Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[115] An Frau von Epinay

Neapel, den 27. Februar 1773

Fürst Pignatelli ist angekommen und hat mir die ihm von Ihnen mitgegebene Nummer ausgehändigt. Bis zu dieser Stunde hatte ich geglaubt, eine Frau könnte einem Mann den höchsten Beweis von Zärtlichkeit und Freundschaft nur ganz in der Nähe geben; aber Sie haben es möglich gemacht, ihn auf eine Entfernung von zweihundert Meilen zu geben. Das ist eine unglaubliche Entdeckung. Ich habe jedoch den Unterschied gefunden, daß dieser Beweis mich nicht heiter und froh gemacht, sondern mich bekümmert und sehr betrübt hat. Ich befürchte freilich nichts von alledem, was Sie befürchten, aber ich fürchte das, was weder Sie noch ich wissen: die unvorhergesehenen Ereignisse des Lebens. Es gibt deren Tausende. Das Schicksal macht sich, scheint's, einen Spaß daraus sie zu schaffen, sie aus dem Schoß der Erde auftauchen zu lassen, und man möchte darauf schwören, der liebe Gott hätte kein anderes Vergnügen als dieses, das allerdings recht unbequem und recht unangebracht ist; aber er hat nun einmal Geschmack und Spaß daran – was ist dabei zu machen? Das Schicksal ist ein verzogenes Kind, das alles anfaßt und recht oft zerbricht, was es anfaßt. Nun, ein wenig Vorbereitung gegen das Unglück dieses unbändigen Kindes, das im Hause dieser Jammerwelt lebt und »Schicksal« heißt, könnte nicht schaden. Aber wenn Sie zu solcher Vorbereitung nicht die Kraft haben, behelfen Sie sich ohne sie; denn es ist höchst töricht, sich im voraus abzuquälen, um sich an Qualen so zu gewöhnen, daß man unter ihnen nicht leidet. Das ist das Scheinmittel des Jean Nivelle, der sich aus Angst vor dem Regen im Wasser versteckte.

Fürst Pignatelli erzählt mir von Ihnen; aber weniger als sein Bruder Mora getan haben würde. Dies ist einer der Hauptgründe, warum er in meinem Kopf und meinem Herzen hinter seinem Bruder zurückstehen muß...


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