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Am Vorabend seiner Abreise hatte die Königin Lord Arundel zu sich befohlen. Als er ihr Boudoir betrat, fand er sie am Fenster sitzend mit einer Stickerei beschäftigt. Neben ihr stand Suffolk. Keine der Ehrendamen war zugegen.
Fiel der kahlköpfige, stahlbärtige Suffolk durch Kleiderpracht auf, so Arundel durch seine altmodische, gesucht schlichte Kavalierstracht. Und altfränkisch wie seine Kleidung war sein steif-würdevolles, eiskaltes Benehmen.
Nachdem er der Königin die Hand geküßt, reichte diese ihm zwei Briefe hin.
»Ich habe Sie herbitten lassen, lieber Arundel, weil ich höre, daß Sie nach Florenz reisen. In Florenz lebt Lord Seymour. Haben Sie die Güte, überbringen Sie ihm diese zwei Briefe.«
»Darf ich wissen, Madam, von wem die Briefe sind?«
»Den einen schrieb ich. Gern will ich Ihnen auch sagen, was ich schrieb. Es ist mein Wunsch, daß Lord Seymour so schnell wie irgend möglich nach England zurückkehrt, – damit wir aus der halben Trauung eine ganze machen.«
»Ermöglichen läßt sich nur das Mögliche, Madam. William Seymour ist verlobt.«
»Mit Lady Arbella, – und eben darum – –«
»Eine andere ist jetzt seine Braut, Madam.«
»Seine Braut?!! ... Was sagen Sie! ... Wer?«
»Lady Elinor. Erst vor wenigen Tagen erhielt ich die Nachricht aus Florenz.«
Verwirrt und wie hilfesuchend blickte die Königin Suffolk an. Von Suffolk's dicken Lippen ließ sich das joviale Lächeln nicht leicht verscheuchen; – wenn es aber geschah, wurde er brutal.
»Hat er sich einspinnen lassen, der Jammerlappen? Und wer ist die Buhle, die uns den Streich spielt? Elinor, die Schwester meines Schwiegersohns! ... Warum nicht gar! Da komme ich mir ja wie ein Gelegenheitsmacher vor! Doch der Lady werde ich es stecken! ... Verlobt sagst du? Hat sich was! Da werden wir einen Riegel vorschieben! Die Verlobung muß rückgängig gemacht werden! – unter allen Umständen! Sorge dafür, Tom! Und sage ihm, es sei der Wunsch und Wille Ihrer Majestät, daß er unverzüglich nach London kommt! Auch meiner! ... Drohe ihm, daß wir ihm sonst seine Güter konfiszieren, ihn zum Bettler machen – –«
»In Fiesole lebt sich's hübscher als im Tower, lieber Onkel.«
»Ich verstehe das nicht ...«
»Wie kann ich ihn überreden, zu kommen, solange die Möglichkeit besteht, daß die Sternkammer– –«
»Da unterschätzen Sie doch gar sehr meine Macht, Arundel! wie ebenfalls die Macht Ihres Oheims!«
»Verzeihung, Madam, – aber als neulich Lady Arbella sich Lady Seymour nannte, war Seine Majestät über alle Maßen aufgebracht.«
»Seine Majestät hat sich noch immer meinem Willen gefügt. Bis zu Seymour's Ankunft wird die Verbannung aufgehoben sein.«
»Verzeihung, Madam, – aber Lady Arbella, will mir scheinen, ist zu schade für Seymour, der eine andere liebt.«
»Sie sprechen kühn, Arundel! Meinen Sie, daß Arbella in Whitehall keine Freundinnen hat, die ihr Bestes wollen?«
»Verzeihung, Madam, – doch auch für Whitehall scheint mir Lady Arbella zu schade. Lady Arbella ist eine gefangene Antilope.«
»Oho! ... Sie werden ja ein Dichter, guter Arundel!«
»Auf der Insel Rhodos sah ich in einem türkischen Dorfe eine gezähmte Antilope. Die türkischen Mädchen behängten sie mit bunten Bändern und goldenen Glöckchen ... Nun war ich aber ein höchst vornehmer Gast, und am Abend setzte man mir Antilopenbraten vor.«
»Du denkst doch nicht etwa, Tom, daß wir die schöne Lady verspeisen wollen?«
»Nicht ihr ... Es brauchen ja nicht Menschen zu sein, die sie schlachten ... Zum Beispiel meine liebe Kusine Frances – sie ist zwar deine Tochter, Onkel, aber sie ist doch eine kleine Wölfin. Das weißt du so gut wie ich.«
Beängstigend blaurot wurde das Gesicht der Königin. Nach Luft schnappend wollte sie etwas entgegnen. Doch Suffolk hob beschwichtigend die Hand und sagte pathetisch:
»Wir Howards sind stark genug, die Wahrheit zu ertragen. Ertrage nun auch du die Wahrheit! Wer gab dir deinen Reichtum und deinen großen Namen zurück, Earl of Arundel?«
»Du, Onkel, das habe ich und werde ich nie vergessen!«
»Schöne Worte! ... Beweise, daß du es nicht vergessen hast! Noch nie bat ich dich um einen Dienst; – heute tu ich es. Es handelt sich nicht um das Gezänk junger Mädchen, es handelt sich nicht um den Teufel Frances oder den Engel Arbella. Nein, es geht um das Wohl und Wehe Englands. Ich leite die Politik, ich bin Cecil's Nachfolger. Die Fäden, die ich in der Hand halte, kann ich vor dir nicht aufdecken; – du mußt mir schon aufs Wort glauben: das Wohl unseres Landes verlangt die Entlobung Seymour's, das Wohl unseres Landes verlangt seine sofortige Rückkehr.«
»Das Wohl Englands, Onkel, verlangt also, daß ich mich selbst verachte! ...«
»Narretei! ...« brauste Suffolk auf. Die Königin schnitt ihm das Wort ab.
»Lassen Sie mich ihm den Kopf zurechtsetzen, Suffolk! ... Sie verachten sich, weil Sie den Befehl Ihrer Königin ausführen sollen? Hüten Sie Ihre Zunge, Arundel! Sie sprechen ja, als ob wir Sie zu einem Meuchelmord dingen wollten! ... Und überlegen Sie eins: würde denn Lady Arbella ihren Gatten zurückrufen, wenn sie nicht bestimmt wüßte, daß ihm keine Gefahr droht?«
»Lady Arbella ruft ihn zurück?«
»Dieser andere Brief ist von ihr. Auf meine Veranlassung schrieb sie heute früh an William Seymour.«
Verstummt war Arundel. Auf seiner Zunge schwebte die Frage: »Hat Liebe den Brief diktiert? oder Vernunft? oder Verzweiflung? oder wer? wer? ...« Doch er zuckte nur die Achsel. Einlenken mußte er, zu weit war er gegangen, hatte durch eisige Schroffheit sich ins Unrecht gesetzt ... Die Mittäterschaft Arbella's entlastete ihn und erleichterte seinem Starrsinn den Rückzug: ohne vor sich selbst erröten zu müssen, konnte er die Politik der Howards unterstützen, das Wohl seines Landes fördern ...
Er verbeugte sich tief und nahm die zwei Briefe an sich.
»Ihren Wunsch werde ich erfüllen, Madam. Ich verspreche Ihnen, durch Frankreich, Savoyen und die Lombardei wie der Wind Stafette zu reiten. Und sollte ich auch zwanzig Postpferde zu Tode reiten – in acht Tagen bin ich in Florenz!«