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An Frau R.

Leke, 22. 6. 15

Morgen abend geht's nun wieder hinaus in Stellung. Jedesmal, wenn wir wieder nach vorn marschieren und der erste Büchsen- oder Böllerschuß rollt, überkommt mich so eine Art Freude am Abenteuerlichen: »Jetzt beginnt wieder die alte Musik«, sage ich mir dann. Das dauert aber nicht lange – nur zu schnell fällt man darauf wieder in die eigentümliche Gelassenheit, wie sie eben der Schützengraben unwiderstehlich bei fast allen erzeugt. Auch die Gefahr verblaßt.

Den gestrigen Tag kennzeichneten mir 3 Dinge. 1. Zum erstenmal sah ich, daß auf einen Flieger mit den krachenden, schwarz-wölkigen Granaten geschossen wurde; und zwar unsererseits. Sonst kannte man nur die Schrapnellbeschießung. 2. Freude und Respekt vor dem gewaltigen Vordringen unserer Armeen in Galizien. 3. Morgens früh wusch ich mich gerade auf dem Hof unseres stillen, belgischen Bäckers (bei dem wir einquartiert sind), als ich plötzlich ganz merkwürdigen Gesang und Orgelspiel aus der Nähe hörte. Ich kroch gleich durch den Zaun und ging auf die nahe Kirche zu. Gottesdienst. Doch welcher! Die halbe Kirche, der Vorderteil mit Turm, war schon vor langem von deutscher Seite gesprengt, um dem Feind ein Artillerieziel zu nehmen. Und nun stehen und knien da die Leute auf den aufgerissenen, kalkbestaubten Fußbodenplatten unter der hitzenden Morgensonne und lauschen mehr oder weniger andächtig dem lateinischen Gemurmel des Pfaffen oder dem Singen der 2 oder 3 Vorsänger. Einer von diesen, es waren wahrscheinlich Bauern oder kleine Leute von hier, hatte eine wunderbar ungeschulte, metallisch-starke Stimme; um Mittag noch hörte ich ihn die endlosen romanisch gefärbten Litaneien singen. Der Pope aber sang in einem unerträglichen, energielosnäselnden Waschweibton vor dem Altar. Absolut unmusikalisch. – Es war ein merkwürdiges, ergreifendes Bild.

Sie sprechen von Gestaltung des Kriegserlebnisses in Ihrem Briefe. Ich glaube, daß der Krieg als solcher sich überhaupt nicht gestalten läßt. Dieser Krieg nicht. Erstens, weil er so ungeheuer kompliziert ist in allen seinen maschinell zersetzenden Wirkungen, und zweitens, weil ihm doch eigentlich die Seele fehlt. Wir wollen uns nicht selbst täuschen. Ich bin durchaus der Meinung, daß Kriege nicht aus moralischen, sondern aus politischen Gründen entstehen. Der eine große Ton der letzten Not, wie er so manchem der früheren kleineren Kriege die Seele war, fehlt dem unseren. Man denke etwa an 1813, als der Fuß des Korsen auf unser Land trat, man denke an den Verzweiflungskampf der Tiroler und an den der Buren in Afrika. Wir spüren noch lange nicht die Faust eines Erwürgers an unserer Kehle, wir haben nicht feindliche Mordbrenner im ganzen Land. Wir führen den Krieg im Feindesland; wir sind stark und selbstbewußt und haben alle Ursache, bei den Erfolgen, wie sie der Verlauf des Krieges uns zeitigt, mehr und mehr Respekt vor unserer eigenen neuen Kraft zubekommen. (Wer hätte sie in solcher Entfaltung geahnt!) Unserem Krieg fehlt die Seele – man denke an die Fäden, die hüben wie drüben Kapitalismus, Regierungscliquen und Diplomatie im Trüben zogen und ziehen.

Dieser Krieg wird in der Gestaltung durch die Kunst wohl immer nur als zeitbestimmte, so großartige wie wahnsinnig blutige Geschehensunterlage wirken. (Auch in meinem erweiterten Don-Juan-Plan wird er als lebendiger Hintergrund, als Szene da sein.)

Krieg ist die Verneinung oder doch mindestens Verkümmerung des Seelischen und Erweiterung der Macht des Materiellen.


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