Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
1.
Der greise Schopenhauer spricht –
Und gern betret ich seine Spur:
»Ein jedes Menschenangesicht
Ist ein Gedanke der Natur.«
Es folgt daraus das eine nur,
Wenn man dem Worte Glauben schenkt:
Daß auch die ewige Natur
Mehr Dummes als Gescheites denkt!
2.
Der satte Reichtum hat's ausgedacht,
Daß Armut niemand Schande macht.
Die Schlemmer lehren am vollen Tisch,
Wie Salz und Brot hält die Wangen frisch.
Die Tauben gurren vom Dachesrand:
»Nehmt lieber den Sperling in der Hand« ...
Und die Dummen faßten den Mehrheitsbeschluß,
Daß stets der Klügere nachgeben muß.
3.
So manche Freude wird zu Trümmern,
Wenn man den »Leuten« nicht gefällt,
Und doch – ich um die Welt mich kümmern? ...
Nicht um die Welt!
4.
Es meint mancher Graukopf:
Nun wär' er ein Schlaukopf.
Doch bürgt die Behaarung
Nicht stets für Erfahrung.
5.
Ihr ruft: »Ein Pereat dem Zopf
In Staat und Kunst« ... Indes ich meine:
Stellt ihr das Alte auf den Kopf,
So stellt auch Neues auf die Beine.
6.
Über Fraun, die nicht mehr blühen
In des Lebens erstem Lenze,
Die schon an des Herbstes Grenze –
Nur kein spöttisch Mundverziehen!
Lern es, junges Volk, begreifen:
Männer altern, Frauen reifen.
7.
Ich hörte manche Frauen kampfbereit
Ein Lied von strenger Sitte stammeln,
Die nur aus Zinsen ihrer Häßlichkeit
Ihr Kapital an Tugend sammeln.
8.
Den deutschen Dichterwald seh ich durchwandern
So manchen Autor mit behendem Fuß,
Der zwar empfangen hat den Musenkuß,
Doch stets nur von der Muse – eines andern.
9.
Wenn ein Poem von Schönheit fern ist,
Wenns ohne Klarheit, ohne Kern ist,
Vor allem: wenn es nur für Herrn ist,
Dann sagt man stets, daß es »modern« ist.
10.
Ob durch triftige Gründe
Ein Mann es verstünde,
Ein Weib zu bekehren? ...
Es kommt darauf an.
Doch nicht auf die Gründe –
Nein, nur auf den Mann!
11.
Wenn Schillers Freiheitssehnsucht mich umschwebte,
Und ward mein Herz an seinen Gluten heiß,
Geschah's oft, daß der Zweifel in mir bebte:
»Wenn heut der Freiheit großer Dichter lebte –
Bekäme Schiller wohl den Schillerpreis?«