Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[81] An Frau von Epinay

Neapel, den 9. November 1771

Meine Schöne,

wie vieles hätte ich Ihnen zu antworten! Aber ich kann heute abend nicht. Ich empfange soeben vom Erbprinzen von Braunschweig einen Brief, der mir so den Kopf verdreht, daß ich an nichts anderes denken kann. Wahrhaftig, wenn er an den König von Frankreich schriebe, könnte sein Brief nicht unterwürfiger lauten; und wenn er an Voltaire schriebe, würde er ihm nicht die Hälfte von dem sagen, was er mir sagt. Ganz bestimmt werde ich Ihnen mit der nächsten Post eine Abschrift des Briefes schicken; heute abend habe ich keine Zeit, eine anzufertigen, und ich habe, wie Sie wissen, keinen Sekretär, der Französisch kann...

Endlich haben Sie also ein Geheimnis von mir entdeckt, daß ich, so sehr ich nur kann, zu verbergen suche. Sie haben durchschaut, daß ich alles, was ich sage oder schreibe, im Augenblick darauf vergesse, während ich niemals vergesse, was man mir sagt oder was ich lese. Das ist völlig wahr, schöne Frau. Es ist eine eigentümliche Erscheinung meines Kopfes, die ich nicht erklären kann. Wundern Sie sich also nicht über meine Widersprüche, wie z. B. in betreff der Exemplare meiner Dialoge. Allerdings haben Sie mir zweiunddreißig statt zwanzig gesandt; aber das macht nichts; ich bin zufrieden. Sie hatten mir zwei oder drei Reisebeschreibungen versprochen und schickten mir nur Bougainville; in dieser Hinsicht täuscht mein Gedächtnis mich nicht. Denn das habe ich gelesen und nicht geschrieben. Vielleicht also leiden Sie an demselben Übel wie ich. Wenn ich an Magallon schreibe, werde ich ihm Ihre Worte mitteilen – wäre es auch nur wegen der Eigentümlichkeit des Falles, daß der Vertraute, der die Erklärungen zweier in Paris befindlichen Personen empfängt, in Neapel sitzt. Man liest von Mathusalem, daß er es auch so machte, und darum war es gut, daß Gott ihm ein so langes Leben schenkte, denn sonst hätte er nicht alles erledigen können. Ich wiederhole Ihnen, Sie können unmöglich ein Verständnis dafür haben, auf welchen hohen Grad von Vollendung Piccini die komische Oper bei uns gebracht hat. Haben Sie keine Sorge: die neapolitanischen komischen Opern kommen nicht nach Frankreich. Das ist niemals der Fall gewesen; sie gelangen nicht einmal bis Rom. Sie werden wohl italienische komische Opern haben, wie z. B. La buona Figliuola, aber keine neapolitanische. Um Sie vollends zu überzeugen, werde ich Ihnen ein oder zwei Stücke mit einer italienischen oder französischen Erläuterung schicken, und Sie werden dann sehen, daß man durchaus nach Neapel kommen muß, um sich so etwas anzuhören.

Nun zu Ihrer Nr. 73. Ihr Abenteuer mit dem getretenen Kind im Wagen auf der Rückfahrt von Sannois ist ungemein komisch – und um so komischer, da Sie damit der Wahrheit näher kommen, als Sie glauben. Diese aufgeblasene Blase war meiner Seel – ja, es ist die einzige mir bekannte Blase, die waschecht ist; und zwar aus guten Gründen. Ach was wäret Ihr für gute Menschen, ihr alle vier in Eurem Wagen! Den Auftrag auf ein Kind, den Sie mir geben, werde ich ausführen! Ich arbeite mit aller Macht daran. Ich habe die Arbeit unter vier Personen gleichzeitig verteilt, damit in zwei Monaten und einer Woche alles fertig sei. Man wird das Ganze zusammenkleben und es mit drei Ammen aufziehen; so hoffe ich, das Kind ist binnen vier Monaten von heute an geboren und entwöhnt, so daß es Ihnen zugeschickt werden kann. Wir müssen nur noch einen Delorme finden, um es zu verpacken.

In der Frage betreffs der Neugier der Tiere verstehen wir uns nicht, weil es unserer Sprache an Worten fehlt, um uns richtig auszudrücken. Man nennt Neugier die Aufmerksamkeit, die wir einer unbekannten oder dunklen Sache widmen, um zu entdecken, was sie ist, und um zu wissen, wozu wir sie gebrauchen können. Dies müßte man aber eigentlich Wißbegierde nennen; solche Wißbegierde besitzen Tiere in demselben Grade wie wir, oder sogar in noch höherem. Ich nenne Neugier das Vergnügen, das der Mensch daran findet, etwas zu beobachten, während er doch vollkommen weiß, daß es für ihn gleichgültig und unnütz ist. Die Katze sucht ihre Flöhe ebensogut wie der Mensch die seinen; aber nur ein Réaumur beobachtet den Pulsschlag eines Flohs; solche Neugier ist nur dem Menschen eigen. Hunde werden nicht nach dem Grèveplatz gehen, um einen Hund hängen zu sehen. Adieu.


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