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51

Im St. James Palast saß Hal am offnen Fenster seines Schlafgemaches. Ein Band Tacitus, darin er gelesen, war ihm auf die Knie gesunken. Sinnend blickte er hinaus in den abendschummerigen, schon herbstelnden, sich vergoldenden Garten.

Mehr als die Hälfte der Strafe hatte er bereits abgebüßt; nur noch in der kommenden Nacht sollte sein Palast sein Kerker sein.

Milde war die Haft, und bloß als lästig empfand er es, daß im Korridor vor seinen Wohnräumen eine Wache postiert war. Sonst hatte er tagsüber nicht zu klagen gehabt: seinen Freunden hatte man den Zutritt zu ihm nicht versperrt. In den Morgenstunden war er von seiner Schwester und dem Pfalzgrafen, nachmittags von Pembroke, Montgomery und Southampton besucht worden. Lord Moray und Overbury hatten den ganzen Tag bei ihm geweilt und waren erst vor einer Viertelstunde von ihm gegangen.

Er wollte sich früh zu Bett legen. Ein Page brachte Licht und fragte, ob er ihm beim Ausziehen behilflich sein dürfe. Hal verneinte. Er löschte das Licht aus, da vom Fenster her der schummerige Abendschein das Zimmer genügend erhellte. Dann hieß er den Pagen gehn.

Doch zu seinem Erstaunen blieb der Page.

»Was willst du noch?« fragte Hal etwas ungeduldig.

»Ich will diese Nacht bei Ihnen bleiben, mein Lord.«

Er erbebte. Er hatte Arbella's Stimme erkannt. Doch er machte keinen Schritt zu ihr hin. Er rührte sich nicht, als fürchte er, den Traum in Nichts zerfließen zu sehn.

»Du?! ... Du?! ... Du kommst zu mir?!!«

»Jage mich nicht fort, Hal! ...«

»Bist du nicht Lady Seymour? ... Nahmen wir nicht Abschied beim alten Brunnen, beim Goldfisch – weißt du noch? ... Und du kommst zu mir?! ... Du, du, Harpy?! ...«

»Jage mich nicht fort, Hal! ... Endlich bin ich frei ... frei von allen Ketten und Diebesbanden ... Heute will ich deine Valentine sein, Hal!«

»Du bist wahnsinnig, Harpy! ... Der St. Valentinstag ist im Februar ... Geh, geh ... Verlaß mich! ... Es ist vielleicht doch besser, wenn du gehst ...«

»Schickst du mich fort, Hal, weil kein Schnee draußen liegt? ... Wen Liebe mit Füßen tritt, was fragt der nach Kalenderheiligen! ... Auch im Sommer küssen sich die Nachtigallen!«

»Du bist zu schade dafür, Harpy! ... Ich bin zu schlecht für dich!«

»Da schau, wie verschneit dein Herz ist, armer Hal! ... Auch mein Herz war erfroren; – doch jetzt ist es aufgetaut, weil mein Freund meinethalb leidet ... Ich liebe dich, Hal!«

Da stürzte er in ihre ausgebreiteten Arme wie in einen lodernden Krater.

Bis zum Morgen blieb sie bei ihm, seine Valentine.


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