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Neapel, den 3. März 1770
Madame,
der Brief meines liebenswürdigen Fürsten von Gotha hat mir unendliche Freude bereitet. Wenn ich Ihnen sagte, daß mir sein Beifall wertvoller ist als selbst die Anerkennung Voltaires, so würde ich Ihnen nichts vorlügen. Nur den des Druckers zöge ich allen andern vor, aus guten und stichhaltigen Gründen. Der Fürst sagt mir, daß omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci, aber ich empfehle ihm, dafür zu sagen: Hinfort omne tulit punctum, qui miscuit das Urteil des Druckers und das der Enzyklopädie.
Dennoch ist etwas in des Fürsten Brief, was mir seinetwegen leid tut. Er ist zu bescheiden, und er läßt es merken. Ich muß eines Tages eine schöne Abhandlung verfassen, um ihn von dieser Tugend zu heilen. Sie ist überflüssig an einem Fürsten, und sie ist nicht die einzige, die an einem Fürsten überflüssig ist. Verstehen wir uns recht. Ein Fürst soll sich selber gegenüber bescheiden sein; er soll seinem eigenen Wissen mißtrauen und Ratschläge einholen. Sehr gut – aber er soll das niemals einem Menschen eingestehen, nicht mündlich, aber noch weniger schriftlich. Selbst denen gegenüber, welchen er die Ehre erweist, sie zu befragen, soll er imponierend auftreten, so daß sie glauben, er wisse sehr gut über den Gegenstand Bescheid. Die schlechten Ratgeber werden in ihm einen scharfsichtigen Richter fürchten; die guten werden sich schmeicheln, in ihm einen Kenner gefunden zu haben. Verrät er sein Geheimnis, so wird er nie einen guten Rat erhalten; denn sowie der Herr Rat merkt, daß sein Souverän über den Gegenstand nicht Bescheid weiß, wird er sich schön hüten, ihn darüber zu unterrichten; denn er würde daran arbeiten, sich entbehrlich zu machen, und das widerstrebt der menschlichen Natur. Wenn er aber im Gegenteil glaubt, daß der Fürst davon unterrichtet ist, so wird er all seine Kräfte aufbieten, um vor ihm zu glänzen, und wird das Beste all seiner Ware zu Markt bringen. Schließlich: das Wort eines Fürsten ist heilig. Er kann nur einmal sein Wort geben. Wenn er sagt: ›Ich verstehe davon nichts‹, so wird man sich auf ihn berufen. Dies wäre ein Unglück und zugleich, wie im Falle unseres lieben Fürsten, ganz und gar nicht wahr. Freilich hat es vielleicht andere Herrscher gegeben, die, falls sie gesagt hätten: ›Ich verstehe nichts davon‹, damit das einzige heilige, unverletzlich von ihnen gehaltene Wort ausgesprochen hätten; aber diese Fürsten sind tot, von ihnen erzählt die Geschichte.
Bitten Sie inzwischen meinen lieben Grimm, dem Fürsten in meinem Namen alles zu sagen, was Herz und Geist ihm eingeben. Er ist Prophet von Beruf, er ist hellsehend. So wird er sehr richtig erraten, was ich alles dieser jungen Menschenpflanze, die Deutschlands Hoffnung und eine Zierde der Menschheit ist, schreiben möchte.
Versichern Sie dem Buchhändler Merlin (ich glaube, so heißt er), daß der weise Merlin, im Vergleich zu ihm, nicht zwei Heller wert war: daß ich ihn zu einem viel größeren Zauberer als den andern machen werde, und daß ich ihm schon jetzt die Herausgabe von 193 Bänden, mit denen ich niederkommen will, verspreche, jedes Jahr einen, vorausgesetzt, daß er seinerseits mir ein so langes Leben verschafft. Ich will sogar aus meinen Arbeiten, eine Tontine machen (da es ja bei Ihnen dieses Gezücht nicht mehr gibt), so daß die letzte alle andern aufwiegt und in sich einschließt. Daraus können Sie beurteilen, daß diese Arbeit sehr kurz sein wird. Ja, meiner Treu, kurz wird sie sein; hier sehen Sie sie:
Band Einhundertdreiundneunzig
x = 0
Das Ganze gleich Null.
Macchiavellino
Raten Sie mir dazu, dies herauszugeben, ehe die andern erschienen sind? ...
Madame, ich habe mich mit den Kritiken und selbst mit den Beleidigungen ausgesöhnt; daher schicken Sie mir nur ruhig alle, die noch erscheinen werden. Wenn die Beleidigungen zu stark sind, so werde ich den Herren Ackerbauern mit einer Broschüre antworten, die zur Vignette den (horazischen) Gott der Gärten haben soll, der ehemals Stamm eines Feigenbaumes war und jetzt Gott der Ökonomisten ist, mit der Umschrift: quantum vesica pepedi. Ich sehe im Geist meinen lieben Grimm bei der Lektüre dieses Briefes vor Lachen sich ausschütten und vor Heftigkeit des Lachens in Gefahr geraten, daß ihm dasselbe passiert.
Guten Abend, meine schöne Dame, lieben Sie mich und versetzen Sie in Gedanken mich nach Paris und sich nach der Briche.