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6.12.15
Liebe Mutter!
Vielen Dank für Deinen Brief vom 18.10. (Ich glaube überhaupt, daß ich bis jetzt Eure Brief immer erhalten habe.)
In unserem Frontteil ist es nach wie vor ruhig. Statt gefechtlicher Tätigkeit gibt es allen möglichen Arbeitsdienst (Ausbau der Stellungen) bei Tag und Nacht. Das ist mitunter recht sauer, und bei dem jetzigen Winter – d.h. Regenwetter, nicht immer angenehm. Doch man tut so jeden Tag seine Pflicht und Schuldigkeit; ein Tag geht nach dem anderen hin – und mit jedem kommen wir doch schließlich dem Frieden näher; dem schönen Frieden, auf den wohl alle Menschen warten.
Seid nicht böse, wenn Euch dieser Brief nicht mehr zu Weihnachten erreicht, vielleicht habt Ihr ihn zu Neujahr. Daß die Seattler Zeitung das Gedicht von mir bringt, freut mich. (Wer hätte das gedacht, daß mir im fernen Westen diese »Morgenröte« blühen würde! Spaß.) Ich lege ein neues Gedicht bei. (Zahlt die S. Zeitung Honorar dafür?) Wir haben wirklich etwas Glück zu Weihnachten: wir können Weihnachten in einem Ruhequartier, in einem ganz artigen flandrischen Dorf chen hinter der Front feiern. Es paßt gerade so mit unserer Ablösung. Im Schützengraben wäre es schließlich doch immer etwas gedrückt gewesen. Das große Fest der Liebe wird auch für uns hier draußen etwas bringen: allerlei Briefe, Wünsche, Paketchen wird uns die Heimat schenken; was wollen wir mehr? Wir sind Kriegssoldaten, und Genügsamkeit ist eine eiserne Tugend bei uns. Wir werden an all unsere Nächsten und Lieben denken, zur Kirche gehn, spät im Quartier beim Weihnachtsbaum wohl noch die alten lieben Weihnachtslieder singen – und werden gedankenvoller denn je noch eine Weile wach auf unseren Strohsäcken liegen. Dann schlafen wie jede Nacht.
Mögt Ihr nun, liebe Eltern, Schwester, Schwager ein Weihnachtsfest feiern, deutsch, ernst und zuversichtlich – hoffend auf die wirkliche Christgnade der Erlösung, auf den Frieden.
Wir halten weiter durch und kennen nur den Glauben an den Sieg unserer großen, gerechten deutschen Sache. Es grüßt Euch alle, und Dich besonders, liebe Mutter –
Euer Gerrit