Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[19] An Frau von Epinay

Neapel, den 12. Mai 1770

Ihr Brief kommt zusammen mit einem andern, alten an, der vor Alter so weiß ist, daß man die Schrift nur mit Mühe lesen kann. Er ist vom 11. März. In Herrn Perez' Hände gefallen, hat er die Runde durch ganz Europa gemacht und kommt nun endlich bei mir an. Nachdem ich diesen nun glücklich habe, sind nur noch zwei oder drei Briefe von Ihnen ausständig; auch sie werden kommen. Inzwischen danke ich Ihnen, daß Sie mir die Urteile von Marmontel, Creutz und Helvétius mitgeteilt haben. Sie decken sich vollkommen mit dem, was ich erwartet habe. Es sind alle drei in jeder Hinsicht schätzenswerte Männer; aber es tut ihnen not, daß ein Berufener ihnen sagt: Begeistert euch doch mal! Dann tun sie es, und aus ehrlichem Herzen! Dieser jemand hat gefehlt, denn ich war nicht in Paris. Wäre ich dort gewesen, so hätte ich ihnen schroff befehlend gesagt: Findet dies Werk erhaben! und sie hätten es erhaben gefunden. Doch, zweifeln Sie nicht: es werden Zufälle und Ereignisse eintreten, durch deren Verknüpfung sie in meinen Dialogen die Apokalypse finden müssen; und Sie werden sehen, wie sie dann ins Zeug gehen werden.

Dem Abbé Morellet habe ich schon in allem Ernst das Geheimnis enthüllt: Anstatt mich zu widerlegen, schreiben Sie einen Kommentar zu meinem Buch! Er wird mich nicht verstanden haben; aber andre werden mich verstehen, und ich zweifle nicht daran, daß man am Ende erraten wird, was ich sagen wollte. Von meinem letzten Dialog ist bis jetzt noch nichts fertig. Manchmal mache ich mir den Kopf damit heiß, aber in diesem unglücklichen Land ist niemand, der mich elektrisiert. Nur die Berührung von Pariser Händen kann jetzt dies Wunder vollbringen: darum ist alles, was ich schreibe, nichts mehr wert; höchstens vielleicht noch meine Antworten ein bißchen. Sammeln Sie also diese; nehmen Sie Abschriften von denen, die ich an andere schreibe, und schließlich werden Sie finden, daß diese gesammelten Bruchstücke doch ein Etwas sind.

Was meine Rückkehr nach Paris betrifft, so hoffe ich das beste. Meine Sehkraft wird alle Tage schwächer und undeutlicher; bald werde ich blind sein, und das wird eine schöne Gelegenheit und einen guten Vorwand abgeben, uns wiederzusehen.

Ich komme jetzt dazu, auf Ihre Nr. 5 vom 20. April zu antworten...

Die Inschrift, die man unten an Voltaires Statue anbringen will, wäre erhaben, wenn man die Kosten von allen Literaten Europas aufbringen ließe. Es wäre schön, den Engländer, den Deutschen, den Italiener und sogar den Kaiser von China, der eben ein Gedicht vollendet hat, als Landsleute Voltaires zu bezeichnen; aber wenn nur Franzosen dastehen, so ist die Inschrift recht flach und würde besser so lauten: A Voltaire, par un transport d'admiration; aber im Lateinischen würde sie wertvoller sein: Voltario, devicta invidia, saeculi sui miraculo, aere eruditorum conlato. Das Lateinische ist die Sprache der Inschriften; die Franzosen werden solche Wunder in ihrer Sprache nie vollbringen können. Ich z. B. könnte in französischer Sprache nur Dialoge oder Komödien in Prosa oder Tragödien in Versen, d. h. immer Dialoge, machen; und das ist natürlich. Die Sprache des geselligsten Volkes des Weltalls, die Sprache einer Nation, die mehr spricht als sie denkt, einer Nation, die sprechen muß, um zu denken, und nur denkt, um zu sprechen, muß mehr als jede andere zur Dialogform führen. Wenn eine Inschrift dialogisch wäre, so würde sie den Verkehr stören, indem die Vorübergehenden auf den Straßen stillstehen würden. Ich habe nicht die Zeit, meinem lieben Grafen Schomberg zu antworten; Sie können ihm sagen, daß sein Brief mir unendliches Vergnügen machte und daß ich ihm sicher in einer langen Epistel antworten werde. Sie lassen ja gar nichts von meinem Gelde hören? Leben Sie wohl.


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