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Althea, die Witwe des alten Earl of Rutland, schrieb ihrer Freundin Elinor nach Florenz.

»Mein Herzchen!

Ein Trauerbote müßte dieser Brief sein, wäre ihm nicht Lord Arundel als lebender Trauerbote vorausgeeilt: als er sich vor drei Wochen von mir verabschiedete, nannte er als sein Reiseziel Rom, wo er einen kürzlich ausgegrabenen kopflosen Faun (welch ein Symbol, Elinor!) für seine Sammlung erwerben will; und unaufgefordert erbot er sich, einen Abstecher nach Fiesole zu machen, eigens, um Dir meine seufzervollen Grüße zu überbringen. War er bei Dir? Ich male mir aus, wie steifleinen er sich des Auftrags entledigt hat, wie todernst er die zweihundert Fackelträger und die nächtliche Leichenfeier in Westminster Chapel beschrieben hat – nicht zu vergessen jede Falte meines Trauerkleides, das mir so reizend zu Gesichte stehn soll. Auf Falten versteht er sich, wenn auch mehr auf weiße, steinerne. Als gotischer Mensch, der er ist, wird er sich auch gotisch über den Tod ausgelassen haben; und ich wette, er stellt ihn sich scheußlich mit Sense und Sanduhr vor – wie könnte Maltravers anders! Ich aber, Elinor, ich hasse alles Gotische; – wie die Griechen denke ich mir den Tod als wunderschönen Knaben – so einen, wie Deinen Bruder Robert –: eine lodernde Fackel senkt er, und sie erlischt.

Erloschen ist meines guten Richard Leben – (was Wunder bei seinem Alter!) –; von einer Sense war nichts zu sehn.

Und nun trägt Deine kleine Althea Trauerkleider, – eine zwanzigjährige Witwe! Alle Welt bemitleidet sie und sucht, sie zu trösten; leider mit untauglichem Trost. Du, Freundin, wirst es nicht tun, Du bist nicht alle Welt und begreifst, daß der Tod des alten Earls keine Erlösung war. Wenigstens nicht für mich. Niemand außer Dir ist fähig, das zu begreifen. Als Du mit dem scheidenden Winter Lord St. John of Blatsho bestattetest, hast Du selbst es mir geschrieben, um wen Alkyone, der blaue Eisvogel, trauert: um einen Lebenden – nicht um einen Toten. Vom Ja, das Dich zur Verlobten des Toten gemacht hatte, befreite Dich sein Hinscheiden; – doch nicht vom Nein des grausamen Geschickes ... So unumwunden, wie Du Dein Herz mir geöffnet hast, so rückhaltlos erlaubte auch ich Dir, in mein Herz zu blicken. Meinen Enkel, Lord Roos, fandest Du nicht darin – (unsinnig die Gerüchte!) –; nein, eines anderen kindliches Adonisantlitz. Dir der Nächste, ist er mir der Fernste, stets unerreichbar fern seit – Hymen's Maskenspiel! ... Du siehst, Liebste, daß ich Ursache habe, mich in Trauerflor zu kleiden und ein entzückendes schwarzes Narrengewand zu tragen. Mit maßloser Heiterkeit betäube ich meinen geheimen Kummer. In meinem ganzen Leben habe ich nicht so herzhaft gelacht, wie jetzt als rosenjunge Witwe. Die Ahnungslosigkeit Ihrer Majestät ist schuld daran: aus Mitleid hat sie mich unter ihre Hofdamen eingereiht, und sie verlangt von mir, daß ich den tollsten Ladies an Übermut nicht nachstehe.

Sage doch, Elinor, wie wird der Gott des Lachens genannt? Oder gibt es keinen? Wenn es einen gibt, so ist er aus dem Olymp mit Sack und Pack ausgewandert und hat sich in Whitehall niedergelassen, ich versichere Dich!

Ein furchtbarer Gott ist der Gott des Lachens –: er macht uns alle krank!

Denke Dir – doch nein, es ist undenkbar! Stell Dir vor – doch nein, es ist unvorstellbar!

Seine Majestät hat eine Geliebte! Eine richtige, feminini generis!

Das heißt, er hat sie nicht, – er wollte sie haben.

Und das kam so ans Tageslicht:

Wir saßen – lauter Weibsvolk – nach dem Abendessen im Zimmer der Königin. Wir saßen um sie herum auf Taburetten wie Küken um die Gluckhenne ... (Wem schreibe ich das! – Du kennst die Puffspiel-Abende!) Und wir kicherten so, daß es sogar Ihrer Majestät zu viel wurde. Lady Mordant, die vertrocknete Jungfer, fuhr wie ein Flederwisch dazwischen (Hu! hu! hu!, sie war nie jung!) Aber Lady Wotton und Lady Lumley waren Advokaten der Lustigkeit und wiesen nach, Ihre Majestät selbst habe die Lustigkeit als Medizin für die arme Althea verschrieben. Ein königliches Schmunzeln setzte den Flederwisch ins Unrecht und verdoppelte unsere Albernheiten. Um noch herzhafter lachen zu können, fragten wir Ihre Majestät, was sie von dem deutschen Pfalzgrafen denke, den Lord Robert Cecil mit unserer Prinzessin Lady Elisabeth verheiraten möchte. (Du mußt wissen, Elinor, daß Lady Elisabeth noch immer bei ihrer Erzieherin Lady Harington in Kelston lebt – der König hat eine Abneigung gegen das arme Kind, kein Mensch weiß warum ...)

Wir prusteten vor Lachen, als sofort Ihre Majestät wie ein Truthahn zu kollern begann: Bettelvolk und Lumpenpack seien alle Deutschen; und der Pfalzgraf sei wie alle seine Landsleute ein Saufkumpan, ein Wegelagerer, ein Vagabund; – ihre Tochter sei viel zu gut dazu, im verkommenen Bettlernest Heidelberg zu wohnen.

Da plötzlich kam Lady Bedford hereingefegt. Ganz bestürzt und geheimnisvoll tat sie und flüsterte Ihrer Majestät etwas ins Ohr. Ihre Majestät stieß einen pfeifenden Fistelton aus und schlug sich auf die fetten Knie, daß es klatschte.

›Von wem haben Sie das?‹ fragte Ihre Majestät.

›Von einer Gärtnerstochter, die früher bei mir in Moor Park angestellt war.‹

Die Königin und Lady Bedford blickten sich vergnügt an und kreischten los. ›Wie viele sind wir hier?‹ fragte Ihre Majestät. – ›Zwanzig‹, wurde ihr geantwortet, – ›Hört, liebe Kinder, ich lade Euch zu einer nächtlichen Kavalkade ein!‹

Du kannst Dir denken, Elinor, daß wir wie die Flöhe hüpften und bis zu den vergoldeten Kassetten der Decke sprangen. Lady Wotton wurde geschickt, zwanzig Pferde satteln zu lassen; in aller Heimlichkeit sollte es geschehn, damit die Lords es nicht erführen.

Diebisch-leise eilten wir in unsere Kammern, Reitkleider anzuziehen. Und dann schlichen wir in die Ställe.

In einem Hundezwinger neben den Stallungen hat neuerdings Lord Compton, unser Nebukadnezar, seine schwarze Meute. Noch immer kauft er alle schwarzen Bologneserhündchen in den drei Königreichen auf. Bis vor kurzem hatte er sie bei sich zu Hause, – bis ihm nämlich Lady Compton einen argen Streich spielte. Lady Compton's briefliche Bitte – (sie verkehrt nur schriftlich mit ihrem Gatten) – die Bitte, ihr sieben oder acht Gentlemen zur persönlichen Bedienung anzustellen, hatte er extravagant genannt, worauf sie ihre Galle an seinen armen Tierchen ausließ: Tag für Tag holte sie sich eins der Schoßhündchen, streichelte es auf einem Ruhebett, liebkoste und erstickte es unter den Kissen. Die Meute schmolz zusammen, Nebukadnezar zerschmolz vor Tränen und Kummer. Aus Mitgefühl erlaubte ihm der König, seine Lieblinge in Whitehall neben den Ställen unterzubringen. Doch selbst dort glaubte Nebukadnezar sie nicht sicher vor den Liebkosungen seiner Frau und darum verschrieb er sich aus Holland einen Hundedresseur. Diesem gelang es, die Hündchen zu Weiberhassern zu erziehen: sobald sie einen Weiberrock erblicken, tun sie, als wäre es eine Wand; sie beschnuppern den Rock und suchen, ihn zu zerfetzen ...

Wir wollten eben zu Pferde steigen, da ordnete Lady Bedford an, die Stallknechte sollten leere Hafersäcke holen und immer zwei der Hündchen in einen Sack tun. Als wir dann im Sattel saßen, bekam jede von uns Hofdamen einen knurrenden, quabbelnden Hafersack in den Arm. Von Finsternis umgeben sahn die Hündchen unsere Reitröcke nicht und benahmen sich daher anständig ...

Eine nächtliche Damen-Kavalkade! Doch wozu das beschreiben; – denke an Queen Guenever und ihre trabende Mädchenschar ...

Wir erreichten schließlich das Ziel: ein verträumtes Dorf zwischen London und Uxbridge, in Schlaf gelullt von mitternächtlichen, krächzenden Schleiereulen. Bloß aus den Fenstern der kleinen efeubewachsenen Dorfkirche schimmerte Licht. Eine zweispännige Kalesche wartete vor der Kirche, der Groom auf dem Kutschbock schlummerte wie alle Dorfbewohner.

Ganz sachte glitten wir von den Pferden und vollführten den Befehl Ihrer Majestät: an der offenen Kirchentür holten wir sämtliche vierzig Hunde aus den Säcken und ließen sie in das Kirchlein hineinlaufen. Dann stürmten wir wie tolle Mänaden hinter ihnen drein.

Ach, sei froh, daß Du es nicht miterlebt hast, Elinor! Das Herz wäre Dir zerbrochen! Der Bräutigam, dessen Eheschließung die misogynen Hündchen im letzten Augenblick verhinderten, war der Jüngling, den die Maske an der Fontäne geküßt hatte, – er, um den Alkyone, der blaue Eisvogel, trauert! Jawohl – er war es, Dein William Seymour! (Doch erschrick nicht zu sehr, Freundin, – der Schluß meines Briefes wird Balsam in Deine Wunden träufeln ...)

Unbeschreiblich das Tohuwabohu: das Gekläff der Hunde; die Schreckensschreie der jungen Braut; das donnernde Anathema des Priesters (– mit der Hure Babylon verglich er uns!); das Gegröl des aufwachenden Kutschers draußen; und als Begleitmusik zum vielstimmigen Höllenspektakel unser schrilles Glockenlachen. Wir selbst nämlich fielen in die Grube, die wir für andere gegraben hatten: statt den Talar und das Brautkleid griffen die Hündchen unsere Reitkleider an – so daß wir kreischend aus der Kirche fliehen mußten, verfolgt von der schwarzen Meute. Auf der finsteren Dorfstraße gab es dann eine regelrechte Schlacht, wir mußten uns unserer Haut erwehren, wurden übel zugerichtet; und inzwischen entging uns der große Akt des Dramas, dessen erste Szene wir erblickt hatten.

Ihre Majestät war in der Kirche geblieben. Was dort gesprochen worden ist, wissen nur die Beteiligten. Als eine der ersten kehrte ich mit Lady Penelope und Susan Walsingham in die Kirche zurück, und wir hörten den Schluß eines gar nicht lustigen Gesprächs. Mit einem Spitzentuch sich fächelnd saß Ihre Majestät auf einer Betbank, man hätte glauben können, sie wäre die Angeklagte und ihre Richter wären die vier Ertappten, welche stolz und mit Recht gekränkt, durchaus nicht wie arme Sünder vor ihr standen: der greise Pastor, Lady Anne Moray, Sir William Seymour und dessen Braut, – Du wirst staunen, wenn ich ihren Namen nenne – Arbella Stuart!

Die berühmte Arbella ... Die arme Arbella ... Ich möchte sie hassen können, Elinor, weil sie Deine Rivalin ist – doch es ist mir unmöglich: wo das Schicksal so grausam haßt, vermag ich nicht mitzuhassen. Glaube mir: weh tut einem der Blick und der Anblick des armen Geschöpfes. Und so schön ist dieses königliche Mädchen, daß es beklemmend ist, es anzusehn.

Ich weiß nicht, ob Ihre Majestät, als wir hinzukamen, sich schämte – (Ursache dazu hatte sie wahrlich und wir mit ihr) – oder Gottes Strafe fürchtete, vielleicht auch sich ärgerte, vielleicht auch sich freute, daß die Trauung vereitelt war. Was in ihr vorging, verriet ihr verdutztes Gesicht nicht. Falls Sie sich schämte, so bewirkten das die großen grauen Augen Arbella's und nicht die Worte Lady Moray's, die unschöner noch als sonst, durch Schwangerschaft entstellt, die Wangen hektisch gerötet, alle Schuld auf sich nahm: denn wie zur Schlachtbank habe sie die widerstrebende Arbella in die Kirche geschleppt ...

Plötzlich lachte Ihre Majestät hell auf und sagte:

›Nach allem, was Sie mir erzählt haben, Lady Anne, bietet Ambergate Park nicht genügend Schutz für meine Nichte. Doch der allmächtige Verführer ist gar nicht so allmächtig wie Sie denken; und ob er überhaupt ein Verführer ist, scheint mir zweifelhaft. Seine Strafe wird sein, daß er fortan täglich Lady Arbella, – die ich unter meinen Schutz stelle, – zu sehn bekommen wird; – und auch meinen Neffen, Lord Seymour: auf dem Rost der Eifersucht möchte ich den allmögenden Lockvogel schmoren – nur fürchte ich, daß er wie ein Salamander unverbrennlich ist ... Besteigen Sie alle drei die Kalesche – wir eskortieren Sie, ein Weiberheer, nach Whitehall!‹

Aber tags darauf stellte sich's heraus, daß Junos schützende Hand doch nicht so mächtig war wie die Faust Jupiters. Sir William mußte durch das Verrätertor in den Tower einziehn, und Lady Arbella wurde in Lambeth im Haus des Sir Thomas Parry eingesperrt. Um es gleich vorwegzunehmen: – (ich sehe Deine bleichen Lippen, Elinor!) – bloß zwei Tage saß Sir William im Tower gefangen.

Als Hochverräter und Hochverräterin angeklagt, mußten sie sich in der Sternkammer verantworten. Daß eine Ehe, und noch dazu eine mißlungene, Hochverrat sein könne, ist schwer zu fassen – nicht wahr. Juristen haben andere Windungen in der Hirnrinde als unsereins. Über der armen Arbella, mußt Du wissen, schwebt ein Fluch, vernichtungdrohend wie ein Damoklesschwert: sie ist zur Ehelosigkeit verdammt. Klingt das nicht wie ein Märchen? Ist es nicht, als hätte eine böse Fee ihr das in die Wiege gelegt: ›Sei so berauschend schön, daß jeder Mann sein Herz an Dich verliert; – allen darfst Du angehören, nur einem einzigen nicht! ...‹ Doch keine Fee hat das über sie verhängt, sondern ein eifersüchtiger König. Er zittert auf seinem Thron, daß sie eheliche Kinder haben könnte. Uneheliche würde er ihr gönnen ...

Obgleich der alte Feuerkopf Lord Chief Justice Coke, – der Todfeind Sir Walter Raleigh's und aller einstigen Anhänger des Kindes Arbella, – die Anklage vertrat und Seine Majestät eine Verurteilung wünschte, kamen die jungen Hochverräter mit einem bloßen Verweis und dem strengen Verbot davon, je wieder an eine Heirat zu denken. Lady Moray beschwor, Arbella habe das Verlöbnis lösen wollen und habe sich im letzten Augenblick geweigert, zum Altar zu treten ... Lord Seymour aber – ach, Elinor, es fällt mir schwer, Dir das zu schreiben –: er hat mehr klug als ritterlich gehandelt, hat allerdings durch sein Eingeständnis sich sowohl wie Arbella vor ewigem Kerker bewahrt ... Denke Dir, er war es, der die Gärtnerstochter zu Lady Bedford geschickt und darum gebeten hatte, um Mitternacht des Pastors Traurede zu unterbrechen! Ihm waren nämlich Bedenken gekommen, sein Vater der Earl of Hertford, Seiner Majestät Gesandter in Brüssel, könnte der heimlichen Ehe wegen in Ungnade fallen.

Da die Gärtnerstochter und Lady Bedford seine Aussagen bestätigten, mußte Freisprechung erfolgen. Und recht hatte Lady Moray, als sie zum Schluß zornig ausrief: verurteilt sei niemand außer der Sternkammer, die durch die aufsehenerregende Inquisition und Keuschheitsprüfung den Ruf der jungen Lady zerstöre, sie vor ganz Europa an den Schandpfahl stelle und zugleich sie der Möglichkeit beraube, ihren Ruf je wiederherzustellen. Und es werde nicht zu verwundern sein, wenn im kindlichen Gemüt, dem Leidenschaft bis dahin fremd gewesen, nun erst, ja nun erst recht, Leidenschaft entbrennte. Sollte das geschehn, so sei die Sternkammer die Kupplerin!

Kaum war Lord Seymour freigesprochen, erhielt er des Königs Befehl, unverzüglich England zu verlassen. Er reist über Köln und dann am Rhein entlang nach Italien. Die nächsten Jahre will er in Florenz verbringen. Nimmer würde er sich in die Gefahr begeben, wüßte er, wer mit ihm den Fisch auf dem Grund der Fontäne sah.

Ach ja, Freundin, wir Menschen sind wie die Fische auf dem Meeresgrunde. Durch trübes Salzwasser können unsere Augen einige Klafter weit sehn – weiter aber nicht. Was wissen wir voneinander! Weiß Dein Bruder, was seine kindliche Frau Schlimmes und Schlimmstes in Whitehall Palace treibt? Wohl ihm, daß er es nicht weiß! und daß er nicht weiß, wie segenbeladen, gemeinsam mit den heißen Küssen und Grüßen, die ich Dir, mein süßes Herz, schicke, auch meine bitter lachende Trauer und meine schluchzende Sehnsucht, zwei schüchternen Tauben ähnlich, zu Euch nach Fiesole fliegen.

Behalte lieb
Deine Althea.«


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