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An der Yser, 16. 6. 15
Sehr werte Frau R.!
In der letzten Zeit habe ich viel Trübsal geblasen, denn ich habe seit Wochen von fast allen und auch von Ihnen nichts oder nur wenig gehört. Vielleicht ist auch die Feldpost daran schuld, denn wie wir hier hören, sollen überall Verzögerungen eintreten.
Wir liegen seit einer Woche etwa an der Yser. Die Hauptlinie direkt an der Yser entlang (5 Schritte hinter meinem Graben die Yser), davor das Überschwemmungsgebiet, Wasserflächen, Grasinseln, Tümpel darin, dem Schützengraben vorgelegen verschiedene von uns besetzte Gehöfte. Kloster Hock, Vigogne Ferme, Styvens Kerke usw. In der Vigogne Ferme, in die wir gestern nacht als Ablösung kamen, sitze ich jetzt gerade auf dem Hof an einem wundervoll erhaltenen Rundtisch und schreibe. Vorgestern bekam diese Ferme (altes Schloßgebäude mit 60 cm dicken, aber trotzdem glatt durchschlagenen Mauern, kleiner alter Kirche und modernen Wirtschaftsgebäuden) starkes Granatfeuer. Seitdem wir darin sind, ist es ruhiger geworden. Heute nacht gehen wir, d. h. ein Unteroffizier, ein Kamerad und ich, auf Patrouille.
Ihr kleines Kästchen mit Schokolade und Apfelpasta habe ich erhalten. So was läßt sich schön bei der Nachtwache aufknabbern, ein Hilfsmittel gegen Müdigkeit.
Mit demselben Gleichmut wie wohl fast überall im deutschen Lande wurde auch bei uns Italiens Treubruch aufgenommen. Rußlands Niederkämpfung muß erst vollständig werden, dann kommt Italien an die Reihe. Aber Rußland, wenn es auch jetzt besiegt wird – nach 50 oder 100 Jahren wird es wieder kommen und viel später, wenn Deutschland seinen Höhepunkt überschritten haben wird, wenn seine Erststellung in der Welt verschwindet – dann erst wird Rußland, von den Gelben westwärts gedrängt, die große Rolle in Europa antreten.
Mit freundlichem Gruß!
Ihr G. E.