Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[91] An Frau von Epinay

Neapel, den 21. März 1772

Ich habe diese Woche keine Briefe von Ihnen erhalten. Wären Sie eine gesunde Frau, so würde mich das gar nicht beunruhigen; aber Ihre Briefe sprechen immer von Krankheiten, und der letzte schilderte Sie als sehr leidend. Was haben Sie denn? Geht es Ihnen gut? Sollte die neue Lehrzeit Ihres Sohnes Ihnen neuen Kummer gemacht haben? Sprechen Sie doch.

Ich habe Ihnen nichts zu erzählen. Ich bin traurig und trübsinnig. Es ist eine Stelle frei, auf die ich Anspruch erheben könnte; sie ist besser bezahlt und ehrenvoller als meine jetzige; aber sie macht auch viel mehr Arbeit und Verdruß. Übrigens ist sie stark umworben, und bei uns ist es Brauch, wenn man sich um eine Stelle bewirbt, seinen Mitbewerbern alles mögliche Böse anzutun, sie zu verleumden und anzuschwärzen; man schlägt sie nicht tot, aber sonst tut man alles. Ich weiß nicht, wozu ich mich entschließen, wohin ich meine Schritte lenken soll. Wenn ich das Amt für mich verlange, setze ich mich allen diesen Unannehmlichkeiten aus; trete ich nicht mit unter der Schar der Mitbewerber auf, so wird man trotzdem annehmen, daß ich im geheimen für mich arbeite, man wird mir ebensoviel Unannehmlichkeiten bereiten, mir ebensoviele Verdrießlichkeiten antun, wie wenn ich mich beworben hätte. Übrigens muß man ja doch mal vorwärtskommen, muß einmal anfangen zu arbeiten und sich zu langweilen; da ist es ebensogut, man beginnt sofort. Da kommt aber ein anderer Gedanke und sagt zu mir: Unvermeidliche Übel muß man möglichst lange hinauszögern; wenn ich jetzt noch Ruhe, Müßiggang, Vergessenheit genießen kann, warum soll ich mich beeilen, sie zu verlieren? In diesem Zustand befindet sich augenblicklich mein Geist: Sie sehen, ich habe Grund, traurig und dumm zu sein. Ah, wie häßlich ist der Ehrgeiz! Aber wie ist es möglich, nicht ehrgeizig zu sein, wenn die Welt doch einmal glaubt, man sei es; diese öffentliche Meinung genügt, um ebensoviel Leiden zu verursachen wie der Ehrgeiz selbst.

Um mich zu zerstreuen, ziehe ich zwei Katzen auf und studiere ihr Betragen. Ich sage Ihnen, das ist eine ganz neue Wissenschaft und ein ganz neues Studium. Seit Jahrhunderten zieht man Katzen auf, und trotzdem finde ich niemanden, der sie richtig studiert hätte. Ich habe Männchen und Weibchen; ich habe jeden Verkehr mit den Katzen der Außenwelt verhindert und habe ihre Ehe aufmerksam verfolgt. Würden Sie es glauben? In den Monaten ihrer Liebe haben sie niemals miaut; das Miauen ist also nicht die Liebessprache der Katzen, sondern sie rufen damit nur die Abwesenden. Eine andere sichere Entdeckung: die Sprache des Katers ist ganz verschieden von der Katze wie es ja auch nicht anders sein kann. Bei den Vögeln ist dieser Unterschied noch deutlicher ausgeprägt; der Gesang des Männchens ist ganz und gar verschieden von dem des Weibchens; doch weiß ich nicht, ob bei den Vierfüßlern schon jemand diesen Unterschied bemerkt hatte. Außerdem bin ich sicher, daß es mehr als zwanzig verschiedene Lautwandlungen in der Katzensprache gibt. Ihre Sprache ist wirklich eine Sprache; denn sie bedienen sich immer desselben Lautes, um dieselbe Sache auszudrücken. Ich würde kein Ende finden, wollte ich Ihnen alle meine Beobachtungen mitteilen; aber Sie sehen an diesem Pröbchen, daß ich bald der Historiogriph von Neapel sein werde.

Dies also sind meine Sorgen und meine Ergötzlichkeiten; sonst tue ich nichts.

Gatti befindet sich wohl, impft, verdient Geld und verachtet es, ärgert sich darüber, daß man ihn gern hat, und möchte gern ein schmutziger Bettler sein, hat aber nicht die Kraft dazu.

Bitte, sagen Sie doch meinem lieben Marquis de Mora, ich fühle mich von Schande bedeckt, weil ich seinen Brief nicht beantwortet habe; aber Sie brauchen ihm nur diesen Brief zu zeigen, um ihm zu beweisen, wie spärlich der Quell meiner Ideen rinnt. Was hätte ich ihm schreiben können? Die Geschichte der Katzen? Ich behalte nicht alle Plattheiten, die ich höre; aber sie genügen, um mich abzuhalten, etwas zu sagen, was nicht ebenso platt ist wie alles, was man mir sagt. Tausend Grüße allen meinen Freunden.

Welch schönen Tag verlieren Sie, wo Sie einen guten Brief von mir hätten haben können! Ich hätte die größte Lust, Ihnen zu schreiben; aber worüber? Darüber, daß ich Sie liebe und Sie immer lieben werde.


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