Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[72] An Frau Necker

Neapel, den 6. Juli 1771

Meine Göttin!

... Sie sagen mir, Ihr Vergnügen beschränke sich auf die Konversation allein. Da tun Sie mir recht leid; denn sie liegt in Paris im Sterben und wird bald tot sein. Curae leves loquuntur, ingentes stupent. Die Franzosen sprechen und singen, wenn man sie zwickt; natürlich schweigen sie, wenn man sie totschlägt. Ich selber weiß schon seit zwei Jahren nicht mehr, was Konversation ist. In Ermangelung anderer vernünftiger Tiere halte ich mir zur Gesellschaft eine Katze. Augenblicklich ist sie krank. Wenn Sie wissen, was häusliche Sorgen sind, können Sie meine Betrübnisse ermessen. Ich habe, seitdem ich von Paris fort bin, die Katzensprache erlernt und spreche sie für einen Menschen ziemlich fließend. Ich glaube, wenn Sie mich besuchten, so würde ich Ihnen nicht mehr sagen: Ich bete Sie an, ich schmachte dahin, ich sterbe, oder eine der hundert Fadheiten der französischen Sprache (der asiatischsten von allen) – sondern ich würde Ihnen sagen: Miau! – und damit wäre alles gesagt, und sogar sehr kräftig gesagt. Es fragt sich nur: Was würden Sie antworten? Würden Sie halblaut wie ein hübsches Kätzchen antworten: Mich, miöh, mioh? Oder würden Sie fauchen wie eine böse, wilde Katze? Sagen Sie's nur! Sie riskieren nichts dabei, auf zweihundert Meilen Entfernung! Weder Ihre Krallen, noch meine sind so lang. Doch zurück zu unsern Hammeln!

Was machen Thomas, Marmontel, Grimm und der Rest des Stalls? Hat der Abbé Morellet mir das Fünkchen Liebe für den Despotismus verziehen, das er mir vorwarf. Ich glaube, er muß mir verzeihen, oder sonst muß er mit gar vielen schmollen. Er verlangte nur die Auflösung der Indischen Gesellschaft. Man ist weit über seine Wünsche hinaus gegangen; denn man hat alle alten und modernen Gesellschaften zusammengemetzelt und nur die der Arkebusiere, die schon sehr alt ist, ist übrig geblieben; denn die hat man nicht aufgelöst.

Ich habe von Ihrem reizenden Brief Gebrauch gemacht, soviel ich nur konnte; ich habe ihn dem Baron von Gleichen gezeigt. Er sagte – wie La Fontaine, als er von der Wahl der Grabstätte für Racine hörte – so viel hätten Sie mir zu meinen Lebzeiten in Paris niemals gesagt! Wir waren zu Tränen gerührt; wir haben Ihr Lob gesungen, und mein Refrain war immer: Schade, daß sie so viele Grundsätze im Kopf und gar keine Inkonsequenz im Herzen hat. Ich habe mich jenes schrecklichen und ewig denkwürdigen Abends erinnert, wo ich ein Scheusal war, weil ich auszusprechen wagte, was ein jeder dachte. Ich sagte: ich liebe die Männer nur wegen ihres Geldes – und Herr Necker ist reich; und ich liebe die Frauen nur wegen ihrer Schönheit – und Frau Necker ist schön. Ich sagte also, ich liebe den Herrn und die Frau des Hauses – und darum war ich ein Scheusal! Sie waren darüber empört, Frau Suard erstaunt, und die Frau Gouvernante des Louvre entrüstet. Die ganze Stadt widerhallte von dem Lärm! Die Vorstädte beklagten sich. Das Reich stand in hellen Flammen, und ein jeder verzieh mir – also verzeiht auch Gott mir – daß ich begehrt hatte meines Nächsten Gut und meines Nächsten Weib – das heißt: meines damaligen Nächsten; denn jetzt sind wir es nicht mehr, die Alpen liegen zwischen uns. Aber weder Zeit noch Alpen verlöschen die Erinnerung an die köstlichen Tage, die ich bei Ihnen verbracht habe. Da kommt wieder Traurigkeit und Lebensüberdruß über mich! Reden wir von etwas anderem.

Alle Tage mache ich mir Vorwürfe, daß ich noch nicht an Fräulein Clairon geschrieben habe. Sie ist eine von denen, die mich am aufrichtigsten geliebt haben. Ich habe es immer gefühlt, und ich wäre froh, wenn sie das wüßte. Wollen Sie es ihr wohl erzählen? Ich träume sehr oft von ihr und ihren Freunden. Ich spreche nicht so oft von ihnen; denn mit wem sollte ich sprechen? Ich lebe hier unter Leuten, die von Zeit zu Zeit mich fragen, wie es der Königin von Frankreich geht – (das ist buchstäblich wahr!) Sie haben vergessen, daß sie vor drei Jahren Trauer um sie getragen haben. Ach, Madame! Welche greuliche Wüste sind fünfhunderttausend Neapolitaner!

Herr Necker schrieb mir vor vier Monaten wegen einer geschäftlichen Angelegenheit; ich schrieb ihm als Antwort einen langen und schönen Brief. Hat er ihn erhalten? Ich weiß nichts davon. Möchten Sie es mir wohl sagen? Grimm lacht immer. Das weiß man. Suard macht freiwillig Übersetzungen und gibt nur gezwungen Nachrichten. Ich habe ihn lieber nach seiner eigenen Weise. Morellet wird jetzt ganz gewiß nicht über Ausfuhr, Privilegien, bedruckten Kattun, Beschränkungen der Handelsfreiheit disputieren. Denn wer beklagt sich im Toben der Schlacht über eine Hautschramme? Würden Sie mir raten, an Frau Geoffrin zu schreiben? Ich hätte sehr große Lust dazu. Aber ich habe Angst, daß sie vor meinen Briefen Angst hat. Ich bin so närrisch, sie ist so vorsichtig. Indessen ich liebe sie, ich schätze sie, ich verehre sie, ich bete sie an, und wenn man mich nur anhörte, würde ich immerzu von ihr sprechen. Sagen Sie ihr das wenigstens, und schreiben Sie mir, wie es jetzt mit ihren Mittwochabenden steht. Ich kann die Wandelbilder der von mir heraufbeschworenen Bilder nicht mehr ertragen; mein Kopf ist jetzt eine Zauberlaterne.

Ich verabschiede mich von Ihnen, und ich umarme Herrn Necker. Auch Sie, wenn Sie es erlauben.


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