umsonst verschwendet. Zwei verschiedene Idiome sprachen diese zwei Menschen, das Jesajas und das Platos; – kein Wunder, daß sie einander nicht verstanden. Des Puritaners verblüffende Entgegnung lautete: er habe keine Tochter! ... Nicht abschrecken ließ sich Overbury, mit jugendlicher Leidenschaftlichkeit mühte er sich ab, des andern Gemüt zu rühren. Vergebens. Joe Loring schüttelte den Kopf. Nein, er besänne sich nicht, jemals eine Tochter besessen zu haben; – doch falls die Hure Alison sein Haus betreten wolle, so möge sie es nur tun –: unverzüglich werde er sie in Bridewell, ins Korrektionshaus für gefallene Mädchen, Landstreicher und Arbeitsscheue, einsperren lassen! – Empört hielt ihm Overbury vor, daß er damit sein Kind völlig zugrunde richten würde. Sich selbst widersprechend, versetzte der Nabob: Und wenn auch, – ihre Seele würde dadurch Beelzebub entrissen werden. Als Vater sei er verpflichtet, seine liederliche Tochter mit Skorpionen zu züchtigen. So habe er es auch mit seinem einzigen Sohn Habakuk gemacht, der kaum siebzehn Jahre alt mit einer jungen Dienstmagd heimlich verlobt, gegen ihn, seinen leiblichen Vater, die Faust ballte; – und warum? Weil er, Joe Loring, seinen Negern die Bestrafung der Braut überließ ... Der Reformator Calvin habe Anno 1568 ein fünfjähriges Mädchen, weil es auf seine Eltern losschlug, enthaupten lassen; und jedermann in England wisse, daß Lydia Wardell, die sich in der Kirche von Newbury splitternackend der Gemeinde zeigte, zur Auspeitschung verurteilt wurde. Wieviel milder habe er – Joe Loring – seines väterlichen Richteramtes gewaltet! Er habe sich begnügt, seinen Sohn ins Arbeitshaus und die Dienstmagd ins Hurenhaus einzuliefern. Und als er nach einem Jahr seinen Sohn aus dem Arbeitshaus genommen, habe er mit Genugtuung feststellen können, daß Habakuk ein gebesserter und gottesfürchtiger Mensch geworden sei ...
Zum Beweise, wie gnadenreich seine Erziehungsmethode mit Jehovas Segen belohnt wurde, ließ Loring seinen Sohn rufen.
Habakuk trat in den Saal, einem schuldbewußten Hunde ähnlich, der Prügel erwartet. Er blieb an der Tür stehn, drückte sich an die Wand, blickte scheu zu Boden. Ein erschütterndes, unvergeßliches Erlebnis war für Overbury diese Begegnung mit der geknickten vergewaltigten Seele. Ausgerodet der Wille, eingepflanzt der fremde Wille des Tierbändigers, des Vaters. Und auch dessen judaisierende Sprechweise kam von den knabenhaften Lippen wie eingelerntes Papageiengeplapper. Aufgefordert vom Nabob, erging sich Habakuk in Danksagungen für das im Korrektionshaus verbrachte Jahr.
Die Litanei klang hündisch und blöde; dennoch schien es Overbury, als höre er einen Unterton von leisem Trotz. Und er fragte, nachdem Loring Habakuk hinausgeschickt hatte:
»Weiß er, daß seine Braut ins Bordell kam?«
»Ich verschwieg es ihm. Er glaubt, sie sei gestorben.«
»Dann rate ich Ihnen, Sir: hüten Sie das Geheimnis vor ihm – sonst geht er, soweit der Himmel blau ist, das Mädchen zu suchen ...«
Nichts hatte Overbury für Alison erreicht, nur seine Weltkenntnis hatte er bereichert, als er kummervoll des Nabobs Haus verließ. Noch nicht zerfressen von Rost waren die häßlich schmetternden Posaunen, die die Mauern Jerichos zu Fall gebracht hatten; verstummt durch Jahrtausende, waren sie zu neuem Dasein erwacht, wagten sich mit Donnerstimmen hervor, trompeteten mit alttestamentlichem Pathos und drohten die strahlenden Marmormauern des Olymps, die idealen Welten der Hellenen, durch die Wucht ihres Mißgetöns niederzureißen.