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Jörg Ritzel (geb. 1864)

1. Zweierlei Geographie.

Es saßen zwei beisammen
Im Wirtshaus beim funkelnden Wein,
Und sprachen von diesem und jenem,
Von Mosel und Neckar und Rhein.

Der eine, ein alter Magister,
Im Knopfloch ein Ordensband,
Der andre in luftigem Flause,
Ein sprudelnder, kecker Vagant.

Dozierend sprach der Alte:
»Die Erde ist riesig groß.
Fast 30 Billionen Kubikfuß
Birgt sie in ihrem Schoß.

An neun Millionen Meilen
Hat sie im Flächengeviert,
5000 allein mißt der Gürtel,
Der ihre Taille ziert.

Ich habe alle Meere,
Der Wissenschaft dienend, durchquert,
Hab Infusorien gezüchtet
Und Hydrodynamik gelehrt.

Ich trank aus dem großen Nyanza
Und peilte im Baikalsee,
Vom Ätna und Kilima-Ndscharo
Streift ich den schimmernden Schnee.

Ich saß in den Opiumhöhlen
Zu Nanking und Weiheiwei,
Ich nächtete am Sambesi
Und trank aus der Jennissei.

Ich probte jedes Wasser,
Das meine Wandrung gekreuzt,
Der Wissenschaft Macht zu mehren,
Hat's mich gewaltig gereizt –«

»Ihr probtet jedes Wasser?«
Fiel spöttisch der Junge ein.
»Ich üb' eine andere Lehre!
Ich probe jeden Wein!

Ich kenne jede Kneipe
Im schönen deutschen Land!
Ich saß in dämmernder Laube
An jedem Rebenstrand!

Ich weiß, wo den besten man schenket
Von weißem und rotem Wein!
Ich kenne die größten Gläser
An Mosel und Neckar und Rhein!

Ich kenne die gröbsten Wirte, –
Doch ficht mich das wenig an! –
Es hat oft das wonnigste Weibchen
Der größte Grobian!

Ich kenne die schönsten Mädchen,
Und weiß, wer am heißesten küßt,
Und wer, wenn ich komme, verschwiegen –
Das Kammerschlüßlein vergißt – –«

Da fuhr es dem alten Magister
Wie Zipperlein durch das Gebein –
Nachdenklich griff er zum Becher
Und schaute lange hinein.

Dann sprach er mit saurer Miene:
»So was passierte mir nie!
Fürwahr, ich gestehe, Ihr übet
Die praktischste Geographie!«

2. Verliebt.

Wie schlecht mir die Arbeit heute steht!
Sie hat mir wahrhaftig den Kopf verdreht,
Die Hexe, mit ihrem Nixenlachen
Und ihren heimlichen Siebensachen!
Da ist sie schon wieder! Frech und keck
Schaut sie mir über die Schulter weg,
Und kitzelt mir mit den Löckchen das Ohr
Und guckt aus allen Ritzen hervor!
Zum Kuckuck mit dem tollen Spuk!
Jetzt an die Arbeit! Doch wer schlug
Mir klatsch! das Tintenfaß da zu
Und lacht mich aus und wirft im Nu
Ihr braun Gelock mir übers Gesicht
Und hüllt mich in prickelndes Dämmerlicht?
Ha! Wie das seidig rinnt und rieselt!
Wies in den Adern mir kreist und krieselt!
Wies raunt und rauscht und glänzt und knistert
Und heimlich mir in die Ohren flüstert – –!
Genug – genug der Höllenflammen!
Alter Hirnkasten, nimm dich zusammen!
Zur Arbeit endlich! Sie muß gelingen,
Befreist du dich erst von solch lockeren Dingen!
Die Feder her – doch – toller Spaß –
Da stand doch noch eben das Tintenfaß!?
Und jetzt – und jetzt? O neue Qual!
Ein Damenfüßchen kokett und schmal!
Ein Lackstiefelchen, so glänzend und klein!
Das sticht mir jach in die Augen hinein!
Und das Papier – daß ichs verstehe! –
Das raschelt wie seidne Unterröcke!
Ich bin betört! Ich bin behext!
Schon hab ich den sechsten Bogen verklext!
Und wieder seh ich das rosige Gesicht,
Und das Stiefelchen, das in die Augen mir sticht,
Und höre das Knistern und höre das Lachen
Und das Frou-Frou der heimlichen Siebensachen – –
Zum Teufel die Arbeit und Feder und Papier!
Fort! Auf zu ihr!

3. Im Wein.

(Aus dem Rheinepos »Trutz-Katz«.)

Ich zog den Rhein hinunter,
Ich zog den Rhein hinauf,
Mir ging manch selig Wunder
An seinen Ufern auf.
Drum fort, verlauster Plunder!
Ich schnür mein Ränzel ein
Und tauche wieder unter
Im Wein, im Wein, im Wein!

Der Büttel und der Scherge
Die han mich arg gezwickt.
Heiho! Jetzt geht's zu Berge,
Die Seele neu geflickt!
Komm her, du blonde Lerche!
Schenk du mir wieder ein!
Ertränke das Gewerge
Im Wein, im Wein, im Wein!

Laß fliegen Sohl' und Kappen!
He, Fiedelmann, spiel auf!
Was schern mich seidene Lappen
Und all der Trödelhauf!
Komm, Kind! Zum offnen Zappen
Tanz ich mit dir hinein
Und schließe dann die Klappen,
Mit Wein, mit Wein, mit Wein!

Und wem das Herz verrostet,
Wer Grünspan hat im Leib,
Wen keifend hält gepfostet
Ein gallengrämlich Weib,
Der ziehe mit, wos mostet
Und wasch das Herz sich rein,
Obs auch den Beutel kostet,
Im Wein, im Wein, im Wein!


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