Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[101] An Frau von Epinay

(Antwort auf die allerschönste Nummer)

Neapel, den 27. Juni 1772

Ach, Madame, wie klug Sie sind! Ihr Brief vom 30. Mai hatte mich zerschmettert. Ich verwünschte Ihren Einfall, mir eine Nachricht zu geben, die mich in tödliche Unruhe versetzte. Anderseits entschuldigte ich Sie. Sie hatten einen zu großen Kummer, um ihn nicht mit Ihren Freunden zu teilen. Ich sah es also als ein Glück an, daß Sie mir auf dem neuen Wege geschrieben hatten, und daß ich, da ich auf dem Lande war, Ihren furchtbaren Brief erst drei Tage später, nämlich Dienstag, öffnete. Von diesem Augenblick an wußte ich nicht mehr, wo mir der Kopf stand; ich erzählte, daß Grimm krank sei, allen möglichen Leuten, die ihn gar nicht kennen. Sie können sich nicht vorstellen, welche Qualen man aussteht, wenn man dreihundert Meilen weit weg ist. Meine einzige Hoffnung war, daß Sie so klug sein würden, mir den nächsten Brief mit der Post zu schicken, so daß ich ihn Freitag erhalten würde. Sie waren so klug. Ich habe 35 Sous bezahlt, und das nenne ich wohlausgegebenes Geld!

Ich weiß nicht, ob es mir gelingen mag, Ihnen zu schildern, in welcher Lage ich war und wie ich mich benahm, als ich Ihren Brief erhielt. Der Bediente hatte nur Ihren Brief allein auf der Post vorgefunden. Er brachte ihn mir, ich erkannte ihn als von Ihnen, ich wurde aufgeregt, erbleichte und wagte kaum, ihn zu öffnen. In meiner Gedankenverwirrung fiel mir ein, er hätte mit schwarzem Lack gesiegelt sein müssen, wenn irgendein Unglück eingetreten wäre. Ich öffne ihn also, und in demselben Augenblick besinne ich mich und finde, daß das Anzeichen des roten Siegels mich doch nicht beruhigen könnte. Von neuem fängt mein Herz an zu klopfen, und ich werfe die Augen auf Ihren Brief, ohne aber recht hinzusehen. Der Brief beginnt: Grimm est hors ... ich lese: Grimm est mort ... und ich glaube in Ohnmacht zu sinken. Ich will die Stelle noch einmal lesen, aber mag sie doch nicht lesen, und da lese ich: Grimm est mort d'affaires. Das kam mir seltsam vor. Nun sehe ich mir mutig das Geschreibe näher an, und da hab ich denn Ihren Brief richtig gelesen, durchgaloppiert, verschlungen.

Im Grunde genommen finde ich jedoch eine Art Prophezeiung in meiner verkehrten Leseart. Grimm ist hors d'affaire; aber die Geschäfte haben ihn tot gemacht oder werden ihn tot machen. Dieser Strohsessel ist sein Tod! Wenn man den ganzen Tag ein großes Viereck am Hintern hat, wie kann man sich dann einbilden, durch so ein Ding hindurch sich ordentlich auszuleeren? Um Gotteswillen, ordnen Sie an, daß ihm überall freie Öffnung gemacht wird, daß man ihn sogar wie ein Kind mit offenem Höschen auf der Straße herumlaufen läßt. Er kann ja sagen, es sei das Zeremonienkleid der deutschen Barone, die keine Baronie haben, und deren Lehnseinkünfte von den Gütern des Heiligen Römischen Reiches nicht genügen, um Hosenböden bezahlen zu können...


 << zurück weiter >>