Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[127] An Frau von Epinay

Neapel, den 24. Juli 1773

Das war unbestreitbar der erhabenste und sinnreichste Brief, den Sie mir in Ihrem ganzen Leben geschrieben haben. Sie schwellen ab, Sie verlieren Ihre Verstopfung, Sie sind zufrieden mit Tronchin und noch mehr mit der Natur. Wie tief das ist! Kann man geistreicher sein? Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lustig und gut gelaunt mich das macht, wie es mich elektrisiert. Ich muß Ihnen gestehen, ich interessiere mich für Ihre Gesundheit, ebensosehr wegen meiner Briefe, wie wegen der Ihrigen. Es ist ein wahres Vergnügen, ein bersaglio für alle meine Tollheiten zu haben, und ich werde Ihnen von nun an die tollsten Briefe schreiben, die Sie je von mir erhalten haben.

Aber warum muß denn nur Ihre Frau Tochter Sie zu so ungelegener Zeit verlassen? Muß man denn nach Plombières reisen, um zu pissen?

Kann man denn die Gedärme nicht auch in Paris abschwellen lassen?

Sie haben in Ihrer Einsamkeit ein Unterhaltungsmittel. Wohnen Sie nicht im Palais-Royal?

Rufen Sie von Ihrem Fenster aus die Vorübergehenden an.

Sie könnten die Herren vom Krakauer Baum anrufen, und wenn das so weit ist, werde ich Ihnen Neuigkeiten schicken, um sie zu unterhalten. Augenblicklich habe ich keine.

Nachdem wir diesen Winter französische Schauspieler hier hatten, haben wir jetzt den berühmten Tänzer Le Picque, der uns das Ballett Armida mit den Chören aufführt und überhaupt alles, was man nur in der Oper Ihres Palais Royal aufführen könnte. Man muß zugeben, daß er ein ebenso ausgezeichneter Tänzer ist wie Vestris und Dauberval; trotzdem hat es ihm mehr Mühe gemacht als Herrn d'Aufresne, die Neapolitaner zu französieren. Zu Anfang wäre er beinahe ausgepfiffen worden. In unserm riesengroßen, ungeheuren Theater bemerkten die Neapolitaner gar nicht, daß er tanzte, weil er keine Sprünge macht. Aber da er von sehr schönem Wuchs ist, hat er zunächst die Neapolitanerinnen gezähmt, und nach und nach hat sich die ganze Nation bekehrt.

Da sehen Sie, welche Fortschritte die Gesittung macht; wir verfallen dank euch Franzosen in Monotonie; bald wird ganz Europa Paris sein, und man wird keinen Geschmack mehr am Reisen finden; denn es wird nichts zu lernen, nichts zu sehen geben: alles wird sich gleichen. An den beiden Enden des großen Festlandes werden auf der einen Seite die Chinesen, auf der anderen die Europäer wohnen, zwei fast gleiche Nationen. Sie werden ferner etwas Charakteristisches gemeinsam haben: sie werden eine absolute Regierung haben, die durch die Formen, die Langsamkeit aller Prozeduren und durch sanfte Denkungsart gemildert sein wird; sie werden viele Soldaten und wenig Tapferkeit haben; viel Fleiß und wenig Genie; viel Volk und wenig Glückliche. Die Republiken werden in Europa verschwinden, sie können mit den Monarchien nicht Schritt halten, bleiben zurück und werden verschlungen. Das beweist Ihnen das Beispiel Polens: das gleiche Unglück werden in spätestens hundert Jahren die italienischen Republiken haben, die man nur wegen ihrer Kleinheit verschmäht hat. Wir werden also in spätestens hundert Jahren Chinesen sein ... Ich amüsiere mich schon damit, meine Nase plattzudrücken und meine Ohren lang zu zupfen, und es gelingt mir schon gar nicht schlecht; geben Sie sich nur auch Mühe, kleine Füße zu bekommen.

Leben Sie wohl, schöne Frau; Fürst Pignatelli schickt Ihnen seine Empfehlungen. Er ist stark beschäftigt mit Madame de Llano, der appetitlichsten Spanierin, die ich jemals gesehen habe. Nochmals, leben Sie wohl.


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