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Endlich kam der Knecht zurück und führte Seymour durch einen stockdunklen Schloßhof und durch einen kurzen gewölbten Gang in die Halle. Dort begrüßte der Schloßvogt den Ankömmling mit finsterer Höflichkeit. Nachdem er ihn willkommen geheißen, sagte er, auf den Brief zeigend, den er in der Hand hielt:
»Dies ist ein Schlüssel, der alle Türen öffnet – selbst Türen, die sonst keinen Fremden über die Schwelle lassen ... Sie wollen also ein Verzeichnis unserer Bücher machen? Wozu das?«
»In alten Schloßbibliotheken, Sir, finden sich zuweilen seltene Werke. Darum hat Lord Francis Bacon bei Seiner Majestät angeregt, einzelne wertvolle Bücher für die Bodleianische Bibliothek auszuwählen.«
»Mir kann's recht sein. Wären Sie gekommen, mir meine Blumen zu nehmen, so würde ich mich zur Wehr setzen. Jeden Topf würde ich Ihnen streitig machen. Um die verstaubten Bücher aber wird höchstens meine Tochter flennen. Zum Glück ist sie krank und hütet das Zimmer, – zum Glück für Sie, Sir! Von ihr brauchen Sie also keinen Einspruch zu befürchten, wenn Sie unsere Bibliothek ausrauben.«
»Vor der Hand soll ich ja nur ein Verzeichnis machen ...«
»Auch dabei wird meine Tochter Sie nicht stören; mondsüchtig ist sie zwar, – doch durch verriegelte Türen kann auch eine Schlafwandlerin nicht gehn.«
Obgleich Murdac totfinster sprach, schimmerte unter dem grauen Tonfall seiner Worte ein Hohn hervor, als wollte er sagen: »Bilde dir nicht ein, daß du meine Tochter zu sehn bekommst.« Wie ganz anders hatte Seymour sich diesen Menschen vorgestellt. Äußerlich war Murdac kein Scheusal, seine Erscheinung hatte sogar eine gewisse chevaleresk-satanische Grazie. Wenn er wahnsinnig war (wie Moll gemeint hatte) –, so verstand er es, seinen Wahnsinn zu verbergen; auf jeden Fall hatte er bislang nichts vorgebracht, das darauf hätte schließen lassen ...
Aus der Halle wurde Seymour in ein angrenzendes, gleichfalls zu ebener Erde gelegenes Gastzimmer geführt. Frische Laken, Bettbezüge, Kissen und heißes Waschwasser brachte ein Diener und meldete: nach einer halben Stunde erwarte der Hausherr den Gast zum Abendessen.