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Hannover, 21.1.14
Verehrter, lieber Herr Dehmel,
nach langer Pause muß ich Ihnen schreiben, muß ich wieder mit einer Bitte zu Ihnen kommen:
Ich habe Ihnen bei meinen früheren Besuchen meine Lebenslage mitgeteilt. Seit Oktober bin ich wieder ohne Arbeit. Weihnachten hatte ich an den hiesigen Stadtdirektor (Tramm) ein Gesuch um Unterstützung eingereicht. Ich bekam kürzlich (Ihr letzter Brief an mich hatte mitgeholfen) 100 M. Ich hatte mehr erwartet – ein Bürodirektor, mit dem ich wegen dieser Sache unterhandelte, wollte dem Bürgervorsteher-Kollegium (dem Philisterium, wie er's nannte) vorschlagen: sie sollten mich bei der hiesigen Stadtbibliothek anstellen. Ich sagte ihm, daß ich mit der kleinsten Beschäftigung zufrieden wäre und daß eine solche Anstellung etwas wäre, was ich mir idealer nicht wünschen könnte.
Bedenken Sie, Herr Dehmel, meine bisherigen Verhältnisse: Im Sommer Handwerksarbeit, im Winter – nichts. Im Sommer nicht dichten können (vielmehr: Wertvolles nicht ausgestalten können), und im Winter, der freien Zeit, dichten müssen? Sie werden wissen, was das heißt, wenn man im ungeheizten Zimmer sitzen muß, draußen ist es noch kälter – Sorge um das tägliche Brot usw. und dabei dichten. Diese Handwerkerei macht (besonders im Sommer) den Dichter in mir stumpf und müde.
Nun der Gegensatz (wie es sein könnte): Ein regelmäßiges Gehalt von vielleicht 100 M. pro Monat (welches mir genügen, mich wenigstens immer über Wasser halten würde), etwa 4 Stunden täglicher Dienst (statt bisherigen 9 schweren Arbeitsstunden), im übrigen freie Sommerzeit für den Dichter. (Umgang mit Büchern, statt solchen mit unangenehmen Handwerksmeistern!)
Der Herr Stadtdirektor glaubt nun wahrscheinlich, daß er mich mit den 100 M. zufriedengestellt hat. (Es sind jetzt gerade mehrere Stellen an der Bibliothek neu zu besetzen: eine Aussicht, die sich mir wohl nicht wieder so günstig bieten wird.) Ich will nun mit Ihrer erbetenen Hilfe nochmals einen energischen Vorstoß machen. Eile tut not: wenn die Stellen besetzt sind, kann ich natürlich keine mehr bekommen.
Verehrter Herr Dehmel, wenn ich den Leuten nun schreibe – alles mögliche Gute – so bin ich doch nur mein eigenes Zeugnis. Ich kann daher nicht erwarten, daß man mir glaubt, und man wird mir nicht glauben! schon deshalb nicht, weil ihnen meine Dichtung nicht gefallen, nicht eingehen wird: sie ist ihnen viel zu radikal und unlyrisch (vorläufig). Man wird den Wert, der weniger im einzelnen Gedicht, als vielmehr in den Zusammenhangsbeziehungen der Gedichte untereinander, der im Ethos des ganzen Dichtwerks liegt – nicht erfassen.
Aus diesen Gründen möchte ich, daß Sie, verehrter Herr Dehmel, den Leuten, dem Stadtdirektor, mit Nachdruck begreiflich machen: daß ich (nach meinen bisherigen Arbeiten) als Dichter eine Zukunft habe – daß eine solche Anstellung (trotz ihrer Kleinheit) einen tatsächlich unschätzbaren Wert für mich hat. Ich hoffe, daß Sie mir gütigst helfen werden.
Ich würde einen Posten als Bücherausgeber oder dergleichen ganz gewiß (auch ohne höhere Schulbildung) ausfüllen können.
Herr Dehmel, größte Eile ist Not! Es ist eine Lebensfrage für mich!
Ich sende Ihnen mein erstes Buchmanuskript mit. Ich habe dieses auf Verlangen Paul Zechs zusammengestellt und ihm zugesandt. Er will es, wenn möglich, an einen Verleger vermitteln. Sie werden sich wohl aus diesen Arbeiten ein umfassendes Urteil bilden können. Die beigefügten Handschriften sind keine Abschriften, sondern Originale. Ich bitte daher um gute Behandlung und Rücksendung mit den andern.
Herr Dehmel, Ihr Wort hat Gewicht, Sie können mir helfen – ich glaube fest, daß Sie es tun werden. Ich wäre selig, wenn ich die Stelle bekäme.
Mit vielen Grüßen verbleibe ich
Ihr ganz ergebener, dankbarer
Gerrit Engelke