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14

Vom Turm der St. Paul's Kathedrale waren vor kaum einer Viertelstunde sechs dumpfe Glockenschläge erklungen. Ein Schlüssel knarrt im Haustor. Männerschritte hallen auf dem Estrich des Vorflurs. Sir Thomas kehrt eben von Pembroke's Gastmahl heim. Den Arm hat er auf die Schulter seines Dieners Jasper gelegt, denn ein wenig unsicher fühlt er sich auf seinen bleischweren Beinen.

Die Hausmagd Barbara ist noch nicht auf. Und Overbury, der von ihr erfragen will, wie Oriana's Befinden sei, schickt Jasper, die Langschläferin zu wecken. Aber es dauert ihm zu lange, auf sie zu warten, und polternd klimmt er die Stiege empor, die zu Oriana's Krankenzimmer führt.

Als er eingetreten ist, wagt er nicht gleich, sie zu küssen. Nicht einmal wie sonst an ihrem Bett zu sitzen, wagt er. Sie hat ihn nie angeheitert gesehn und würde, befürchtet er, Abscheu vor seinem erhitzten Antlitz, vor seinem schwankenden Gang, empfinden. Sie würde ihn verachten und schelten. Darum stellt er sich ans Fenster, weitab von ihr, so daß er nicht im Sehfeld ihrer Augen ist ... Und um seine Scham und Angst zu verbergen, spricht er übermütig, mit erzwungener Leichtfertigkeit.

»Da bin ich, Oriana ... Einen Vogel habe ich nicht geschossen – und doch habe ich den Vogel abgeschossen! ... Du hast dich wohl geängstigt um mich? ... Ahnungsvolles Herz du! –: den roten Henker von Tyburn habe ich mir zum Todfeind gemacht! Wenn ich nicht wäre, hätte er jetzt siebzig Peers und eine Peereß zu köpfen. Ich bin es, der ihn um sein Verdienst gebracht hat, den roten Henker! Oh! und überhaupt, Oriana, mein Stern ist im Steigen! Weißt du, wer bald der mächtigste Mann bei Hofe sein wird? ... Hier steht er! ... Lache nicht! Frage Lord Cecil – er hat mich beglückwünscht. Und werde nicht eifersüchtig, weil die Metze Fortuna sich in mich verliebt hat ... Mich wundert's ja selbst. Was war ich bisher? Ein guter Lateiner, ein kleiner Höfling ohne Einfluß, Freund eines einflußlosen milchjungen Prinzen. Wenn Orest nicht viel gilt, was gilt dann sein Pylades? ... Ha! Das wird sich jetzt ändern – paß auf! Man wird uns hofieren, Oriana! ... Du sagst nichts? Nun ja, du tust recht daran, liebes Herz, daß du dich zur Wand kehrst und mich nicht anblickst. Was ich eben sagte, war eine Gemeinheit gegen Hal. Pfui, daß meine Zunge mir so durchgeht! ... Du mußt nämlich wissen, Lord Southampton nannte mich den Retter des Adels, alle Peers tranken mir zu und allen mußte ich Bescheid tun ... Ich bin es nicht gewohnt, Oriana. Der Wein und der Stolz sind mir zu Kopf gestiegen ... Denke dir, auf meine Veranlassung wurden die alten Beschlüsse umgestoßen, – wir suchen jetzt ein neues Idol für Seine Majestät! ... Nenne das nicht Sodom und Gomorrha; – du kannst die Welt nicht ändern, Oriana ... Übrigens ist das neue Idol schon gefunden. Stelle dir vor, es ist mein einstiger Mitschüler in Eton, der wunderschöne Robert Car, – du weißt doch, der beim schottischen Earl Page wurde und aus Dunbar Castle verjagt wurde, weil er zehn Jungfrauen schwängerte. Bei Gott, ein tolles Bürschchen. Später sah ich ihn in einem Zug von Totentänzern ... Ich erzählte es dir doch, – entsinnst du dich?«

Noch immer gibt ihm Oriana keine Antwort. Und plötzlich wird ihm ganz unheimlich zumute. Auf den Zehenspitzen, wenn auch ein wenig schwankend, nähert er sich ihrem Bett.

»Schläfst du, Oriana? ...«

Mehrere Fliegen sitzen auf ihrem Gesicht. Wie unheimlich das an den Zigeuner erinnert! ... Er verscheucht die Fliegen. Er faßt die wachsgelbe Hand. Eisigkalt durchschauert es ihn.

Im ersten Augenblick ist die Scham über seine Trunkenheit mächtiger als sein Schmerz. Er wankt zurück, will sich wegschleichen. Die Heiligkeit des Todes hat er geschändet! ... An die Wand sich lehnend, hält er beide Hände vor die Augen. Nicht sehn will er die gräßliche Wahrheit. Vielleicht ist alles nur ein Alptraum, eine Sinnestäuschung, ein Truggebild seiner Trunkenheit ...

Wie ein Verbrecher schleicht er wieder hin zu ihr. Er küßt ihren Mund. Nein, nicht gräßlich – sondern unsagbar schön und hehr und herzzerreißend ist die Wahrheit. Da siegt sein Schmerz über seine Selbstanklage. Und er brüllt, brüllt ...


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