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Neapel, den 5. September 1772
Ich habe sie gleichzeitig erhalten. So habe ich denn die traurige Nachricht vom Tode unseres armen Marquis um acht Tage später erfahren. Seien Sie nicht erstaunt: sie hat mich bei weitem nicht so schmerzlich berührt, wie ich selber geglaubt hätte. Diese Erscheinung hat mich erstaunt, hat mir beinahe Abscheu von mir selbst erregt, und ich bin daher der Ursache tiefer nachgegangen.
Nicht die Abwesenheit ist schuld; auch hat sich mein Herz nicht verändert oder verhärtet. Der Grund ist der: man hat für das Leben eines andern nur so viel Anhänglichkeit, wie man für sein eigenes hat; und wir hängen am Leben nur entsprechend den Freuden, die es uns gewährt. Ich verstehe jetzt, warum die Bauern ruhig sterben und stumpfsinnig ihren Nächsten sterben sehen. Ein Mensch, der auf Lebenszeit nach Bicêtre geschickt wäre, würde sich aus allen Todesfällen der ganzen Welt nichts machen. Dies ist die Ursache der kriegerischen Tapferkeit: das Leben dauert nur einen Feldzug. Man schlägt sich tapfer, nachdem man eine Nacht auf Winterbiwak verbracht hat; man verachtet sein Leben wie das des Nächsten; es ist einem zur Last. Wenn Sie daher mehr geweint haben als ich, so ist das ein sicheres Zeichen, daß trotz Ihrem Kummer und Unglück Ihr Leben in Paris weniger abgeschmackt ist als meins in Neapel, wo nichts mich fesselt außer zwei Katzen, die ich bei mir habe; als gestern eine von diesen durch die Schuld meiner Leute sich verlaufen hatte, geriet ich in Wut und entließ mein ganzes Gesinde. Zum Glück wurde der Kater heute morgen wieder gefunden, sonst hätte ich mich vor Verzweiflung aufgehängt. In solchem Zustand lebe ich; nun sagen Sie selber: was ist besser – Kummer oder Verblödung?
Ich wundere mich keineswegs, daß Grimms Gesundung lange Zeit erfordert; aber ich möchte, daß er und Sie sich nicht darauf versteiften, sie durch Reisen oder Heilmittel beschleunigen zu wollen. Wir kennen nicht die wachstümliche Kraft der Natur, noch auch die Zeit, die sie braucht. Geduldig abwarten ist das beste. Beachten Sie dieses, und wenn der Marquis durch eigenen Fehler gestorben ist, so wollen wir daraus den Schluß ziehen, selber keine anderen Fehler zu begehen.
... Ich antworte dem Philosophen in beiliegendem Brief; die philosophische Geschichte ist also vom Abbé Raynal? Es gibt auf der Welt wenige, die ich mehr verehre und liebe. Daher freue ich mich sehr über den Erfolg seines Buches; es ist sehr gut geschrieben, in einem blumenreichen Stil; es ist das Buch eines ehrenwerten, sehr gut unterrichteten, sehr tugendhaften Mannes; aber es ist kein Buch für mich. In politischen Dingen erkenne ich nur den reinen, unverfälschten, rohen, grünen Macchiavellismus an. Er wundert sich, daß wir den Negerhandel in Afrika betreiben; warum wundert er sich nicht auch, daß man Maultiere von der Guienne nach Spanien verhandelt? Gibt es etwas Scheußlicheres, als Stiere zu kastrieren, Pferden den Schwanz zu stutzen usw.? Er wirft uns vor, in Indien wie Räuber zu hausen; aber Scipio und Caesar können recht wohl als Räuber angesehen werden, die in die Küstenländer der Berberei, beziehungsweise in Gallien, einbrachen. Er sagt, das werde einen üblen Ausgang nehmen. Aber alles Gute nimmt einen üblen Ausgang!
Das Kalbfleisch von Pontoise wird zu ...; also essen Sie es ja nicht! Der Tanz führt zu Müdigkeit; also tanzen Sie doch nicht! Aus Liebe wird Leid; so lieben Sie doch nicht. Meiner Ansicht nach soll man so viele Neger kaufen, wie man uns verkaufen will; wir werden uns schon ohne Negerhandel behelfen, sobald es uns gelingt, sie in Amerika zu akklimatisieren. Ich bin ferner der Meinung, wir sollen unsere Verheerungen in Indien fortsetzen, so lange es uns dabei gut geht; wir können uns zurückziehen, sobald wir einmal geschlagen werden. Geben Sie Ihre irrige Meinung auf, daß es auf der Welt gewinnbringenden Handel gebe. Der einzige gute Handel besteht darin, daß man Stockhiebe austeilt und dafür Rupien erhält. Es ist der Handel des Stärkeren. Da haben Sie mein Buch. Guten Abend.