Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[177] An Frau von Epinay

Neapel, den i. August 1778

... Ich beginne einzusehen, daß das Unglück der Menschen von ihrer Vorausschau herrührt, was man auch davon sagen möge. Die Voraussicht ist die Ursache der gegenwärtigen Kriege in Europa. Weil man voraussieht, daß das Haus Österreich größer werden wird, daß die Amerikaner in einigen Jahrhunderten, die Engländer, Franzosen, Spanier in hundert Jahren gewisse Dinge tun oder auch nicht tun werden, fängt man auf der Stelle an, sich den Hals abzuschneiden. Wenn man bemüht wäre, nichts vorauszusehen, wäre alle Welt ruhig, und ich glaube, daß man nicht unglücklicher wäre, wenn man keine Kriege führte.

Inzwischen genießen Sie das Schauspiel, das mein Vaterland bietet: Krieg im Westen, Pest im Osten, Hungersnot im Innern. Der Prophet Nathan kann nach Belieben wählen. Wir haben eine sehr schlechte Ernte gehabt. Man hat veraltete Edikte erlassen (denn wir sind um mehrere Jahrhunderte zurück), und sofort war die Teuerung da. Sie können sich wohl denken, daß man mich hier nicht gefragt, nicht verwendet hat, und mich nicht dafür ansieht, als ob ich etwas von der Sache verstünde. Der Grund ist der, daß kein Mensch hier eine Ahnung hat, daß ich ein Buch über diese Frage geschrieben habe. Man weiß, daß ich ein französisches Werk veröffentlicht habe; aber die einen glauben, es sei ein Feenmärchen, die ändern, es sei eine Dichtung. Glauben Sie nicht, daß ich spaße oder übertreibe wie der Chevalier Lorenzi.

Etwas anderes wird Ihnen noch erstaunlicher klingen; denn selbst meine Heimat war darob erstaunt. Man hat eine Akademie der Wissenschaften und der schönen Literatur gegründet, und ich bin nicht Mitglied. Erinnern Sie sich des unbekannten Literaten, der zu Diderot sagte: »Mein Herr, ich arbeite für die Kolonien!« Ich sage auch, ich bin in Neapel und schreibe für Petersburg...


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